Es war keine gewöhnliche Veranstaltung, die am vergangenen Freitag in Berlin stattfand. Denn zu Beginn stand noch nicht einmal die Tagesordnung fest. Doch das war so gewollt. Denn beim Government 2.0 BarCamp Berlin in den Räumen der Hertie School of Governance in der Friedrichstrasse konnten alle Teilnehmer das gemeinsame Programm zu Beginn der Veranstaltung selbst zusammen stellen. "Die Idee ist einem Vorbild aus Washington nachempfunden, bei dem erstmalig Menschen mit ganz verschiedenem Hintergrund der Frage auf den Grund gingen, welche Potenziale das Web 2.0 für die Verwaltung bietet", sagte Anke Domscheit, die Mitglied des veranstaltenden Innovatorsclub des Deutschen Städte- und Gemeindebundes ist und sich bei Microsoft seit vielen Jahren mit E-Government-Themen beschäftigt.
Rund 350 Teilnehmer hatten sich angemeldet, davon rund 40 Prozent aus der Verwaltung und viele Vertreter von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die sich mit Demokratiefragen beschäftigen. Dabei waren auch Mitglieder des Chaos Computer Clubs, der Piratenpartei, Experten von Fraunhofer Instituten, Bundestagsabgeordnete, Universitätsprofessoren und auch viele "normale" Bürger, die sich für neue Wege zwischen Bürgern, Politik und Verwaltung interessierten. Jeder, der wollte, konnte kommen, kostenlos zuhören, mitmachen - und auch selbst ein Thema anbieten.
Sehr angetan zeigte sich Franz-Reinhard Habbel, Sprecher des Deutschen Städte- und Gemeindebundes und des "Innovators Club - Deutschlandforum Verwaltungsmodernisierung", von der eigenen Veranstaltung. "Das Web 2.0 verändert Politik und Verwaltung radikal", ist er überzeugt. Die Bürger sollten zukünftig nicht nur Wähler oder Dienstleistungsempfänger sein, sondern auch als Rat- und Ideengeber dienen. "Public Private Partnership" werde durch "Public Citizen Partnership" ergänzt, hofft er. Als Beispiele dienen ihm Städte wie Köln und Hamburg, wo die Bewohner in "Bürgerhaushalten" im Internet über die kommunalen Ausgaben mitbestimmen können.
Nicht ganz so begeistert wie Habbel war Hans Bernhard Beus, Beauftragter der Bundesregierung für Informationstechnik ("Bundes-CIO") auf der Auftaktpressekonferenz. Er räumte ein, dass es bisher nicht besonders viele Mitmach-Angebote des Bundes gäbe. Zumindest habe man aber die Pläne für eine Bürger-E-Mail (DE-Mail) frühzeitig zur Diskussion gestellt. Beus warnte davor, bei den Bürgern falsche Erwartungen zu wecken. "Denn letztlich entscheiden immer noch die gewählten Abgeordneten des zuständigen Parlaments".
Einig waren sich die Teilnehmer, dass es beim Thema Government 2.0 nicht so sehr um die Einführung neuer Techniken ginge, sondern vor allem um eine neue Verwaltungskultur. Jürgen Häfner, CIO des Landes Rheinland-Pfalz, äußerte sich zuversichtlich, dass die Verwaltung mit zieht. "Die Einführung der elektronischen Akte in der Justizverwaltung hat problemlos geklappt." Anke Domscheit, Director Government Relations bei Microsoft, wies darauf hin, dass es bei Government 2.0 anders als bei der elektronischen Petition oder bei Abstimmungen nicht nur um Fragen ginge, die mit ja oder nein beantwortet werden könnten, sondern dass es hier auf "das ganze Feld der Schattierungen dazwischen" ankomme.
Über das Web-2.0-Tool FixmyStreet
Die Bürger könnten Anregungen geben und ihre Wünsche einbringen. Ein gutes Beispiel sei das Web-2.0-Tool FixmyStreet aus Großbritannien, bei dem Bürger online Missstände wie etwa eine kaputte Straßenlaterne melden können. Unter die Top-10 der gewünschten E-Government-Anwendungen wählten die Briten einen auf Geodaten basierten Toiletten- und einen Briefkastenfinder. "Es lohnt sich, die Bürger zu fragen, was sie sich wünschen. Es sind oft ganz einfache Dinge, auf die die Verwaltung selbst nie gekommen wäre." Die Transportation Security Agency der USA nutze Twitter für ihre interne Kommunikation, die Stadt Boston suche über den Kurznachrichtendienst gestohlene Fahrräder und die amerikanische Bundespolizei FBI Verbrecher.
Doch, so Habbel, während Government 2.0 beta ist, experimentell, vorübergehend und flüchtig, sei die Verwaltungsarbeit alpha. Alle hier getroffenen Entscheidungen müssten rechtskonform, überprüfbar und regelgebunden sein. "Es wäre schon ein Fortschritt, wenn nicht für alles, was ein Mitarbeiter eines Ministeriums zur Diskussion stellt, gleich die gesamte Behörde oder der Minister verhaftet wird", wünschte sich Beus. Denn auch die Öffentlichkeit - und die Medien - müssten umdenken, wenn sich die Verwaltung mehr nach außen öffnen und öffentliche Diskussionen auch bereits im Vorfeld zulassen solle.
Im internationalen Vergleich belegt Deutschland in punkto E-Partizipation (noch) keinen Spitzenplatz. Schuld daran seien häufig verwaltungsinterne Barrieren. Die Organisatoren dieser Konferenz wollen das ändern. Aber noch, so meint zumindest Domscheit, sei die Sprache von Verwaltung, Digital Natives und Social Media Experts einfach zu verschieden.