Ob er den kompletten IT-Betrieb noch einmal auslagern würde? Über diese Frage muss Matthias Schulz kurz nachdenken. Der CIO des in Ratingen bei Düsseldorf ansässigen Payment-Service-Providers Easycash hat mit seinem Team innerhalb von acht Monaten ein Insourcing-Projekt für das Rechenzentrum gestemmt.
Um das angepeilte Wachstum des Unternehmens, die Leistungsfähigkeit der Informationstechnik und die Flexibilität der IT-Services zu erhöhen, so Schulz, forcierte Easycash den Aufbau eigener Rechenzentren und damit die Trennung von seinem ehemaligen Service-Provider. Bis Mitte des laufenden Jahres hatte First Data alle wesentlichen Processing-Plattformen gehostet.
Erste Projekte für das Insourcing wurden bereits seit 2006 gestartet - und zum Erfolg geführt. Dazu zählten Konsolidierung und vollständige Ablösung des Mainframes sowie eine neue Stammdatenlösung.
Aber neben dem Insourcing der Rechenzentren hatte das Projekt "Delta" einen weiteren - aus Schulz' Sicht viel wichtigeren - Zweck: Es verhalf der Easycash-IT zu deutlich mehr Flexibilität. Delta als reines Insourcing-Vorhaben zu bezeichnen wäre also zu kurz gesprungen. Mit der Übernahme des IT-Betriebs in die eigenen Hände war vielmehr eine umfassende Neugestaltung der IT-Infrastruktur verbunden. Sie betraf unter anderem die Konsolidierung der Server-Landschaft, die Virtualisierung der Windows-Anwendungen und die Ausrichtung der IT-Services am Quasi-Standard Itil (IT Infrastructure Library).
Matthias Schulz, Easycash
Position: CIO und Mitglied der Geschäftsleitung.
Branche: Dienstleistungen im Zahlungsverkehr.
Ein CIO muss ... sich selbst überflüssig machen können.
Er liest gerade: Thomas Stark "Java EE 5.0 MasterClass".
Er ärgert sich über ... Ungerechtigkeiten.
Ein Leben ohne Blackberry ... oder iPhone ist für Schulz vorstellbar, aber nicht optimal.
Hobbys: Mountainbiking, Squash, Jogging.
Wichtigstes Projekt: Delta.
Beschreibung: Insourcing des IT-Betriebs, Aufbau einer neuen IT-Infrastruktur, Zentralisierung und Konsolidierung der IT-Plattformen.
Betroffene IT-Bereiche: unter anderen Service-Management, Compliance, Konsolidierung (IT-Infrastruktur), Virtualisierung, Storage, Outsourcing.
Herausforderung: Verlagerung der Produktion auf die neue Infrastruktur ohne negative Auswirkungen auf das Tagesgeschäft.
IT-Umgebung: Blade-Server (HP und Dell), Storage Area Network (ECM2, Brocade).
Zeitrahmen: Projektabschluss im Juli 2009.
IT-Mitarbeiter im Projekt: 20 plus 25 externe (IT-Mitarbeiter allg.: 45)
IT-Budget für das Projekt: keine Angaben (IT-Budget allg.: Betrag im unteren zweistelligen Millionenbereich).
Mehr als nur ein Insourcing-Projekt
Das Gesamtvorhaben setzte sich - je nach Lesart - aus vier bis sieben Teilprojekten zusammen. Teilprojekt Nummer eins betraf die Server-Landschaft - und somit auch die zentrale Transaktionsplattform, die das Kerngeschäft der Easycash repräsentiert. Heute basiert sie komplett auf Blade-Servern aus der NSK-Serie (Nonstop Kernel) von Hewlett-Packard. Easycash fungiert für diese Rechnerserie als Erstanwender in Deutschland. "Mein Team hat die Maschinen fünf Monate lang auf Herz und Nieren getestet", berichtet Schulz, "denn im Echtbetrieb können wir uns keine Fehler leisten; schließlich betreiben wir für unsere Kunden zirka 215.000 POS-Kartenterminals und wickeln einen beträchtlichen Teil des unbaren Zahlungsverkehrs in Deutschland ab."
