Man findet sehr unterschiedliche Zahlen dazu, wie viele E-Mails Angestellte durchschnittlich pro Tag erhalten und versenden. Der Webmonitoring-Dienst Pingdom spricht zum Beispiel von 112 E-Mails. Beim IT-Dienstleister Atos erhält knapp die Hälfte der Mitarbeiter am Tag mehr als 50 E-Mails, jeder fünfte sogar mehr als hundert. Wie viele sie durchschnittlich versenden, ist nicht bekannt. Fragt man branchenübergreifend, schrumpft die Anzahl der E-Mails. Berufstätige bekommen im Schnitt elf berufliche E-Mails pro Tag, meldete der Branchenverband Bitkom im Juli 2011. Wie viele Nachrichten es auch sind, eines scheinen sie gemeinsam zu haben. Wissenschaftler der US-Universität Georgia Tech haben Forschungsergebnisse veröffentlicht, nach denen jede siebte versandte E-Mail Klatsch und Tratsch enthält. Darunter verstehen die Studienautoren E-Mails, in denen über Kollegen geschrieben wird, die nicht in der Empfängerliste enthalten sind.
Wissenschaftler Eric Gilbert von der School of Interactive Computing an der Georgia Tech hat für seine Studie 600.000 E-Mails des heute insolventen Energiekonzerns Enron mit speziellen Filtern nach Klatsch durchsucht und analysiert. Seiner Meinung nach ist die Mail-Kommunikation innerhalb des Konzerns vergleichbar mit der in anderen US-Unternehmen. 14,7 Prozent der elektronischen Nachrichten enthielten Tratsch. Mit einer so hohen Quote hätte selbst der Forscher nicht gerechnet, heißt es in einer Mitteilung der Georgia Tech.
Negativ-Tratsch häufiger als positive Äußerungen
Klatsch und Tratsch muss für Gilbert, der sich auf dem Gebiet Social Computing spezialisiert hat, nicht immer Negatives über eine Person enthalten. "Mit Klatsch verbinden viele etwas Negatives, doch tatsächlich ist das ein wichtiger Bestandteil der Kommunikation", so der Wissenschaftler. Natürlich kann Klatsch auch Lästern bedeuten, doch manchmal teilt man damit auch einfach neue Informationen über eine andere Person, wie zum Beispiel "Charles kommt heute später zu unserem Meeting." Viele E-Mails stuften die Wissenschaftler bei ihrer Datenanalyse als neutral ein, die übrigen zählten sie zu positivem und negativem Klatsch. Hier bestätigte sich das Vorurteil, das viele Menschen gegenüber Klatsch haben: Negatives fand sich in den Nachrichten 2,7-mal so oft wie Positives.
In einer früheren Studie schrieben Wissenschaftler Tratsch vier unterschiedliche Zwecke zu: Information, Unterhaltung, Vertrautheit und Einfluss. Gilbert und seine Mitarbeiter können die Klassifizierung bestätigen, diese vier Intentionen für Klatsch fanden sie auch in den E-Mails des Enron-Konzerns. Das gilt sowohl für Nachrichten an rein berufliche als auch an private Kontakte.
Offline wie online nehmen Menschen beim Tratsch unterschiedliche Rollen ein. Während die einen Enron-Mitarbeiter aktiv neuen Klatsch in E-Mails verbreiten (gossip source), lesen andere bevorzugt mit (gossip sink). Man ist nicht auf eine Rolle festgelegt, sondern kann auch beide gleichzeitig einnehmen.
Klatsch auf allen Hierarchieebenen
Die Forscher ordneten die E-Mails der Enron-Mitarbeiter sieben Hierarchiestufen zu - vom Angestellten über den Spezialisten hin zu Vorstand und CEO. Auch wenn auf der untersten Hierarchieebene am meisten geklatscht wird, beteiligen sich alle Angestellten bis zur Vorstandsebene am Bürotratsch. Bereits nach den ganz normalen Angestellten folgt in der Klatschstatistik die Direktorenebene, die direkt dem CEO unterstellt ist. Die Direktoren tauschten sich nicht nur untereinander aus, sondern trugen Klatsch häufig über Hierarchiestufen hinweg weiter - sowohl an den CEO als auch an normale Angestellte.
Die Untersuchungen von Eric Gilbert von der US-Universität Georgia Tech basieren auf der Analyse von 600.000 E-Mails des heute insolventen Energie-Konzerns Enron, dem sogenannten Enron Corpus. Die Enron-Mails sind die weltweit größte für Forschungen zugängliche E-Mail-Sammlung. Als Forschungsobjekt haben sie in den vergangenen Jahren etwa dazu beigetragen, Spam-Filter zu verbessern. Für weitere Forschungen denken die Wissenschaftler unter anderem darüber nach, das Klatschverhalten beim Nutzen von Instant Messaging und sozialen Netzwerken wie Facebook zu untersuchen.