CIO.de: Sie haben den Document Freedom Day gefeiert. Was ist das?
Anke Domscheit-Berg: Den Document Freedom Day gibt es seit 2008. Er ist immer am letzten Mittwoch im März und wurde von Anfang an auch in Deutschland begangen. Man möchte damit darauf aufmerksam machen, dass den Bürgern mehr Informationen zur Verfügung gestellt werden sollten, insbesondere Dokumente der öffentlichen Hand. Es sind also nicht nur offene Daten, sondern auch Protokolle und Gutachten gemeint. Und: Diese Dokumente müssen der Öffentlichkeit auch in einem offenen Standard, einem offenen Format zugänglich sein. Der Staat kann den Bürgern hier keine Plattform vorschreiben.
CIO.de: Sie sind bei der Piratenpartei die Themenbeauftrage für Open Data. Was ist Ihre Kritik am Stand der Dinge?
Domscheit-Berg: Bei Open Data steht Deutschland nicht an vorderster Front, wir haben uns sehr schwer getan und sind im Vergleich mit anderen Ländern um Jahre zurück. Auch die Art und Weise der Einführung unterscheidet uns. Wir machen mehr bottom-up. Das erste Open Data Portal entstand in Berlin als Folge einer einjährigen Aktionsplattform von interessierten Menschen. Es war keine strategische Entscheidung, top-down, aus der Verwaltung heraus.
Ein Versuch, es andersherum zu machen ist das Nationale Open Data Portal der Bundesregierung, angekündigt schon im Dezember 2010 auf dem IT-Gipfel in Dresden. Nach der langen Entwicklungszeit von mehr als zwei Jahren gab es hohe Erwartungen. Doch: Der Berg kreiste und gebar ein Mäuschen.
Es heißt nun auch nicht mehr Open Data Portal, sondern GovData Portal. Das ist nur konsequent, denn es gibt hier einen nationalen Sonderweg mit zwei Deutschlandlizenzen, eine davon („NC"; Non commercial) erlaubt die kommerzielle Nutzung nicht. Das ist dann aber kein Open Data mehr. Auch EU-Kommissarin Neelie Kroes kritisierte nationale Sonderwege. Denn das hat ja auch etwas mit der Nutzbarkeit der Daten über Ländergrenzen hinweg zu tun.
CIO.de: Ist der Grund, dass die Verwaltung die Daten eventuell an Dritte verkaufen will?
Domscheit-Berg: Das ist für mich keine legitime Annahme. Der Staat ist nicht dazu da, Geld zu verdienen, sondern Dienstleistungen für die Bürger zu erbringen. Die Daten sind mit Steuergeld gesammelt worden. Sie den Bürgern noch einmal zu verkaufen, finde ich daneben.
CIO.de: Wieso hängt Deutschland so hinterher?
Domscheit-Berg: Das ist auch für mich ein Rätsel. Ich glaube, ein Hauptproblem ist, dass wir an der Spitze der Bewegung nicht die Spitze der Regierung haben. Open Government gehört nicht zur Vision im Kanzleramt und auch die Ministerpräsidenten der Länder nimmt man hier nicht als richtungweisend wahr.
"Warum interessiert es so wenig? Ich habe keine Antwort darauf"
Ich bin auch sehr enttäuscht von der rot-grünen Regierung in NRW. Die Koalitionspartner haben die Umsetzung von Open Data schon vor vier Jahren in den Koalitionsvertrag geschrieben aber bis heute, Jahre später, noch immer nicht umgesetzt. Dabei ist das keine Hexenkunst, nicht kompliziert und auch nicht teuer. Man kann es von anderen Ländern kopieren, trotzdem passiert jahrelang nichts. In den neuesten Ankündigungen aus NRW ist sogar davon die Rede, die schon beim GovData Portal kritisierten Deutschland-Lizenzen übernehmen zu wollen für das künftige Open Data Portal. Und damit wird es auch in NRW dann nicht mehr wirklich Open Data werden.
Warum interessiert es so wenig? Ich habe keine Antwort darauf. Ich denke, es ist eine Frage der Priorisierung. In vielen Ländern ist das anders. In der Open Government Partnership engagieren sich fast 60 Länder, viele europäische Nachbarn, nur Deutschland nicht.
CIO.de: Wie kann man das ändern?