Verfügbarkeit und Sicherheit sind für Easycash folglich das A und O. Um das auch nach außen zu dokumentieren, hat das Unternehmen die neuen Rechenzentren nach ISO 27001 zertifizieren lassen. Das bedeutet beispielsweise eine dreifach gesicherte Stromversorgung und hohe Anforderungen an den Feuerschutz. Dies war eine Voraussetzung für die - notwendigen - Abnahmen des Zentralen Kreditausschusses (ZKA) und der Kreditkartengesellschaften (PCI-Zertifizierung - Payment Card Industry Data Security Standard) die im Juni 2009.
Ein zweites Teilprojekt widmete sich der Netzarchitektur. Zu Spitzenzeiten muss das Netz der Easycash rund 700.000 Transaktionen pro Stunde verkraften. Nach allgemeiner Auffassung besteht einer der Vorteile von Outsourcing-Abkommen darin, dass ein Serviceanbieter in der Lage ist, derartige Spitzenlasten abzufangen. Eine Evaluierung potenzieller Outsourcing-Partner vor Projektbeginn ergab, dass sich dieses Projektziel - wie auch andere - nur in Eigenregie erfüllen ließ, versichert Schulz.
Genau genommen gliederte sich das Teilprojekt zum Thema Netze noch einmal in drei Einzelvorhaben. Das Projektteam gestaltete zum einen das Backbone neu, zum anderen die Vernetzung der sieben Easycash-Standorte und zum dritten die Anbindung der mehr als 82.000 Kunden.
Teilprojekt Nummer drei widmete sich den Windows-Applikationen. Historisch bedingt waren diese Anwendungen über mehr als 100 Server verteilt, als Schulz im vergangenen Jahr an Bord kam. Im Rahmen des Delta-Projekts wurde die gesamte Windows-Architektur auf 30 virtuelle Server konsolidiert: "Das ist bedeutend einfacher zu verwalten und zu monitoren", erläutert der CIO.
Itil hilft beim Service-Monitoring
Das letzte Teilprojekt betraf das Monitoring der IT-Services. Diese Aufgabe sollte das Anwenderunternehmen auch bei einem Outsourcing selbst leisten, so Schulz‘ Überzeugung: "Ein Dienstleister kann kaum jemals so genau wie die internen Bereiche wissen, welche Prozesse eigentlich überwacht werden müssen." Easycash orientiert sich hier an den Best Practices von Itil, dem weit verbreiteten Orientierungsrahmen für das IT-Service-Management.
Etwa acht Monate hat das Projektteam aus 20 eigenen und 25 externen Mitarbeitern benötigt, um den letzten Schritt der breit angelegten Umstellung auf die Reihe zu bringen. Laut Schulz hat sich der Aufwand voll und ganz gelohnt: "Dank der außerordentlichen Leistung des gesamten Easycash-Teams sind wir heute nicht nur unabhängig von einem bestimmten Anbieter, sondern haben auch technisch einen großen Schritt nach vorn gemacht", sagt er: "Unsere Systeme sind derzeit State of the Art; wir haben die Grundlage für den Aufbau neuer innovativer Services gelegt und können weiter dynamisch wachsen."
Mit seinen eigenen Leuten kann Schulz den IT-Betrieb heute wesentlich effizienter erbringen, als das zuvor der Fall war. Die neue IT-Infrastruktur hat dazu geführt, dass sich die Systeme leichter anpassen und warten lassen. Ob Schulz dazu mehr Personal benötigte? Eigentlich nicht, beteuert der CIO. Lediglich das stetige Wachstum der Easycash-Gruppe und die Erweiterung der internen Servicezeiten hätten es erfordert, das Team um drei Experten zu ergänzen. Was an Know-how zum Betrieb der neuen Technik gefehlt habe, sei hingegen durch interne Schulungen aufzubauen gewesen.
