Im Fernsehen findet Michael Neff "Wer wird Millionär?" spannend, im Studium von Sohn Alexander dagegen nicht. Der Junge studiert Wirtschaftsinformatik in Mannheim. Was soll es da bringen, wenn er Ratespiele für Smartphones programmiert? "Wo ist denn da die betriebliche Relevanz?", fragt der bisherige CIO der Heidelberger Druckmaschinen AG, der ab Juli die IT-Tochter der RWE leitet und zum Februar 2011 CIO des RWE-Konzerns wird. Die Studenten lernen zwar Java, vom Zusammenhang zwischen Informatik und betriebswirtschaftlichem Denken erführen sie aber nichts.
Neff spricht nicht bloß als Vater, der seine Steuern und die 500 Euro Studiengebühren für den 24-jährigen Sohn gut angelegt sehen will. Als CIO sorgt er sich generell um die IT-Führungskräfte von morgen. Die sind auf ihre künftigen Aufgaben schlecht vorbereitet, wenn sie zwar BWL-Vorlesungen gehört und in Wirtschaftsinformatik-Seminaren mitgearbeitet haben, Verständnis für die Verbindung zwischen beiden Disziplinen aber nicht vermittelt bekommen. "Diese Verbindung muss stärker im Mittelpunkt stehen", fordert Neff, der mit seiner Kritik gar nicht speziell auf die Universität Mannheim zielt, an der er selbst in den 70ern Mathematik, Wirtschaftsinformatik und Wirtschaftspädagogik studiert hat. Er sieht das Defizit an allen Hochschulen.
Programmiersprachen nützen wenig
Aber kann ein Studium Frauen und Männer Anfang 20 überhaupt mit dem Rüstzeug ausstatten, das auf Management-Positionen und bestenfalls bis auf den Sessel eines CIOs führt? Sven Michaelis von der Personalberatung Egon Zehnder Internation (EZI) bezweifelt das: "Die Universität bildet Studenten zu Fachleuten aus, unterstützt aber generell nicht die unternehmerische Perspektive." Die Management-Experten von EZI zählen gemeinsam mit dem CIO Executive Council zehn Führungskompetenzen auf, die aus ihrer Sicht einen zeitgemäßen CIO prägen. Sich Fachwissen anzueignen ist dabei nur der allererste Schritt in der persönlichen Entwicklung (siehe Abbildung). Programmiersprachen zu beherrschen bringt niemanden in die Chefetage. "Für CIOs ist IT letztendlich nur ein Mittel, um Geschäftsprozesse effektiver und profitabler zu gestalten", erklärt Michaelis.
Sven Michaelis, Personalberater bei Egon Zehnder International: "Die Universität bildet Studenten zu Fachleuten aus, unterstützt aber generell nicht die unternehmerische Perspektive." |
Gefordert sind Dinge, die über Informatik hinausgehen: Gerade in technischen Fächern ist die Halbwertszeit des Fachwissens gering. Dieser Problematik kann die Universität nur begegnen, wenn sie Absolventen in die Lage versetzt, ihr Fachwissen ständig auf den neusten Stand zu bringen und sich schnell in neue Themen einzuarbeiten. Das deckt sich mit Michael Neffs Erfahrung. Als er im Mannheimer Barockschloss die Hörsaalbank drückte, durchdrang Informationstechnik den Unternehmensalltag längst noch nicht so wie heute. Neff paukte Operations Research, Produktionsplanung und Supply Chain Management. Dinge, die seiner Meinung nach jetzt in der Ausbildung zu kurz kommen: "Diese Themen sind heute genauso wichtig wie damals, geändert haben sich nur die Werkzeuge."
Neff hat hohe Ansprüche daran, was IT-Führungskräfte von morgen an Hochschulen lernen sollen - und das zu einer Zeit, da die Hochschulen den Inhalt ihrer Studiengänge eher verschlanken. Mit dem europaweiten Bologna-Prozess haben sie ihr Lehrangebot in den vergangenen zehn Jahren größtenteils auf die angelsächsischen Abschlüsse Bachelor und Master umgestellt - und dabei die Curricula entrümpelt. Auch Alexander Neff wird kein Diplom mehr erwerben, sondern die hierzulande noch jungen Abschlüsse. Den Bachelor hat er nach sechs Semestern abgeschlossen und daran direkt den konsekutiven Master angehängt. In gut einem Jahr will er auch den abschließen.
Nur Consultants nehmen Bachelor
Statt den Master zu machen, hätte Neff junior auch schon nach sechs Semestern Studium ins Berufsleben starten können. "Nach dem Bachelor haben einige meiner Kommilitonen schon Stellenangebote von Beratungsfirmen bekommen", erzählt er. Die Wirtschaft kann dank der neuen Studienstruktur endlich jüngere Nachwuchskräfte einstellen. Doch abgesehen von ein paar Consulting-Häusern nutzt niemand diese Chance. "Politik und Industrie wollten kürzere Studienzeiten. Trotzdem stellen viele Firmen noch keine Bachelors ein", beobachtet Armin Heinzl, Lehrstuhlinhaber für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Wirtschaftsinformatik und einer der Hochschullehrer von Alexander Neff. "Da beißt sich die Katze in den Schwanz", klagt der Professor.
