Azubis

Junge Menschen setzen nicht mehr automatisch auf duale Ausbildung

23.08.2023
Die klassische Ausbildung lag schon vor Corona nicht mehr so richtig im Trend. Vom Pandemie-Schock mit fehlenden Praktika und eingeschlafener Beratung erholt sie sich nur langsam.
Nicht nur der Mittelstand, auch Konzerne wie Audi bieten Ausbildungsplätze.
Foto: Audi AG

Noch sind viele junge Menschen auf der Suche nach einer Lehrstelle, doch in der dualen Ausbildung ist eine schnelle Rückkehr zu Vor-Corona-Verhältnissen unrealistisch. Die Pandemie hat tiefe Lücken im typisch deutschen System der gleichzeitigen Ausbildung in Betrieb und Berufsschule gerissen, die so schnell nicht wieder zu schließen sein werden. Die betroffenen Betriebe und Verbände setzen angesichts des Fachkräftemangels auf eine bessere Beratung, die an vielen Stellen dem Corona-Virus zum Opfer gefallen war.

Nach endgültigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes hat es 2022 zwar ein leichtes Plus von 0,8 Prozent auf 469.900 neue Ausbildungsverträge gegeben. Dies waren aber immer noch acht Prozent weniger als im letzten Vorkrisenjahr 2019 mit mehr als 500.000 neuen Verträgen. Ende 2022 befanden sich nur noch 1,22 Millionen Menschen in einer dualen Berufsausbildung. Das waren drei Prozent weniger als ein Jahr zuvor und ein historischer Tiefstand.

Zehntausende offene Stellen und duale Studiengänge

Im laufenden Jahr setzen wichtige Ausbildungsbranchen wie Handel oder Handwerk auf Spätentschlossene. Noch bis weit in den Herbst hinein würden für gewöhnlich Ausbildungsverträge geschlossen, berichtet der Handelsverband Deutschland und verweist auf Zehntausende offene Stellen und duale Studiengänge bei den Mitgliedsunternehmen. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks berichtet von einem Vertragsplus um 4,5 Prozent bis einschließlich Juli, weil sich wieder mehr junge Menschen für eine "sinnstiftende und zukunftssichere Tätigkeit im Handwerk" interessieren.

Die jüngsten Zahlen der Bundesagentur für Arbeit für den Juli zeigen noch nicht die gesamte Entwicklung im anstehenden Ausbildungsjahr. Nahezu unverändert zum Vorjahr sind bislang die Bewerberzahlen, während die Betriebe auf der Suche nach Fachkräften noch einmal mehr Ausbildungsstellen ausgeschrieben haben. Auf hundert Stellen kommen so nur noch 77 Bewerber.

Betriebe sollen Bedingungen attraktiver machen

Elke Hannack, Vizevorsitzende beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), geht die Erholung bis zum Vor-Corona-Niveau nicht schnell genug: "Beim aktuellen Tempo bräuchten wir dafür noch mehr als zehn Jahre. So lange können wir im Interesse von jungen Menschen und im Kampf gegen den Fachkräftemangel nicht warten." Hannack sieht die Betriebe in der Pflicht, die Bedingungen attraktiver zu machen. Gute Beispiele gebe es viele wie Vier-Tage-Wochen, Verzicht auf Nachtarbeit, Auslandsmobilität oder Hilfe bei der Wohnungssuche.

Der Weg in die Ausbildung ist für junge Menschen nicht mehr zwingend, beschreibt Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) die Lage: Während mehr als 55 Prozent eines Jahrgangs zunächst ein Studium beginnen, gibt es auf der anderen Seite eine wachsende Gruppe, die ohne Abschluss oder Ausbildung auf den Arbeitsmarkt geht. In vielen Helferberufen würden aktuell Kräfte gesucht und auch mit überdurchschnittlich gestiegenen Löhnen gelockt. Gleichzeitig sei für sie die Gefahr schneller Arbeitslosigkeit signifikant gestiegen.

Klima-Fachkräfte sehr gesucht

Insgesamt 2,6 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 34 Jahren ohne Berufsabschluss gibt es in Deutschland bereits und gleichzeitig einen Fachkräftemangel an nahezu jeder Ecke. Allein für die Klimawende in den Heizungskellern fehlen nach Einschätzung des Handwerks rund 600.000 Monteure. Eine "Bildungswende" hin zu mehr Wertschätzung von beruflicher Bildung und berufspraktischer Arbeit verlangt daher Handwerkspräsident Jörg Dittrich. Er sagt: "Die Auszubildenden von heute sind die (Klima-)Fachkräfte von morgen - und wer eine Ausbildung im Handwerk startet, bekommt die Chance, nicht nur an der eigenen Zukunft, sondern der des Landes zu schrauben!"

IAB-Forscher Weber rät zu einer verbesserten und passgenauen Berufsberatung für jeden einzelnen. Dabei müssten dualer und akademischer Bildungsweg auf gleicher Augenhöhe behandelt werden, da der Bedarf in beiden Bereichen steigen werde. DGB-Vize Hannack verlangt eine Reform der Berufsorientierung in den Schulen. Sie fordert: "Die Länder müssen endlich für einen funktionierenden Datenaustausch zwischen Schulen und Arbeitsagenturen sorgen, damit niemand am Übergang verloren geht."

Nachholbedarf an Schulen

Das Handwerk sieht ebenfalls an den Schulen viel Nachholbedarf. Die jungen Menschen müssten zunächst einmal erfahren, welche Welten sich im Handwerk für sie auftun. Dann sei auch dort eine Bildungskarriere möglich. Im Handel hätten 80 Prozent der Führungskräfte selbst mit einer Ausbildung begonnen, wirbt der Handelsverband.

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung nennt noch ein weiteres Argument für eine Ausbildung. Nach einem Pandemie-Knick ist 2022 die Übernahmequote wieder auf den Rekordwert von 77 Prozent gestiegen. Mit Sorge betrachten die Nürnberger Experten, dass die Zahl der ausbildungsberechtigten Betriebe seit Jahren zurückgeht. Vor allem kleine Unternehmen verabschieden sich von der Idee, selbst etwas gegen die Fachkräfte-Misere tun zu können. Nur noch gut jeder fünfte Betrieb (22 Prozent) bildet überhaupt aus. (dpa/rs)