Mehrere hundert Entwickler aus aller Welt arbeiten bei Siemens Healthcare an neuen Anwendungen und Softwarefunktionen, zehn davon im Bereich der automatischen Bildvorbereitung. Ivan Tenev (36) ist einer aus diesem Team. Das Abitur hat er in Bulgarien gemacht, um dann an der Technischen Hochschule Nürnberg Informatik zu studieren.
Tenevs Studienschwerpunkte waren Programmiersprachen und Datenbanken. 2007 war er fertig mit seinem Studium und hat sich dann "ganz bewusst für die Medizintechnik entschieden, weil sie ein interessantes und vielfältiges Gebiet ist und die IT im Krankenhaus viel Raum einnimmt". Dort gebe es Netzwerke unterschiedlicher Systeme.
Null-Fehler-Toleranz ist Voraussetzung
"Als Entwickler arbeite ich eine Liste von Features ab, die im nächsten Release eingebaut werden." Entwickelt wird auf der Software-plattform .NET von Microsoft in der Softwaresprache C#. Logisch, dass sich Tenev mit dieser Sprache und mit dieser Plattform auskennen muss. "Und die Medizintechnik-Kenntnisse hat man uns bei Siemens beigebracht." Die Entwickler arbeiten in internationalen Scrum-Teams, was Teamfähigkeit voraussetzt.
Weltweit hat Siemens Healthcare etwa 43.000 Mitarbeiter. "Die Anzahl unserer Informatiker liegt im niedrigen vierstelligen Bereich", sagt Stefan Henkel, Leiter Information Technology. Klassische Bildgebungssoftware ist ein Schwerpunkt von Siemens Healthcare, Labordiagnostik ein anderer. In beiden Bereichen entstehen gewaltige Datenmengen, die immer weiter zunehmen. "Um diese Datenmengen beherrschbar und damit nutzbar zu machen, sind hochentwickelte klinische IT-Lösungen notwendig", sagt Henkel. Damit steigt der Bedarf an IT-Spezialisten bei der Siemens-Tochter - auch wegen zukünftiger Entwicklungen wie Big Data Analytics oder Cloud Computing.
Rund 125.000 Menschen in Deutschland arbeiten in der Medizintechnik. Den Anteil an Informatikern schätzt Hans-Peter Bursig, Geschäftsführer des Fachverbands Elektromedizinische Technik im ZVEI, auf 6000 bis 7000 - "Tendenz steigend, weil die Bedeutung von Informatik in der Medizintechnik zunimmt".
Vor allem Entwickler würden gebraucht, "und die Software unterliegt strengen Rahmenbedingungen". Qualität, Struktur und Risikobewertung - darauf kommt es bei medizinischer Software an. "Die Programme müssen sicher und stabil laufen. Betaversionen auf den Markt werfen und den Anwender Fehler finden lassen, um dann nachzuprogrammieren - das geht in der Gesundheitsbranche gar nicht." In der Medizintechnik gibt es keine Fehlertoleranz.
Die Kenntnis einer branchenspezifischen Softwaresprache ist nicht notwendig. "Für eigene Technologien ist unsere Branche zu klein, wir verwenden Standards und Standardsprachen, und die lernen angehende Informatiker im Studium", sagt Bursig.
Allerdings müssten Interessenten bereit sein, präzise zu arbeiten und Verantwortung für ihren Teil in interdisziplinären Teams zu übernehmen. Diese bestehen aus Biologen, Medizinern, Materialwissenschaftlern, und die Software ist ein Teil der Geräteentwicklung. "Das heißt für Softwareentwickler, ihre Arbeit ständig mit den Komponenten der Kollegen abzugleichen", so der Verbandsmann. Das setze Verständnis, Geduld und Teamfähigkeit voraus. Nach Angaben von Bursig gibt es "keine spezielle medizintechnische Informatik, sondern Informatik in der Medizintechnik mit vielen Anwendungsgebieten". Weil die breit gestreut sind, finde jeder Informatiker eine Nische, die ihn interessiert, sei es in Telemedizin, Softwareentwicklung oder Vernetzung.
Carsten Albrecht (39) ist Teamleiter bei Dräger in Lübeck. Anästhesie- und Beatmungsgeräte gehören zum Produktportfolio dieses Herstellers von Medizin- und Sicherheitstechnik. Albrecht hat zwölf Mitarbeiter, die Software für Therapiefunktionen an solchen Geräten entwickeln. Beispiel Beatmungsgerät: Mittels Sensoren wird sichergestellt, dass im Atemgas genügend Sauerstoff ist. Software steuert und kontrolliert die Sensorik.
Hohe Einstiegsgehälter
Albrecht hat an der Universität Lübeck Informatik mit dem Nebenfach medizinische Informatik studiert und anschließend in technischer Informatik promoviert. 2009 wechselte er in die Industrie, seit 2010 ist er bei Dräger. Angefangen hat er als Softwareentwickler, seit einem Jahr ist er Teamleiter. In seinem Team arbeiten vier weitere Informatiker, die anderen sind Ingenieure und Physiker: "Mein Team entwickelt Software inklusive Design, Architektur, Projektleitung und Testautomatisierung."
Geschrieben werden die Programme in C und C++. Programmieren können und testen sind die wichtigsten Aufgaben von Albrechts Mitarbeitern. Das Testen nimmt etwa die Hälfte der Arbeitszeit ein - das zeigt, wie hoch der Sicherheitsanspruch in der Branche ist. Die Softwareentwickler müssen Anforderungen spezifizieren und sicherstellen können, und sie sollten sich mit Werkzeugen zur Softwareentwicklung und Verifizierung in Systemen und Geräten auskennen, beispielsweise mit Konfigurations-Management-Systemen.
Persönliche Fähigkeiten gefragt
Doch das sind nur die fachlichen Qualifikationen. Zu den persönlichen Fähigkeiten zählt Albrecht Sorgfalt, Zuverlässigkeit, Selbständigkeit und Durchhaltevermögen. Für ihn liegt der Reiz des Arbeitens in der Medizintechnik am hohen Qualitätsanspruch an die Technik. "Den Geräten werden Menschenleben anvertraut. Es geht darum, Patienten zu helfen."
Medizintechnik ist aber nicht nur eine sinnstiftende, sondern auch eine lukrative Arbeit. Bei Dräger liegt das Einstiegsgehalt für Hochschulabsolventen immerhin zwischen 45.000 und 50.000 Euro.