Künstliche Intelligenz wird in den nächsten drei bis fünf Jahren unseren beruflichen Alltag revolutionieren. Die technologische Entwicklung auf diesem Gebiet schreitet rasend schnell voran. Jedes Unternehmen hat es nun selbst in der Hand, diese neue Technologie für den eigenen unternehmerischen Vorteil zu nutzen.
Lassen Sie uns den Begriff zunächst eingrenzen: Nach IDC Definition ist KI ein Ansatz zur Bereitstellung von Software und Hardware mit dem Ziel der „Nachbildung“ menschlicher Intelligenz. Ziel ist es, auf Basis von Natural Language Processing (NLP), Cognitive Computing oder neuronalen Netzen Antworten und Empfehlungen auf Fragen zu geben bzw. auf Basis statistischer Korrelationen oder vorgegebener semantischer Beziehungen Schlussfolgerungen zu ziehen und diese für Folgeaktivitäten zur Verfügung zu stellen.
Studie über KI und Machine Learning in Deutschland
Um herauszufinden, wo deutsche Unternehmen in diesem spannenden Themenfeld stehen, welche Strategien und Ansätze sie verfolgen und was sie für die Zukunft planen, hat IDC für die Studie "Künstliche Intelligenz und Machine Learning in Deutschland" im April 2018 rund 350 Unternehmen mit mehr als 50 Mitarbeitern zum Thema befragt. Die Ergebnisse wurden im Mai 2018 in München vorgestellt. Neben dem Studienautor Matthias Zacher teilten Konstantin Greger (Tableau Software) und Jürgen Wirtgen (Microsoft) ihre Sicht auf den jungen Markt mit den anwesenden Journalisten. Moderiert wurde die interaktive Diskussionsrunde von Lynn Thorenz, Leiterin des Bereichs Research und Consulting bei IDC.
KI hat auch hierzulande überraschend schnell den Weg aus den Labs in vielfältige Lösungsansätze und Services gefunden. Auch wenn wir davon ausgehen, dass das Potenzial von KI erst in den nächsten Jahren aufgrund von höherer Rechenleistung und besseren Algorithmen umfassend ausgeschöpft werden wird, betrachten immer mehr Organisationen in Deutschland künstliche Intelligenz und Machine Learning (ML) als sinnvollen und praktikablen Ansatz und stufen sie inzwischen als starken Enabler zur Verbesserung ihrer Geschäftsprozesse ein.
Große Mehrheit plant KI-Projekte
Gut ein Viertel der befragten Unternehmen hat bis dato KI-Projekte umgesetzt. Beeindruckende 69 Prozent der Befragten planen, in den nächsten zwölf Monaten eine neue KI-Initiative zu realisieren. Es lohnt sich also ohne Frage, sich umfassend mit dem Thema zu beschäftigen.
Künstliche Intelligenz ist in vielen Lösungen, die wir beruflich und privat nutzen, bereits verankert. Fast jeder von uns verwendet sie und hat beispielsweise den Nutzen von Sprachassistenten im Auto oder im Kundencenter sowie beim Online-Einkauf auf E-Commerce-Plattformen schätzen gelernt.
Industrien werden durch KI revolutioniert
Wir sehen: Zahlreiche Unternehmen haben erfolgreich Business Cases und Geschäftsmodelle unter Einbeziehung von KI implementiert. Jetzt ist es für jede Organisation an der Zeit, für sich herauszufinden und zu definieren, in welchem Bereich künstliche Intelligenz bei der Optimierung von Prozessen oder bei der Innovation von Geschäftsmodellen im Rahmen der Digitalisierung genutzt werden kann. „KI kann schon heute für gewaltige Produktionsgewinne sorgen, etwa durch Predictive Maintenance, bessere Qualitätssicherung in der Produktion und bei der optimalen Auslastung von Maschinen“, sagt Jürgen Wirtgen, Data & AI Lead bei Microsoft.
Ganze Industrien, wie wir sie kennen, würden durch KI revolutioniert werden und sich fundamental verändern – das ziehe sich vom Gesundheitswesen, wie etwa der Abwehr und Vorhersage bestimmter Krankheiten, über die smarte City bis hin zur Verbrechensbekämpfung. „Es gibt keine Branche und keinen Unternehmensbereich, in die künstliche Intelligenz nicht einziehen wird.“
Der Business Case ist entscheidend
Künstliche Intelligenz wird in vielen Unternehmen noch zu stark aus der Technologieperspektive diskutiert. Es ist ohne Frage sinnvoll und auch nützlich, zu wissen, welche technologischen Möglichkeiten KI bietet und wie die verschiedenen Verfahren funktionieren. Der Ausgangspunkt für erfolgreiche KI-Projekte ist jedoch immer der Business Case.
Das bedeutet, sich über die Fragen bewusst zu werden, die mit Hilfe von KI beantworten werden sollen – was vielleicht einfacher klingt, als es ist. Einige Fachabteilungen haben hier sehr klare Vorstellungen, während andere Fachbereiche zunächst mit der Technologie experimentieren und darauf aufbauend ihre Fragen bzw. ihren Business Case entwickeln.
Wie dem auch sei: Einfach nur dem generellen Hype oder Trend KI hinterherzulaufen, ohne ihn und seine grundlegenden Methoden sowie Risiken und Einschränkungen verstanden zu haben – davor warnt Konstantin Greger von Tableau Software. „Blindes Vertrauen in intransparente KI ist unangebracht und verurteilt jedes Projekt von vornherein zum Scheitern, da die Ergebnisse kein Vertrauen gewinnen und somit automatisch irrelevant werden“, so der Datenexperte weiter.