Armin Heinzl, Professor an der Universität Mannheim: "Politik und Industrie wollten kürzere Studienzeiten. Trotzdem stellen viele Firmen noch keine Bachelors ein. Da beißt sich die Katze in den Schwanz." |
Laut dem im Mai veröffentlichten Hochschul-Ranking, das die Verlagsgruppe Handelsblatt gemeinsam mit einem Personaldienstleister und einem Marktforschungsunternehmen durchgeführt hat, bevorzugen von 5.000 befragten Personalern nur neun Prozent bei Absolventen der Wirtschaftsinformatik einen Bachelor-Abschluss. Am liebsten rekrutieren die Personalchefs Master-Absolventen, gefolgt von Abgängern mit Diplom. Wer als CIO Jung-Akademiker mit Bachelor-Abschluss einstellt, darf von ihnen eben nicht all das erwarten, was auf der Kompetenzen-Wunschliste von Michael Neff steht. Denn was Studenten früher im fünfjährigen Diplom mit auf den Weg bekommen haben, kann nicht vollständig mit dem dreijährigen Bachelor abgedeckt werden. Bestimmte Themen, wie beispielsweise IT-Controlling, könnten in der kurzen Studienzeit des Bachelor "nicht gehaltvoll vertieft werden", sagt Armin Heinzl.
Wer sich in Mannheim in den Bachelor Wirtschaftsinformatik einschreibt, lernt neben Wirtschaftsinformatik, Praktischer Informatik und Software-Technik unter anderem auch Marketing, Produktion und Rechnungswesen. Im anschließenden Master spezialisieren sich die Studenten dann auf einen Teilbereich der Wirtschaftsinformatik.
Was CIO Michael Neff fordert, nämlich Grundlagen mit der späteren betrieblichen Praxis zu verbinden, gelinge dabei gut. "Wir haben eine Reihe von Vorlesungen, die sich mit integrierten Informationssystemen, Business Intelligence, Business Process Management und anderem beschäftigen. Begleitend dazu bieten wir Tutorien an, in denen die Studenten mit konkreten Produkten von Firmen wie SAP, IBM, MS-Navision oder IDS Scheer arbeiten und so ihre Kenntnisse gleich im speziellen Fall anwenden", veranschaulicht er. Was sie zusätzlich für die spätere Manager-Karriere brauchen - Dinge wie Präsentationstechnik, Rhetorik, interkulturelle Kompetenz, Projekt- und Change Management - wird den Wirtschaftsinformatikstudenten in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Schlüsselqualifikationen an der Universität vermittelt.
Was Studenten in ihrem Studienfach Spaß macht und was CIOs vom künftigen IT-Führungsnachwuchs erwarten, lässt sich nicht ganz auf einen Nenner bringen. So verteidigt Alexander Neff gegen die Kritik seines Vaters auch das dreimonatige Projekt, in dem er mit Kommilitonen das Millionärsspiel fürs Mobiltelefon programmierte. Es sei sehr praxisnah gewesen, auch wenn der Vater hinterfragt, welche Relevanz eine Programmiersprache wie Java in zehn Jahren noch hat. Zum Thema Change-Management habe ein Professor außerdem ein Planspiel veranstaltet. "Wir sind als Consultants aufgetreten und sollten Konflikte zwischen CIO, Betriebsrat und den anderen Beteiligten schlichten. Das war wirklich gut", betont er. Nicht zu vergessen das Fallstudienseminar in Unternehmensethik, in dem der Dozent den Enron-Skandal erklärte. Michael Neff hakt ein: "Für die Wirtschaftsinformatik gibt es zum Thema Ethik passendere Beispiele." Er denke da an Fragen, inwieweit die IT-Abteilung das Anwenderverhalten auswerten darf oder wie Passwörter verwaltet werden müssen.
Laut dem neuen Hochschul-Ranking von Access KellyOCG in Kooperation mit Universum Communications und der Verlagsgruppe Handelsblatt gehört Mannheim im Fach Wirtschaftsinformatik zu den Spitzenuniversitäten. In der jüngsten Ausgabe der Rangliste von Ende Mai landet die Mannheimer Wirtschaftsinformatik im Urteil der 5000 befragten Personaler wie schon im Vorjahr auf dem dritten Rang hinter den Technischen Universitäten in Darmstadt und München. Michael Neff steht der Rangliste skeptisch gegenüber. "Die hätten auch CIOs fragen sollen, nicht nur Personaler", sagt er. Für seinen Sohn Alexander waren Hochschul-Rankings dagegen einer der Gründe, warum er sich fürs Studium in Mannheim entschied. Und auch kurz vor Ende des achten Semesters zeigt er sich zufrieden mit seiner Wahl. Wenn er Kritik äußert, mahnt er zum Beispiel an, dass es noch mehr Teamräume geben müsste, in denen Studenten in Gruppen agile Methoden wie Scrum üben können.
Immerhin Profis in Rhetorik
Bundesweit ist fehlender Praxisbezug immer noch eine der großen Schwachstellen der akademischen Ausbildung - selbst beim eigens für den frühen Berufseinstieg konzipierten Bachelor. Von 8000 für eine Studie des Bundesbildungsministeriums befragten Bachelor-Studenten bescheinigte nicht einmal jeder Dritte seiner Hochschule, ihn gut auf die Arbeitswelt vorbereitet zu haben. Wobei die jungen Absolventen zumindest einige praxisrelevante Inhalte ihres Studiums schon gut verinnerlicht haben, wie eine Beobachtung von Michael Neff zeigt: Dank Rhetorikseminar und Körpersprachetraining träten die Jungen heute viel selbstbewusster auf, als er es früher gekonnt habe, meint Neff. "Oft merkt man dann erst bei genauem Nachfragen, welche Kompetenz dahintersteckt."