Miodrag Vazic, 31, ist ein Glückspilz. Nicht allein, weil der slowenische IT-Spezialist mit seinem Job als Business Process Analyst zufrieden ist. Bei der Unicredit Bank in München entwickelt er Plattformen, über die Kredite online laufen. Aus seinen Pflichtenheften geht hervor, wie Suchfelder aussehen und wie das Programm mit dem Backend verknüpft sein soll.
Dass er bei der italienischen Bank in der bayerischen Hauptstadt arbeitet, hat er dem Zufall zu verdanken, wie er offen gesteht. "Ohne Hilfe wäre ich in Slowenien geblieben. Das hätte meine Frau ziemlich traurig gemacht." Vazic profitierte von "Dual Career", einem ungewöhnlichen Serviceangebot des Pharmariesen Sandoz. Als die Firma seine Gattin am deutschen Hauptsitz in Holzkirchen nahe der Isar-Metropole fest anstellte, war Teil des Anstellungsvertrags, dass auch der Lebenspartner der Mitarbeiterin dabei unterstützt wird, mit nach München zu kommen, um dort seine berufliche Karriere fortzusetzen.
Ein solches Angebot ist im Arbeitsmarkt noch die Ausnahme. Zwar wagen sich Unternehmen beim Ringen um qualifizierte Kräfte oft vor bis an die Schmerzgrenze: Firmenwagen? Warum nicht. Gezielte Weiterbildung und verlässliche Karrierewege? Das kriegen wir hin. Ein deutliches Plus beim Gehalt? Darüber lässt sich reden. Doch wenn es um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie geht, bleibt es meist bei Lippenbekenntnissen: Herrschaaren von Fach- und Führungskräften arbeiten in der Ferne und sehen Partner und Kinder bloß am Wochenende.
Dass Mitarbeiter sich wohlfühlen und bessere Leistungen zeigen, wenn ihr privates Umfeld nicht auseinandergerissen wird, ist eigentlich eine betriebswirtschaftliche Binsenweisheit. "Wir laden die Partner der Kandidaten im Vorfeld stets mit ein", sagt Günther Olesch, Vorstand und HR-Chef von Phönix Contact, einem Elektronikhersteller im ostwestfälischen Blomberg, der Ingenieure und IT-Experten in großer Zahl sucht. Würde ein Kandidat allein anheuern wollen, um eine Wochenendbeziehung zu führen, ohne seine Familie mitzunehmen, "akzeptieren wir das nicht".
Nun ist Ostwestfalen nicht Oberbayern, Blomberg nicht München. Gut ausgebildete Fachkräfte zieht es eher in die Metropolen, die Hochburgen ihrer Branche, wo das Geschäft brummt und abends um neun nicht die Bürgersteige hochgeklappt werden. Wer jedoch glaubt, die Unternehmen würden sich wie Sandoz oder Phoenix Contact um die Partner ihrer Beschäftigten kümmern, irrt. "Viele Personaler in Münchner Firmen ziehen die Augenbraue hoch, wenn sie darauf angesprochen werden", sagt die Tutzinger Unternehmensberaterin Simone Burth, die Vazic half, bei der Unicredit Bank anzuheuern. Bloß keine Forderungen stellen, laute das Motto. "Sie können doch froh sein, wenn wir Ihnen in dieser schönen Stadt überhaupt einen Job anbieten."
Vorbild Universitäten
Neben strotzender Arroganz herrscht oft Unwissenheit in Personalabteilungen. Dual Career oder "Spouse Management", wie es bisweilen heißt, sind noch ziemlich unbekannt. Zwar werden Themen wie Frauen in Führungspositionen oder die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben seit Jahren breit diskutiert. Sieht man aber genau hin, tut sich wenig in der Wirtschaft. "Unternehmen bewegen sich erst, wenn ihnen keine Wahl bleibt", sagt Jörg Breiski von der schwedischen Personalberatung Mercuri Urval in München. "Offenbar ist der Schmerz noch nicht groß genug."
In dieser Hinsicht sind Universitäten schon weiter. Dort geht man im Wettbewerb um die besten Köpfe effektiver vor. Rund 40 deutsche Hochschulen, schätzt Kerstin Dübner-Gee, die das Dual Career Office an der Technischen Universität München leitet, hätten bereits solche Anlaufstellen eröffnet und zum großen Teil auch schon Netzwerke zur regionalen Wirtschaft geknüpft. "Professoren", erläutert sie die Gründe für Dual Career, "übernehmen einen Lehrstuhl oft nur dann, wenn auch die Familie mitkommen und einen Mehrwert im oft belastenden Ortswechsel erkennen kann." Im Klartext: Ohne berufliche Perspektiven für die Partner und ohne Unterstützung der Familie kommt niemand.
