Nürnberger Versicherung

Kfz-Kunden gezielt binden

06.06.2005 von Horst Ellermann
Die Nürnberger Versicherung identifiziert Storno-Kandidaten, bevor sie kündigen. Dank der neuen Business-Intelligenz-Lösung laufen jetzt gezielte Programme zur Kundenbindung. Die Kündigungen in der Risikogruppe der Kfz-Versicherten sind bereits um drei Prozent zurückgegangen.

Wolf-Rüdiger Knocke mag Kunden, die klagen. Der IT-Vorstand der Nürnberger Versicherung freut sich über die Nörgler, die ihm rechtzeitig ihren Unmut mitteilen. Sie kann er noch binden. Mal ein Anruf, kleinere Entgegenkommen, die ganze Palette zur Kundenbindung steht offen, sobald Knocke weiß, was den Kunden ärgert. Problem: Die meisten Versicherten klagen nicht, sondern stornieren ihre Versicherung kommentarlos. "Das ärgert uns natürlich, denn viele der Kunden hätten wir gerne behalten", sagt Knocke. Ende 2003 haben die Nürnberger deshalb angefangen, eine IT-Lösung zu suchen, die die Storno-Kandidaten rechtzeitig erkennt.

Knocke ist mit seinem Anliegen nicht allein im deutschen Versicherungsgeschäft. Alle seine Konkurrenten würden gerne wissen, wie sie ihre Kunden binden und bei welchen Kunden sich die Bindung überhaupt lohnt. Die letztere Frage haben die Nürnberger jedoch zurückgestellt. "Man muss natürlich später zu einer umfangreicheren Betrachtung des einzelnen Kunden kommen", sagt Knocke, der dieses Ziel derzeit jedoch für zu groß hält. Im ersten Schritt geht es ihm darum, Storno-Kandidaten ungeachtet ihrer Attraktivität für die Versicherung zu identifizieren. Ferner hat er sich zunächst auf Kfz-Versicherungen konzentriert, um das Projekt überschaubar zu halten. Insgesamt hat Knocke dabei nur 2,5 Mannjahre investiert, zwei davon in der IT.

Der Kfz-Markt ist einer der härtesten im deutschen Versicherungsgeschäft. Die großen Player wie Allianz oder HUK-Coburg kämpfen darin seit 1998 mit Preisen, die den Versicherungswirten Tränen in die Augen treiben. Nur noch Marketingexperten stufen die Verträge als profitabel ein. "Der K-Bereich (Autoversicherungen, Anm. d. Red.) wird als Einstiegssparte betrachtet", sagt Knocke. "Auf Kfz-Versicherungen können wir aufbauen." Also bemüht sich die Nürnberger um Fahranfänger, obwohl bekannt ist, dass diese viel Blech kaputt fahren. Selbst bei 140 Prozent schaffen sie es immer noch, ein Minus in die Versicherungskassen zu fahren. Richtig gut verläuft das Geschäft nur mit Beamten und Fahrern mittleren Alters, am besten solchen, die auch Haus und Garage haben. "Wer Eigentum hat, geht mit Eigentum bewusster um", sagt Knocke. "Das schlägt sich im Risikoprofil nieder."

Die Nürnberger haben sich in ihren ersten Analysen auch deshalb auf die Kfz-Versicherten konzentriert, weil hier schnell mit Ergebnissen zu rechnen war. Sowohl risikobewusste Kombi-Fahrer als auch jugendliche Draufgänger kündigen - wenn sie kündigen - zum Jahresende. Somit konnten bereits im Januar 2003 die Prognosen des Analyse-Tools evaluiert werden. Die SAS Insurance Intelligence Solution hat sich dabei bewährt. Sie bestätigte, dass schon Stammdaten die Wahrscheinlichkeit einer Stornierung determinieren. Etwa die Telefonnummer: Gibt der Versicherte eine Handy- statt einer Festnetznummer an, vermuten die Analytiker, dass er zur unsteteren Sorte gehört. Zahlt er per Lastschrifteinzug, macht ihn dies für die Versicherung beständiger. Zeigt seine Postleitzahl, dass er vom Land kommt, senkt das die Storno-Wahrscheinlichkeit. Kommt er aus dem Osten, steigt sie wieder.

