"Jetzt ist handfeste IT-Arbeit gefragt." Mit diesen Worten bringt Olaf Lodbrok, Geschäftsführer des Marktplatzes für Krankenhausbedarf Medicforma.com, die Situation derB-to-B-Exchanges auf den Punkt. Der Healthcare-Bereich ist ein gutes Beispiel für den Absturz aus dem Hype der Jahre 2000 und 2001 in die Realität. Von 15 Wettbewerbern konnten sich nur zwei am Markt behaupten. Präsenz in Deutschland zeigen Global Healthcare Exchange (GHX) und die Bertelsmann-Tochter Medicforma.com. Beide gehören zu den knapp 1000 weltweiten und 90 deutschen Marktplätzen, die bisher der Auslese Stand gehalten haben und deshalb noch auf der Positivliste von Marktbeobachtern wie E-Marketservices.com oder Berlecon zu finden sind.
Nach Schätzung von Hubert Österle, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Universität St. Gallen, waren es sogar rund 6000 Gründungen, die im Bereich Business-to-Business (B2B) ihr Glück versuchten. Gerade noch 200 ernst zu nehmende Exchanges zählt Österle heute. Für ihn ist "die volks- und betriebswirtschaftliche Notwendigkeit von global funktionierenden Exchanges keine Frage". Den Bedarf für Plattformen, die eine unternehmensübergreifende Zusammenarbeit ermöglichen, sieht er deshalb künftig steigen. Offen sei jedoch, welche Standards sich in welcher Geschwindigkeit durchsetzen würden.
Zweckorientierung statt Visionen
Elektronische Ausschreibungen und Auktionen, einst die Hoffnungen der Branche, sind inzwischen Randthemen. Statt von Marktplätzen sprechen Experten auch lieber von "Hubs, "Trading Networks" oder "Exchanges - mit teils sehr umfangreichen Produkt- und Servicekatalogen. Ihr Hauptzweck ist, Bestellvorgänge und Warenaustausch zu automatisieren und den Dokumentenfluss zu standardisieren. Zusätzlich gilt es, Medienbrüche in der Lieferkette und in Warenwirtschaftssystemen zu eliminieren. John Block, Director Implemention der Transaktionsplattform Bolero, bestätigt die Entzauberung der virtuellen Marktplätze: "Heute nimmt niemand Geld in die Hand, wenn der RoI nicht innerhalb eines Jahres eintritt."
Blocks Kunde Otto-Versand ging das Thema beim Start der Zusammenarbeit 1999 weit offener an: Ziel war es,80 Prozent der Transaktionen mit Partnern elektronisch abzuwickeln und die wichtigsten Lieferanten innerhalb von drei Jahren anzuschließen. Der Pilotbetrieb startete 2001. Nach Anlauf der eigentlichen Betriebsphase Anfang 2003 soll sich die Investition spätestens 2006 rentieren. Block ist sehr zufrieden mit der Otto-Partnerschaft; schließlich hat der Versandhändler mit seinen zahlreichen Lieferanten in Fernost Bolero dabei geholfen, den asiatischen Markt aufzurollen. Ende kommenden Jahres will die Plattform den Break-even erreichen.
Nutzerzahlen steigen wieder
Bereits im Juli meldete die Chemie-Plattform CC Chemplorer, man habe den Break-even erreicht. Innerhalb eines Jahres stieg die Zahl der Lieferanten um 50 Prozent auf knapp 500. Auch Unternehmen aus der Nahrungsmittel- und Automobilindustrie nutzen aus diesem Grund die Plattform, die in zwölf Monaten um 20 Prozent gewachsen ist. Bayer, BASF, Degussa und Henkel gehören zu den 33 einkaufenden Unternehmen. Die Anzahl der Nutzer stieg von 24 000 auf 33 000. CC Chemplorer bietet sowohl den Einkauf über Katalogdatenbanken mit einem monatlichen Transaktionsvolumen von etwa 20 Millionen Euro als auch einen Hub für den automatischen Dokumentenaustausch zwischen Warenwirtschaftssystemen per XML. Für Christian Baader, Business Development SAP, zählt CC Chemplorer zu den "Winning Models", die die kritische Masse erreicht hätten und durch wachsende Transaktionsmöglichkeiten eine immer größere Attraktivität für die Teilnehmergewännen. Die Kosten, die sich normalerweise aus einer Monats- oder Jahresgebühr und dem Transaktionsumsatz zusammensetzen, scheinen für viele Teilnehmer kaum ins Gewicht zu fallen - sobald sich nur positive Effekte durch genügend Transaktionen einstellen.
Werben um den skeptischen Mittelstand
Fragt man Experten, was den raschen Durchbruch von Marktplätzen in der Boom-Zeit verhinderte, erfährt man von Oliver Müller, Director Produktmarketing EMEA beim Softwareanbieter Commerce One, dass etliche Startups die Zeit unterschätzt hätten, bis Kunden neue Angebote akzeptieren. "Vielen fehlte es an Branchenwissen und Kontakten, um den skeptischen Mittelstand zu überzeugen. Dies und die nachfolgende Investitionsschwäche zwangen den einstigen Shooting-Star Commerce One, aber auch Wettbewerber Ariba und Anbieter wie Oracle, zu radikalen Konsolidierungen. Auf den Mittelstand setzt man weiterhin; genau hier sehen Commerce-One-Partner SAP und andere Anbieter von ProzesssteuerungssoftwarePotenzial für den Anschluss an die Netzwerke der Großindustrie.
Ganz ohne Visionen und Hoffnungen geht es aber auch künftig in der E-Marktplatz-Szene nicht. "Warum sollen Unternehmen teures Know-how aufbauen, um ihre Kataloge zu pflegen?, fragt Baader von SAP und denkt wie Müller an das Geschäftsmodell des Application Service Providing (ASP) - ein Service, der auf elektronischen Marktplätzen ideal zur Verfügung gestellt werden könne. Thorsten Wichmann, Chef von Berlecon Research, bremst jedoch allzu große Hoffnungen auf eine schnelle Trendwende und sieht trotz der positiven Entwicklungen bei etlichen großen Branchen-Exchanges noch kein Revival.
"Nicht mehr als zwei bis drei Marktplätze pro Branche werden sich herausbilden, schätzt Österle. Schwerer werden sich, so die Experten, branchenübergreifende Anbieter tun, hinter denen keine Konzerne wie dieTelekom stehen. Norbert Fischer, Leiter des BereichsE-Marktplätze im Beratungshaus Cap Gemini Ernst & Young, fasst seine Perspektive wie folgt zusammen: "Das Zauberwort B-to-B, das einst den Marktplatz-Hype mit beflügelt hat, muss heute mit 'Back to Business' übersetzt werden. Gefragt sind Effizienz, Kostensenkung und konkreter Nutzen."