Weil nicht alle Partner im wissenschaftlichen Bereich eine Arbeit finden, wird das Netzwerk zur regionalen Wirtschaft "angezapft". In München arbeitet Dübner-Gee mit Siemens, General Electric, dem Fraunhofer Institut oder auch Infineon zusammen. "Als potenzielle Arbeitgeber von heftig umworbenen Fach- und Führungskräften müssen Unternehmen künftig mehr anbieten als Umzugshilfen", sagt Ralf Memmel. Er verantwortet beim Münchner Chip-Konzern das Talent Marketing und ist zuständig für die Themen Diversity und Gesundheit. Man engagiere sich nicht zuletzt deshalb im Dual-Career-Netzwerk der TU München, weil noch immer "viel zu wenige hochqualifizierte Frauen im technisch-wissenschaftlichen Bereich Karriere machen".
Experten halten Dual Career für einen zukunftsträchtigen Ansatz im Recruiting, gerade in der Wirtschaft. Doch es braucht Zeit, bis Firmen sich damit anfreunden. Zwar sind Unternehmen durchaus bereit, tief in die Tasche zu greifen, um spezielle Leute zu gewinnen. Entweder gewähren sie einen Gehaltszuschlag (spousal allowance), den der Partner für einen Headhunter, eine Karriereberatung oder eine Weiterbildung verwenden kann. Personalberater Breiski kennt auch Firmen, die Häuser mietfrei zur Verfügung stellen und Boni gewähren, damit der Kandidat den Arbeitsvertrag unterschreibt.
Dual Career in der Praxis
Aufklärung tut Not, nicht zuletzt um Dual Career kein dubioses Image zu verpassen. Jeder Bewerber müsse sich denselben Anforderungen stellen, sagt Infineon-Manager Memmel. Positionen würden nur besetzt, wenn sie auch vakant sind. "Wir schaffen keine Stellen, um Leute unterzubringen", räumt Memmel jeglichen Zweifel vom Tisch. Fakt ist: IT-Experten werden händeringend gesucht - nicht nur im Münchner Raum, auch in der IT-Hochburg Karlsruhe. Obwohl dort viele Positionen nicht besetzt werden können, allein 50 Stellen für Softwareentwickler beim Web-Dienstleister 1&1, fristet das Thema ein Schattendasein.
"Wir haben letztes Jahr einen Produkt-Manager eingestellt und seine Gattin im Support untergebracht", sagt 1&1-Sprecher Michael d’Aguiar. Das sei aber eine Ausnahme. Spreche ein Kandidat das Thema Dual Career an, könne man zwar das Bewerbungsverfahren verkürzen und Partner zügig zum Gespräch einladen. "Um jeden Preis engagieren wir uns aber nicht." Auch unter den rund 60 IT-Firmen vor Ort, die sich im sogenannten "Cyber Forum" zusammengeschlossen haben, ist kaum jemand bereit, interessanten Kandidaten zu sagen: "Wir wollen nicht nur Dich, wir wollen auch, dass Dein Partner im Karlsruher Raum seine Karriere fortsetzen kann und Du Dich mit Deiner Familie wohlfühlst."
Vor dem Problem verschließt Cyber-Forum-Chef David Hermanns nicht die Augen. "Dual Career wird auch für uns wichtig. So können wir vielleicht viel mehr herausragende Leute in die Region locken." Freilich fehlen den überwiegend kleinen und mittleren Firmen die nötigen Mittel, um sich stärker zu engagieren. Denn eines ist den Akteuren klar: Im Arbeitsmarkt verschieben sich die Gewichte. Zusehends sind Unternehmen mit hochqualifizierten Kandidaten konfrontiert, die akademisch gebildete Partner haben. Auch sie stellen Forderungen und denken nicht daran, ihre eigene Karriere zu unterbrechen.
Ein Trend, der sich auch bei der Allianz in München bemerkbar macht. Christina Franz, die sich neben ihrer Aufgabe als Risk Managerin auch um das Dual-Career-Thema kümmert, kann vor Blauäugigkeit nur warnen: "Wenn Partner und Familien sich nicht wohlfühlen, ist das Projekt zum Scheitern verurteilt und es drohen hohe Folgekosten." Ausgaben für Besichtigungsreisen, Umzug und Headhunter summieren sich auf eine sechsstellige Höhe und sind im Nu verbrannt, wenn der frisch angeheuerte Mitarbeiter wieder abspringt. Dagegen fällt die Dienstleistung, wie sie etwa Beraterin Burth für "Spouse Management" in Rechnung stellt, mit einigen Tausend Euro vergleichsweise bescheiden aus.
Doch nicht nur Unternehmen reizen die Möglichkeiten, umworbenen Kräften eine echte "Work-Life-Balance" zu bieten, zu wenig aus. Auch Kandidaten, zumindest im deutschen Arbeitsmarkt, wissen oftmals nicht, welchen Trumpf sie möglicherweise mit Dual Career ausspielen könnten. Headhunter Breiski zufolge fordern viele begehrte Fach- und Führungskräfte nicht selbstbewusst ein, dass auch ihren Partnern Chancen zur Fortsetzung der Karriere eröffnet werden. Breiski: "Ich vermute, dies ist häufig der entscheidende Grund, warum sie die angebotene Position nicht annehmen." (Computerwoche)
Winfried Gertz ist freier Journalist in München