Geheimdokumente, Botschaftsflucht und mögliche Todesstrafe: Die Geschichte von Julian Assange, seit Jahren auf der Weltbühne erzählt, enthält alle Aspekte eines Politthrillers. Nun steuert die Saga plötzlich auf ihr filmreifes Ende zu. Nach 1.901 Tagen Haft in London, so hat es die von Assange gegründete Enthüllungsplattform Wikileaks errechnet, ist der Australier auf dem Weg in die Freiheit. Möglich macht es ein überraschender Deal mit dem US-Justizministerium, das bisher mit demonstrativer Härte die Auslieferung des 52-Jährigen gefordert hatte.
Die vergangenen Tage waren aufregend, erzählt seine Ehefrau Stella Assange der BBC. Es sei ein Hin und Her über 72 Stunden gewesen. Dass ihr Mann bald bei ihr und der Familie in Australien sein soll, kann sie noch gar nicht so recht glauben. Das Paar hat zwei Söhne, Gabriel und Max, die während Assanges Zeit in der ecuadorianischen Botschaft - dazu später mehr - zur Welt kamen. Für die Familie wird es ein grundlegender Neustart: Die Kinder, mittlerweile sieben und fünf Jahre alt, haben ihren Vater noch nie in Freiheit gesehen, wie Stella Assange berichtet.
Der Hacker hat Probleme mit der Justiz
Geboren wurde Julian Assange am 3. Juli 1971 in Townsville im tropischen Bundesstaat Queensland. Die Eltern trennen sich noch vor seiner Geburt, in seiner Jugend zieht er mehr als 30 Mal um. Ab dem Teenager-Alter und dann auch als Student - seine Fächer sind Programmieren, Mathematik und Physik, einen Abschluss macht er nicht - macht er sich einen Namen als Hacker. Das macht ihn bekannt, aber bringt ihm auch Probleme mit der australischen Justiz.
Seit Jahren scheiden sich an dem Internetaktivisten die Geister. Held oder Schurke: Für seine Unterstützer ist er ein mutiger Kämpfer, der einem mächtigen Staat die Stirn geboten hat. Für seine Gegner ist er ein Spion und Verräter. Im Jahr 2006 gründet Assange die Plattform Wikileaks mit der Mission, Whistleblower zu unterstützen, verborgene Informationen ans Licht zu bringen. Von 2010 an veröffentlicht Wikileaks geheimes Material von US-Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan der Whistleblowerin Chelsea Manning. Die USA werfen Assange in der Folge vor, geheimes Material gestohlen, veröffentlicht und damit das Leben von US-Informanten in Gefahr gebracht zu haben.
Seit April 2019 saß Assange im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh ein - gemeinsam mit Mördern, Vergewaltigern und Terroristen. Verurteilt wurde er nie. Doch die USA wollten ihm den Prozess wegen Spionagevorwürfen machen, und die Fluchtgefahr galt als hoch. Bis zu 175 Jahre Haft hätten ihm in den USA gedroht, falls es keine Einigung gegeben und Großbritannien den Australier schließlich ausgeliefert hätte. Zwischenzeitlich befürchtet Assange sogar, dass ihm in den USA die Todesstrafe droht.
Flucht in die ecuadorianische Botschaft
Das juristische Tauziehen dauert bereits viel länger an. Für weltweites Aufsehen sorgt Assange, als er 2012 in die ecuadorianische Botschaft in London flüchtet. Damals sollte er wegen Vergewaltigungsvorwürfen nach Schweden gebracht werden. Immer wieder zeigt sich der Mann mit den charakteristisch hellen Haaren auf dem Balkon der Botschaft seinen Unterstützern und den Medien, gibt dramatische Pressekonferenzen. Hier lernt er auch seine spätere Ehefrau Stella kennen - die Anwältin ist Teil seines Juristenteams. Aus einer ersten Ehe stammt ein weiterer Sohn.
Sieben Jahre bleibt Assange in der Botschaft. Die schwedischen Vorwürfe wurden zwar mangels Beweisen fallengelassen. Schließlich aber entzieht Ecuador ihm das Asylrecht, britische Polizisten zerren ihn im April 2019 vor laufenden Kameras aus dem Botschaftsgebäude. Großbritannien hatte die Festnahme lange zuvor angekündigt, weil Assange gegen Bewährungsauflagen verstoßen habe. Und die USA stellen ein Auslieferungsersuchen.
Hickhack vor Gericht
Es folgt ein Hin und Her: Zunächst verhängt ein Londoner Gericht im Januar 2021 ein Auslieferungsverbot. Als Begründung nannte die Richterin die Suizidgefahr, sollte Assange in ein US-Hochsicherheitsgefängnis gebracht werden. Doch Ende 2021 revidiert der High Court die Entscheidung überraschend. Die damalige britische Innenministerin Priti Patel unterzeichnet den Auslieferungsbefehl.
Assange wehrt sich weiter. Schließlich hat er Erfolg: Im Mai gibt der High Court einem Berufungsantrag teilweise statt. Der Fall sollte Anfang Juli verhandelt werden. Dazu kommt es nun nicht mehr. (dpa/rs)