Accenture bebildert seine aktuelle ERP-Analyse mit dem Foto eines Walfs. Das ist deshalb aussagekräftig, weil sich die Analysten gegen einen Dinosaurier und für ein nicht ausgestorbenes Lebewesen entschieden haben. Die Quintessenz lautet: Die als „big systems“ apostrophierten klassischen ERP-Systeme werden bleiben, ihnen wird nicht von cloud-basierten On-Demand-Services der Garaus gemacht werden.
Dieses Untergangsszenario wurde in jüngster Zeit durchaus heraufbeschworen. Die Accenture-Autoren Gavin Michael, Jim Astorian und Mark Willford widersprechen entschieden, ohne allerdings die Relevanz von Cloud Computing und Software-as-a-Service (SaaS) zu leugnen. Die Zukunft wird nach ihrer Einschätzung ein hybrider Ansatz prägen. Große Firmen werden ihre zentralen und integrierten ERP-Systeme nicht verabschieden können. Sinnvolle Ergänzungen und Erweiterungen aus der Wolke sorgen aber für mehr Flexibilität und Agilität. Die schweren Tanker werden so manövrierfähiger.
„Um es frei nach Mark Twain zu sagen: Die Berichte über den bevorstehenden Tod des Enterprise Resource Planning sind nicht nur größtenteils übertrieben – sie sind rundweg falsch“, schreiben die Accenture-Analysten. Aus CIO-Sicht liefern die Autoren Argumentationsfutter für interne Diskussionen, in denen die Daseinsberechtigung der durchaus teuren und schwerfälligen Systeme gerechtfertigt werden muss. Im Kern nennt Accenture drei Gründe für ein Festhalten an ERP.
Standardisierte Prozesse brauchen konsolidiertes Software-Set
1. Ein universelles Betriebsmodell: Dies sei das wichtigste Ziel von ERP-Systemen. Ein Unternehmen müsse alle Teile seiner disparaten und globalen Organisation auf einen gemeinsamen Nenner bringen, um Kunden effektiv dienen zu können, um Back-Office-Funktionen effizient am Laufen zu halten und um das Geschäft konsistent zu managen. Für standardisierte Prozesse und Kontrollstrukturen brauche es ein konsolidiertes Software-Set für alle Geschäftsbereiche, Büros und Standort – und einheitliche Daten, Metriken und Reporting-Mechanismen.
Große ERP-Systeme hätten sich hier als die geeigneten Standardisierungsinstrumente erwiesen, wenngleich Performance- und Change-Fragen nicht vernachlässigt werden sollten. Die Eigenentwicklung von Best-of-Breed-Lösungen habe sich zumeist als allzu teure Alternative entpuppt.
Vereinfachung, Sicherheit, Integration und Data Management
2. Vereinfachung: Durch das Streben nach einer möglichst einfachen IT-Umwelt, vor allem bei den Enterprise-Applikationen, wollen Firmen für konsistente Echtzeit-Daten aus verschiedenen Quellen sorgen und so signifikant ihre Kosten senken. „Ein globales ERP-System ist nicht der einzige Weg zur Vereinfachung, aber es ist einer der wirksamsten“, so Accenture. „Vereinfachte Prozesse können die Effizienz der Workflows und die Qualität der Informationen verbessern.“
3. Sicherheit, Integration und Data Management: In vielerlei Hinsicht „sei“ ein Unternehmen nichts anderes als seine Daten, so die Analysten: Kundendaten, Performance-Daten, Mitarbeiterdaten, Marktdaten. „Obwohl Cloud- und SaaS-Lösungen ihren Platz haben, bringen sie ohne anständige Integration auch das Risiko mit sich, ein chaotischeres, weniger zuverlässiges und unsicheres Daten-Umfeld zu schaffen“, urteilt Accenture. „Master Data Management in einer Umwelt mehrerer Cloud-Provider steckt immer noch in den Kinderschuhen.“ Vor diesem Hintergrund sind ERP-Systeme ein Hort von Sicherheit, Zuverlässigkeit und Kontinuität – unter anderem auch im Hinblick auf Compliance-Anforderungen.
