Siemens-Chef Joe Kaeser ist einer der bekanntesten deutschen Spitzenmanager - und folgt bei seinem bevorstehenden Abschied einem Leitspruch, dessen Umsetzung wenigen gelingt: Geh, wenn es am schönsten ist. Denn zum nahenden Ende der Ära Kaeser steht der Münchner Industriekonzern zweifellos besser da als zu Beginn 2013. Kaesers zwei Amtsvorgänger Klaus Kleinfeld und Peter Löscher mussten den Siemens-Chefsessel jeweils vorzeitig räumen, nun wird es wieder einen geregelten Wechsel geben.
Der Vertrag des 1957 geborenen Niederbayern läuft Anfang 2021 aus, der Siemens-Aufsichtsrat bestellte Technik-Vorstand Roland Busch vergangene Woche zum stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden. Diese Aufgabe gab es vorher nicht im Vorstand, Busch ist damit quasi offizieller Kronprinz.
Möglicher Nachfolger: Technik-Vorstand Roland Busch
Die Siemens-Aufseher haben sich aber in einer vieldeutigen Formulierung sämtliche Optionen offen gehalten: "Über die Nachfolge und den Zeitpunkt der Nachfolge von Joe Kaeser als Vorstandsvorsitzenden der Siemens AG wird der Aufsichtsrat im Sommer 2020 entscheiden", hieß es in der Mitteilung.
Das lässt sowohl zeitlich als auch personell Spielraum in jeder Hinsicht: Eine Lesart ist, dass Kaeser bereits vor Ende seines Vertrags den Stab übergeben soll. Doch ist zumindest theoretisch nicht einmal eine Vertragsverlängerung ausgeschlossen. Und eine Jobgarantie für Busch bedeutet die Formulierung ebenfalls nicht.
Dauerhaft hohe Renditeziele angestrebt
Eine Art Vermächtnis-Aufsatz hat Kaeser bereits veröffentlicht: Im "Harvard Business Manager" zog er seine Bilanz der vergangenen vierzig Siemens-Jahre, Überschrift: "Gewinne sind nicht das einzige Ziel." Der Manager macht sich zum Fürsprecher eines inklusiven Kapitalismus, der der Gesellschaft dienen soll.
Siemens-Beschäftigten, die das Papier studieren, fällt daran allerdings etwas auf: Kaeser hat Siemens in den vergangenen sechs Jahren systematisch auf höhere Gewinnmargen getrimmt. Und in der 2018 beschlossenen "Vision 2020+" hat sich der Siemens-Vorstand unter Kaesers Ägide für die Zukunft dauerhaft hohe Renditeziele verordnet, die der Konzern in dieser Form in der Vergangenheit nie erreicht hat. Kaeser ist gelernter Finanzer, kein Ingenieur oder Naturwissenschaftler.
Auch Arbeitnehmervertreter billigen dem ewig rastlosen Kaeser zu, dass er kein eiskalter Manager, sondern tief überzeugt ist, das Beste für Siemens und die Mitarbeiter zu wollen. Anders als andere Dax-Konzernchefs mischt Kaeser sich in die Tagespolitik ein und bezieht Stellung gegen die AfD und Rechtspopulisten, was ihm sogar Morddrohungen einbrachte.
Ein Siemens CEO ist immer ein deutscher Außenminister
Doch auch in dieser Hinsicht ist das Bild ein wenig widersprüchlich: Siemens macht gute Geschäfte mit Staaten wie der Volksrepublik China, in denen sich die politische Repression in den vergangenen Jahren massiv verschärft hat, ohne dass Kaeser das jemals kritisiert hätte. Darüber erregte sich kürzlich im Bundestag FDP-Chef Christian Lindner. "Gute Geschäfte in allen Ehren, aber wirtschaftliche und gesellschaftliche Freiheit dürfen nicht voneinander getrennt werden", sagte er an Kaesers Adresse, der sich anschließend dagegen auf Twitter verwahrte.
Finanziell und geschäftlich steht Siemens derzeit gut da: Das Unternehmen habe im dritten Geschäftsquartal "netto mehr verdient als seine drei Hauptwettbewerber zusammen", schrieb Kaeser kürzlich auf Twitter. Die Zeiten, in denen US-Konkurrent General Electric dem als träge verschrienen Ingenieursverein Siemens als Vorbild vorgehalten wurde, sind längst vorbei.
Doch ob Kaesers Strategie wirklich erfolgreich war, wird sich erst in einigen Jahren zeigen. Siemens ist seit Jahrzehnten eine Art unternehmerische Dauerbaustelle. Im vergangenen Jahrzehnt wurde die Grundsatzentscheidung getroffen, sich von sämtlichen Verbraucherprodukten zu verabschieden und sich auf das Industriegeschäft zu konzentrieren. Telefone, Waschmaschinen, Computer oder Glühbirnen stellt Siemens längst nicht mehr her.
Kaeser hat diese permanente Umstrukturierung nicht angestoßen, aber weiter forciert. Der eigentliche Siemens-Konzern wird immer kleiner. 2018 wurde die Medizintechniksparte ausgegliedert und an die Börse gebracht. Im kommenden Jahr soll nun die Energiesparte - "Powerhouse" genannt - mit knapp 90.000 Beschäftigten folgen. Unter dem Dach der Münchner Siemens-Zentrale verbleiben zwei Kerngeschäftsbereiche "digitale Industrien" und "intelligente Infrastruktur". 2007 hatte Siemens weltweit noch 475.000 Mitarbeiter, Ende nächsten Jahres werden es wohl weniger als 300.000 sein.