Domscheit-Berg: Wir müssen Druck von unten, durch die Zivilgesellschaft und mithilfe der Medien, aufbauen. Es gibt in der Verwaltung viele subtile Ängste, besonders in der Mittelebene. Sie glauben: Damit mache ich mich angreifbar, man könnte bei mir Fehler finden, jemand kontrolliert oder beobachtet uns dann. Dabei gibt es so viele Vorteile auch für die Verwaltung selbst, wenn sie sich mehr öffnet.
CIO.de: Hat die Angst vor der Piratenpartei in die Debatte Bewegung gebracht, so dass der Durchbruch kurz bevorsteht?
Domscheit-Berg: Ich habe das schon ein paar Mal gehofft. Als die Piratenpartei in den Umfragen sehr viel stärker war, war der psychologische Druck auf die Politik natürlich auch viel höher. Bärenfelle und potenzielle Koalitionsmöglichkeiten drohten wegzuschwimmen. Davor hat man jetzt weniger Angst.
"Der Staat macht sich intransparent, möchte die Bürger aber durchleuchten"
Eine gewisse Angst könnten die anderen Parteien aber ruhig behalten. Denn die Wahl ist erst in ein paar Monaten, und es gibt immer noch realistische Chancen, in den Bundestag einzuziehen. Und die Bürger aus den Umfragehochs, die gibt es auf jeden Fall immer noch. Die sind noch immer genauso unzufrieden.
Es gibt bei den Politikern eine extreme Zurückhaltung, wenn es darum geht einen gläsernen Staat und gläserne Abgeordnete zu ermöglichen, aber eine große Begeisterung, wenn es darum geht, gläserne Bürger zu schaffen. Der Staat macht sich möglichst intransparent, möchte die Bürger aber durchleuchten. Ein aktuelles Beispiel dafür ist das neue Gesetz zur Bestandsdatenauskunft.
CIO.de: Gibt es zu wenig Internet-Kompetenz unter den Politikern im Bundestag?
Domscheit-Berg: In der Breite gibt es diese Kompetenz nicht, nur bei einzelnen Personen, den Netzpolitikern, die innerhalb der Parteien leider nicht so wichtig sind und auf die deshalb nicht so gehört wird. Die Generation der Mehrheit im Bundestag versteht vieles davon nicht, doch jedes Jahr werden es mehr, die sich mit diesen Themen besser auskennen.
CIO.de: Was halten Sie vom IT-Gipfel und von der Forderung nach einem Bundes-CIO?
Domscheit-Berg: Der IT-Gipfel ist nur eine einmalige Veranstaltung im Jahr, dazwischen tagen noch ein paar Arbeitsgruppen. Das Ganze ist aber sehr intransparent und wenig partizipativ. Die Zivilgesellschaft ist weitgehend ausgeschlossen, weil nur Regierung und Wirtschaft am Tisch sitzen. Das funktioniert zu diesen Themen aber nicht.
Einen CIO des Bundes würde ich ausdrücklich begrüßen. Man darf sich aber auch hier nicht auf das reine Thema IT konzentrieren, es geht um einen kompletten Kulturwandel in Politik und Verwaltung. Diesen Wandel kann ich aber nicht alleine mit IT, IT-Verantwortlichen und IT-Abteilungen erreichen. Wir müssen breiter denken. Es geht auch um Bürgerbeteiligung im realen Leben, nicht nur um Tools, wo Bürger ja oder nein klicken können. IT-Verantwortliche denken oft zu einseitig, sind oft zu stark in IT-Strukturen und -Architekturen verwurzelt.
Gutes Beispiel BER Watch für Berliner Flughafen
CIO.de: Als ein Beispiel für Transparenz in der Politik gibt es von den Piraten im Berliner Abgeordnetenhaus „BER Watch", eine Plattform zu den Vorgängen um den Bau des Flughafens.
Domscheit-Berg: Ja, das wäre eigentlich eine Aufgabe der Flughafengesellschaft gewesen. Die Piraten haben diese Lücke gefüllt. Es gibt bei dem Projekt eine große Intransparenz, weil es sehr groß, sehr langwierig und extrem komplex ist. Niemand hat hier einen Überblick.
Auf BER Watch kann man jetzt einen sehr strukturierten Einblick in die öffentlich frei gegebenen Dokumente nehmen und nachvollziehen, was eigentlich genau passiert ist und damit Licht ins Dunkel bringen. Für mich ist diese Plattform eine Art Gold-Standard für Untersuchungsausschüsse. Man bietet hier alle Informationen auf verschiedene Arten und Weisen an. So kann man themenbasiert suchen, und sich alle Dokumente sortiert nach verschiedenen Kategorien, wie etwa Lärm oder Brandschutz, anzeigen lassen.