Diese drei Gründe also sorgen dafür, dass die „big systems“ alles andere als obsolet sind. Zugleich haben aber die cloud-getriebenen On-Demand-Modelle die Landschaft der Systeme und Business-Lösungen für immer verändert. Die ERP-Provider hätten sich darauf längst eingestellt. „Aus Anwendersicht ist die große Frage, wie die Kosten- und Flexibilitätsvorteile von Cloud-/SaaS-Angeboten in Anspruch genommen werden können, ohne die Vorzüge traditioneller Großsysteme über Bord zu werfen“, so Accenture.
Beispiel Qualcomm für ein hybrides Modell
Als Antwort kommt eine Reihe von hybriden Modellen in Frage. Als Beispiel für eine „Two-Tier“-ERP-Implementierung, bei der Systeme mit agilen und kostengünstigen Lösungen für besonderen Bedarf ergänzt werden, nennt Accenture den Technologieanbieter Qualcomm. Der reicherte sein weltweites ERP-System in verschiedenen Regionen mit lokalen Systemen aus der Wolke an, die spezifische Anforderungen vor Ort unterstützen. Für die Verzahnung mit dem vorhandenen ERP-Backbone sorgt die Cloud-Lösung NetSuite OneWorld. Anderswo kommen ergänzende SaaS-Lösungen in Bereichen wie Vertrieb oder Business Intelligence zum Einsatz.
„Es ist jedoch wichtig, sich daran zu erinnern, dass das Kern-ERP-System erst die Interoperabilität der bestmöglichen Lösung ermöglicht – das wird angesichts der Aufmerksamkeit für cloud-basierte On-Demand-Modelle oft übersehen“, so Accenture.
SAP, Oracle und Microsoft marschieren Richtung Cloud
Die Analysten erwähnen, dass die großen Softwareanbieter wie Oracle, SAP und Microsoft sich durch eine Reihe von Akquisitionen längst dafür rüsten, SaaS-Lösungen einerseits zu integrieren, andererseits auch in den Kampf gegen diese Konkurrenz zu treten. Accenture geht davon aus, dass das Cloud-Modell bisher allein großen Firmen vorbehaltene System-Funktionalitäten auch für kleinere Unternehmen erschwinglich macht.
Die künftigen notwendigen Integrationsleistungen seien aber nicht mehr ohne weiteres intern zu leisten. Der CIO schlüpfe deshalb immer mehr in die Rolle eines Services-Dirigenten. Ins Spiel kämen vermehrt Integratoren oder Broker, die die Komplexität der Cloud-Umwelt managen und für End-to-End-Visibilität und Service-Sicherheit sorgten.
„Der holistische oder Managed Services-Ansatz zur IT-Integration ermöglicht es Firmen, ihre IT-Ressourcen tatsächlich schlicht als Ressourcen zu behandeln“, so Accenture. Es spiele gar keine Rolle mehr, wo die Services gehoused oder gesourced seien. „Firmen und ihre CIOs können sich nun darauf konzentrieren, die benötigten Services sichtbar zu machen – wann immer sie gebraucht werden, zu variablen Kosten.“ Zu dem ließen sich branchenspezifische Best-Practices entwickeln, die jeweils funktionierende Mischungen aus ERP-System und spezifischen Cloud-Angeboten definierten.
Zugegeben: Die Autoren verhehlen ihre Begeisterung für die neuen Möglichkeiten aus der Wolke nicht. Sie betonen aber auch, dass der beste Weg dahin jener ohne einen Verzicht auf klassisches ERP sei. „Effektive Integration und Management werden die wichtigsten Erfolgsfaktoren bleiben“, lautet ihr Fazit.