Also noch einmal die Eingangsfrage: Hat sich das Thema Outsoucing für Sie erledigt, Herr Schulz? Ja, zumindest das Full-Outsourcing in der traditionellen Form, legt sich der CIO fest. Ein selektives Outsourcing auf fachlicher Ebene (zum Beispiel für die Kreditvergabe-Bewertung bei Banken, die festgelegten Regeln folgt), habe sicher Vorteile. Eine Komplettauslagerung der IT hingegen sei teurer und wegen der langen Entscheidungswege auch langsamer als der Betrieb in Eigenregie. Die viel gerühmten Skaleneffekte würden durch die Massenträgheit relativiert: "Bisher bin ich mit einem soliden Insourcing zu einem guten Ergebnis gekommen, also im Sinne des Unternehmens besser gefahren."
Rede und Antwort
"Hier kann ich schnell und konkret etwas bewegen"
CW: Ihr Ziel ist es, sich überflüssig zu machen, sagen Sie. Haben Sie keine Lust mehr auf Ihren Job?
SCHULZ: So war das nicht gemeint. Ich ziele vielmehr darauf ab, dass meine Direct Reports - also die Verantwortlichen für IT-Betrieb und Softwareentwicklung - eigenverantwortlich arbeiten. Wenn sie die Sache im Griff haben, erhalte ich den nötigen Freiraum, um mich um meine strategischen Aufgaben zu kümmern. Ich bin ja als Mitglied der Geschäftsleitung für die Weiterentwicklung des Unternehmens mitverantwortlich.
CW: Was müssen Sie tun, um Ihr Ziel zu erreichen?
SCHULZ: Der erste und wichtigste Schritt ist die bewusste Entscheidung loszulassen. Ich habe meine berufliche Laufbahn als Anwendungsentwickler angefangen, aber ich muss der Versuchung widerstehen, unseren Entwicklern in ihre Java-Umgebung hineinreden zu wollen. Entscheidend ist für mich doch nur, ob am Ende das herauskommt, was das Unternehmen braucht.
CW: Wieso liegt denn dann auf Ihrem Nachttisch ein Buch über Java?
SCHULZ: Nun ja, wir ITler interessieren uns auch in einer Management-Position immer noch für die Technik, und wir geben dieses Interesse ungern auf. Außerdem muss ich als CIO in Sachen Basistechnologie auf dem aktuellen Stand bleiben. Wenn ich mich beispielsweise mit Java überhaupt nicht auskenne, hängt der Anbieter mich in den Verhandlungen ab.
CW: Haben Sie denn gar keine anderen Interessen als Informationstechnik und -Management?
SCHULZ: Sicher habe ich die, aber während des Projekts wurden sie in den Hintergrund gedrängt. Zum Beispiel habe ich mein geländegängiges KTM-Motorrad verkauft, weil ich es zu lange nicht bewegen konnte. Was die Literatur angeht, so muss ich gestehen, dass es mir schwerfällt, mich auf einen Roman einzulassen. Dafür habe ich einfach keine Zeit. Und im Fernsehen gibt es kaum noch anspruchsvolle Programme.
CW: Sie sind von unserer Jury als Top-CIO bewertet worden. Inwiefern sind Sie aus Ihrer Sicht einer?
SCHULZ: Ein CIO ist immer nur mit einem guten Team erfolgreich. Ich hatte in meiner Karriere das Privileg, mit sehr guten Teams zusammenzuarbeiten und diese im Sinne der Unternehmensstrategie weiterzuentwickeln. Darin sehe ich eine meiner Stärken.
CW: Sie haben auch schon in Großunternehmen wie INA Wälzlager gearbeitet. Was hat Sie in die Arme eines Mittelständlers getrieben?
SCHULZ: Ich habe diese Entscheidung bewusst betroffen. Wichtig war für mich die Tatsache, dass ich bei Easycash die Möglichkeit hatte, schnell und konkret etwas zu bewegen, ohne ewig lange Abstimmungsprozesse und Entscheidungswege hinter mich bringen zu müssen.