Unter zunehmendem Wettbewerbsdruck muss die Autoindustrie schnell auf Kundenanforderungen reagieren; kurze Lieferfristen sind erfolgskritisch. Das gilt auch für den Volkswagen-Konzern, der in seinem Werk in Hannover-Stöcken den Transporter "T5" in allen Varianten baut. Deshalb lässt sich der Konzern seit dem vergangenen Sommer sämtliche T5-Komponenten so an die Fertigungsstraßen liefern, dass die Bauteile dort nicht nur zur rechten Zeit, sondern auch in der richtigen Reihenfolge ankommen.
"Just in Sequence" (JiS) heißt das logistische Servicekonzept dahinter. "Je nachdem, welches Fahrzeug gerade montiert wird, kommt zuerst die blaue, dann die rote, dann die grüne Stoßstange an, und zwar exakt dort, wo sie benötigt wird", erläutert Bernd Pahnke, im Vorstand von Schenker Deutschland zuständig für die Sparte Logistik und Systementwicklung, den Unterschied zur Just-in-Time-Lieferung. "Die Werker können die Augen im Grunde genommen zumachen."
Die Deutsche-Bahn-Tochter Schenker aus der Stinnes-Gruppe arbeitet seit 1988 als Logistik-Dienstleister für Volkswagen Nutzfahrzeuge (VWN), hat auch das neue Produktversorgungszentrum direkt gegenüber dem Werk aufgebaut und betreibt es nun. Konzeptionelles und im Wortsinn tragendes Element der Logistiklösung ist eine 360 Meter lange Brücke zwischen dem Logistikzentrum und der Fertigung. Hier transportieren 260 Konvois aus Elektrofahrzeugen täglich rund 1100 Container mit Bauteilen, die in JiS-Gestellen für die unterschiedlichen Montageorte im Werk vorsortiert sind.
Alle zwei Minuten und 44 Sekunden sendet das VWN-Produktionsplanungs-System einen standardisierten EDI-Impuls (Electronic Data Interchange) an das Produktversorgungszentrum. Der Impuls enthält Informationen über die demnächst zu produzierenden Fahrzeuge und sorgt dafür, dass die Ladung des nächsten Konvoi zeitnah und produktionsgerecht kommissioniert werden kann. Zwischen dem Impuls und der Auslieferung per Konvoi liegen ungefähr 50 Minuten; das entspricht den Anforderungen der Produktion. Pahnke betont jedoch, dass das Schenker-System Produktionsabrufe bei Bedarf auch innerhalb einer halben Stunde erledigen könnte.
Bordnetze sind kritische Komponenten
Die 90 Mitarbeiter des Lieferantenparks, der in das Produktversorgungszentrum integriert ist, verteilen täglich rund 40 Lkw-Ladungen mit zirka 2000 unterschiedlichen Zulieferteilen von einem Dutzend Lieferanten auf diese Container. Der kritischste Teil für die Logistiker sind die Bordnetze der Fahrzeuge. Die Kabelbäume verlaufen unterhalb aller Verkleidungen und hinter dem Armaturenbrett und müssen deshalb zuerst verbaut werden. Nichts geht, bis der Kabelbaum vorhanden und ins Rohfahrzeug eingebaut ist. "Dann steht das Band", verdeutlicht Pahnke die Konsequenzen.
Das Logistikzentrum hat insgesamt 40 Millionen gekostet; die IT war mit "rund einer halben Million Euro", so Pahnke, vergleichsweise billig. Zum Einsatz kommen My SAP SCM und SAP for Automotive. Die modulare Bauweise der Branchenlösung gab laut Pahnke den Ausschlag dafür, dass unter fünf evaluierten Lösungen die Walldorfer den Zuschlag erhielten. Dazu beigetragen hat sicher auch, dass Schenker sowohl das SCM-Modul als auch die Automotive-Lösung bereits an anderen Standorten einsetzt. In Hannover dauerte die Einführung des Systems durch ein Team von SAP-Spezialisten aus der Essener Schenker-Zentrale und von der Unternehmensberatung IGZ ein halbes Jahr, wenn man eine Machbarkeitsstudie im Vorfeld außer Acht lässt.
Alle Prozesse im neuen Lieferantenpark sind nun in SAP abgebildet: von Wareneingang, Einlagerung und Kommissionierung über Sequenzierung, Vormontage, Staplersteuerung und Etikettierung bis hin zur Lagerung beziehungsweise Anlieferung an die Montagebänder. Mittels "Multicustomer-Warehousing" können außerdem die Bestände aller Lieferanten im Lager synchron verwaltet und überwacht werden. Direkt ins System sendende Datenfunkgeräte bieten die Möglichkeit, scannergestützte Geschäftsvorgänge, wie etwa Wareneingänge von Lieferanten, online zu buchen.
Das neue Produktversorgungszentrum arbeitet deutlich effizienter als die vorige Lösung, sagt Pahnke. Die Kennzahlen wie Lagerumschlag, Verfügbarkeit und Kapitalbindung ließen sich allerdings nur mit Vorsicht vergleichen, weil jetzt nicht nur eine andere IT-Lösung am Werk ist, sondern die gesamte Versorgungsinfrastruktur samt Hallen, Staplern, Elektrozügen und Brücke neu aufgesetzt wurde. Der Logistikvorstand versichert jedoch: "Der Logistikprozess ist heute viel schlanker und effizienter als vorher. Wir haben einen großen Sprung nach vorn gemacht."