Deutschlands Politikerinnen und Politiker verfolgen staunend die dramatischen Tage im US-Wahlkampf. Aus den Reaktionen auf den Rückzug des vom Alter geschwächten Amtsinhabers Joe Biden aus dem neuerlichen Rennen ums Weiße Haus spricht Erleichterung. Doch können die US-Demokraten den Wahlkampf noch drehen und Donald Trump als neuen Präsidenten verhindern?
Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) saß gerade auf USA-Reise nahe dem Weißen Haus mit Wahlkämpfern der Präsidentenpartei beim Essen, als die Nachricht von Bidens Schritt über die Handys in die Runde platzte. Wie sind erste Erkenntnisse zur aktuellen Lage aus deutscher Sicht?
"Bidens Entscheidung historisch"
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schrieb auf der Plattform X, Bidens Entschluss, nicht noch einmal zu kandidieren, verdiene "Anerkennung". Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) zollte Biden "tiefe Hochachtung", CDU-Chef Friedrich Merz "größten Respekt". Heil sagte in einem dpa-Videointerview in Washington: "Die Nachricht von der Entscheidung Joe Bidens hat eine historische Bedeutung." Auch für Deutschland und Europa sei wichtig, dass das jetzt wieder "ein offenes Präsidentschaftsrennen" sei.
Die aktuelle Kernfrage
Kurz vorher herrschte am Mittagstisch des Arbeitsministers noch ein ziemlicher Katzenjammer. Der Tenor bei dem halben Dutzend teils langjähriger Beraterinnen und Wahlkämpfer der US-Demokraten: Biden sei wegen seines Alters wohl nicht mehr in der Lage, einen erfolgreichen Wahlkampf zu führen. Dann sah der erste die Nachricht von Bidens Rückzug - und alle zogen ihre Handys heraus.
"Was für ein Moment", sagte Heil, der gerade über einem grünen Salat saß. Schlagartig änderte sich die Stimmung - jetzt im Fokus: die nächsten Schritte und die Chancen von Bidens Stellvertreterin und Wunschkandidatin Kamala Harris. Die aktuelle Kernfrage für Heil: "Schaffen die Demokraten einen Neustart in den nächsten Tagen oder brechen dort jetzt Kämpfe aus?"
"Kamala Harris kann kämpfen"
Die Demokraten wissen, dass der republikanische Herausforderer Trump sie gern als Chaos-Partei vorführen will - das wird deutlich. Und sie wollen alles tun, um das zu vermeiden. Zumindest in dieser Runde demokratischer Strippenzieher ist man sich einig: Mit Kamala Harris könne das gelingen. Der US-Leiter der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung, Knut Dethlefsen, meint, Harris könne kämpfen, könne "Abteilung Attacke" - genau das, was im Wahlkampf gegen Trump jetzt gebraucht werde. "Wir haben noch 102 Tage bis zur Wahl", stellt eine von Heils Gesprächspartnerinnen trotzig fest. Genug Zeit gebe es also noch.
"Das ist wieder ein offenes Rennen"
Heil gab zwar pflichtschuldig zu Protokoll, dass die Bundesregierung auch mit der Trump-Administration gut zusammengearbeitet habe und sich auf alle Szenarien einstelle. "Wir hoffen das Beste und müssen auch mit Schwierigem rechnen. Aber natürlich sind meine persönlichen Sympathien als Demokrat, als Sozialdemokrat, bei Kamala Harris."
Heil: "Ich hoffe, dass sie in der Lage sein wird, mit einer starken Kampagne auch zu gewinnen." Seine US-Gesprächspartner gingen davon aus, "dass jetzt ein Ruck durch die Partei gehen wird." Auch in anderen Staaten hätten Rechtspopulisten verloren und Demokraten gewonnen - in Frankreich etwa, in Großbritannien und in Polen. Heil: "Das macht Mut, dass auch diese Wahlen hier gut ausgehen können."
Auswirkungen auf Deutschland durch einen Sieg Trumps
Ukraine, Raketenschutz, Nato - für Deutschland und Europa habe das US-Wahlergebnis große Auswirkungen, sagte Heil. Eigentlich ist der Arbeitsminister in die USA gereist, um neue Ansätze für die Arbeitswelt mit Künstlicher Intelligenz (KI) zu sehen - und womöglich für Deutschland daraus Lehren zu ziehen.
Nächste Station von Heils US-Tour: Houston, Texas. Die US-Raumfahrtbehörde Nasa erforscht auch die Potenziale von KI auf der Erde. "Es geht darum, dass KI den Menschen dient und nicht umgekehrt", so Heil. Also, dass Menschen nicht wegrationalisiert werden und die Computer nicht die Oberhand gewinnen. Und auch hier - so findet der SPD-Minister - sei es entscheidend, wer künftig in den USA regiere. Denn generell wollten Rechtspopulisten meist volle Vorfahrt für den Markt ohne viel Rücksicht auf Menschen. (dpa/rs)