"Das geht ganz tief rein ins Data-Mining", sagt Knocke. "Ich kann Ihnen im Einzelnen gar nicht sagen, wie sich was auswirkt." Leider konnte dies die Insurance Intelligence Solution zu Beginn ihres Einsatzes in Deutschland auch nicht. Obwohl in der Lösung schon hinterlegt ist, wo Stornierer wahrscheinlich sind und obwohl SAS-Analysten dafür 800 Versicherungen ausgewertet haben, lieferten die Daten aus USA und England keine Vorhersagen, die sich 1 zu 1 nutzen ließen.

"Das war in dem Projekt nachher ein Problem", erzählt Knocke. "In England wird zum Beispiel nicht das Auto versichert, sondern die Person. Wenn Sie eine Person versichern, können Sie natürlich ein sehr viel detaillierteres Risiko-Profil erstellen." In Deutschland scheitert dieser Traum eines jeden Versicherungsmathematikers schlicht am Gegenstand der Versicherung. Anderseits liegen hierzulande historische Daten vor, die wiederum den englischen Kollegen verborgen bleiben, da in Großbritannien alle Kfz-Versicherungen am Ende eines Jahres automatisch auslaufen.

Die Nürnberger mussten das Datenmodell also an den deutschen Markt anpassen und verstärkt mit Fahrzeugdaten arbeiten. Doch auch die geben Auskunft: Bei Autos mit einer hohen Kilometerleistung storniert der Fahrer zum Beispiel seltener als bei Autos, die wenig gefahren werden. "Vielleicht, weil die Versicherungsprämie im Vergleich zum Rest der Kfz-Ausgaben nicht mehr so entscheidend ist", mutmaßt Knocke. Auch der Fahrzeugtyp birgt Information: BMW-X5-Fahrer zeigen sich überraschenderweise genauso beständig wie Corolla-Piloten. "Beim X5 ist die Diebstahlsrate so hoch, dass die Versicherer die nicht mehr gern nehmen", sagt Knocke. Also bleiben die Fahrer lieber bei ihren alten Versicherungen - und die Versicherungen bleiben bei ihren alten Kunden: "Wenn der X5-Fahrer ein Unternehmer ist, dann wollen Sie den nicht gern gehen lassen", sagt Knocke mit Blick auf mögliche andere Versicherungen, die mehr Rendite versprechen.

Unfallversicherungen gehören dazu. Dieser lukrative Bereich des Geschäfts steht denn auch im Mittelpunkt der derzeitigen Aktivitäten. In Juni starten die Nürnberger ihre Suche nach den Storno-Kandidaten in diesem Bereich. Ziel dieses Projektes ist es denn auch herauszufinden, welche Kunden Telefon-affin sind und welche negativ oder gar nicht auf Anrufe reagieren. Bei den Kfz-Stornierern konnte man hierzu bereits erste Erkenntnisse gewinnen: "Reine Call-CenterAktionen haben im Segment der Hoch-Storno-Gefährdeten wenig gebracht", sagt Knocke. "Die höchste Wirkung erzielen Sie im Zusammenspiel von Mailings und persönlichen Besuchen."

Letzteres setzt allerdings voraus, dass auch die Agenten vor Ort Bescheid wissen. Das ist zurzeit noch nicht der Fall. "Die statistischen Verfahren und Systeme sind von einem hohen Reifegrad", sagt Knocke. "Das Problem besteht in der Umsetzung und in der Schulung bei der Nutzung der Daten." Die 130 Mitarbeiter im hauseigenen Call-Center sind mit ihrer selbstgestrickten CRM-Lösung noch nicht angebunden. Von den 30000 Agenten außerhalb Nürnbergs hat noch keiner die Ampel gesehen, die anzeigt, ob ein Kunde zu den fünf Prozent der hoch Gefährdeten gehört, zu den 70 Prozent mit mittlerer Storno-Wahrscheinlichkeit oder zu den 25 Prozent im grünen Bereich. "Dieser Teil ist noch nicht umgesetzt", gesteht Knocke, der den Agenten lieber über Mitarbeiter in Nürnberg mitteilen lässt, wer in die Risikogruppe fällt. Eine reine IT-Lösung würde in diesem Kreis der Nutzer nur auf Ablehnung stoßen, befürchtet er.