KI-Projekte zielen nicht auf Innovation ab
Die Motivation für den Einsatz von künstlicher Intelligenz ist vielfältig, das zeigt die neue IDC Studie deutlich. Derzeit geht es den Unternehmen offenbar vorrangig um Effizienzverbesserungen und Kostensenkungen. Innovationen stehen hierzulande noch nicht so stark im Vordergrund. Ein Fehler, wie Jürgen Wirtgen findet: „Nicht auf Innovation zu setzen, ist schon aus betriebswirtschaftlicher Sicht nicht ratsam. Moderne Technologien wie künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen bieten enormes Potenzial. Stillstand ist keine Option, wenn andere Unternehmen auf der Überholspur sind.“
Auch IDC empfiehlt, KI schnellstmöglich für die Umsetzung von Innovation einzusetzen, beispielsweise für die Entwicklung neuer Produkte und die Umsetzung neuer Geschäftsprozesse. Eine umfassende Nutzung von sowohl vorhandenen Daten und als auch neuer Daten und Datenquellen führt fast immer zu interessanten, oftmals neuen Erkenntnissen.
Dem stimmt Konstantin Greger im Grundsatz zu, betont allerdings in diesem Zusammenhang nochmals, dass KI- und ML-Initiativen immer in eine Datenstrategie eingebettet sein müssen, die die Erfassung, Sammlung, Vorhaltung, Qualitätssicherung und auch Zurverfügungstellung von Daten verbindlich regelt. „Der Weg hin zu guten und glaubwürdigen Ergebnissen maschinellen Lernens führt immer über gute Daten, die zudem in ausreichender Menge vorliegen müssen“, so der Datenexperte weiter. Es komme also sowohl auf Qualität als auch auf Quantität an.
Woran KI-Projekte scheitern
Oftmals scheitern KI-Projekte an überzogenen Erwartungen - oder am genauen Gegenteil, nämlich daran, dass zu eng im Rahmen bestimmter Use Cases gedacht wird. Wirtgen ist der Überzeugung, dass im ersten Schritt experimentelle Ansätze Vorteile gegenüber aufwändigen Projekten bieten. Zudem sollten wir uns stärker mit dem Gedanken des fehlertoleranten Arbeitens anfreunden. „Wir sollten uns auch trauen, große Fragen anzugehen und Projekte so planen, dass sie auch nach Abschluss Potenzial für weitere Innovation bieten“. Neue Wege entstünden oft im Gehen und erst innerhalb von konkreten Projekten würde klar, welche Ressourcen und Daten benötigt werden, so Wirtgen weiter.
Viele Unternehmen fahren bei der Entwicklung von KI mehrgleisig. Sie nutzen sowohl die Algorithmen, Plattformen und Services Dritter als auch eigenentwickelte Algorithmen. Unabhängig davon, wofür sich die einzelne Organisation entscheidet: Es ist immer wichtig, die Ergebnisse kritisch zu hinterfragen. Ansonsten besteht die Gefahr von Fehlinterpretationen oder sogar von fehlerhaften Analysen – und schon gilt das gesamte Projekt als gescheitert. „KI muss immer verständlich und ihre Modelle im Idealfall nachvollziehbar sein“, betont Greger. Eine entscheidende Rolle spielt hier der Daten-Analyst in Form von menschlicher Intelligenz als inhaltlich-fachlicher Experte und Kontrollinstanz zur Plausibilitätsprüfung. Denn worauf kein KI-Projekt hinauslaufen sollte, ist blindes Vertrauen in unkontrollierbare „Black Boxen“ – da sind sich alle in der Runde einig.
Wo geht die Reise hin: Ersetzt KI menschliche Intelligenz?
Künstliche Intelligenz als Bedrohung, als Vernichter von Arbeitsplätzen? Fast jede in welchem Kontext auch immer geführte Diskussion mündet unweigerlich in der Frage, ob und wann die Maschinen die Weltherrschaft übernehmen. Sehr pointiert und plakativ formuliert, zugegeben. Dennoch: Zu einer gesamtheitlichen Betrachtung gehören auch Bedenken der Menschen, in unserer im Unternehmenskontext geführten Diskussion also die der Mitarbeiter - und ganz klar auch die Berücksichtigung potenzieller Risiken.
Interessanterweise steht nur ein kleiner Prozentsatz der Mitarbeiter der von IDC befragten Unternehmen KI wirklich ablehnend gegenüber und das entweder aus ethischen Gesichtspunkten oder aus Furcht von einem Verlust des Arbeitsplatzes. IDC rät, die Bedenken dieser Mitarbeiter unbedingt erst zu nehmen, entsprechend zu adressieren und auf diese Weise die Akzeptanz für KI innerhalb der Organisation weiter zu steigern. „Unternehmen brauchen eine Kultur der Veränderung“, betont Jürgen Wirtgen von Microsoft. Neue, disruptive Wege zu gehen gehöre genauso dazu wie neue methodische Ansätze.
Das schlimmste, was Unternehmen in Deutschland jetzt passieren könnte, wäre KI zu verschlafen, damit ihre Innovationskraft aufs Spiel zu setzen und hinter dem Wettbewerb zurückzufallen– da ist sich die Runde einig. Aber danach sieht es ja, wie die IDC Studie deutlich zeigt, zumindest für den Moment nicht aus.