Um den digitalen Wandel zu meistern, reicht die Betrachtung der Strategie und Technologie alleine nicht aus. Es fehlt der "Klebstoff" zwischen - in der Regel abstrakt formulierten Strategien – und den von diversen Anbietern bereitgestellten Technologien. Betrachten wir zum Beispiel die Einführung der Smartphones und deren Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen Unternehmen und Kunden. Die Möglichkeiten, neue Geschäftsideen umzusetzen haben sich alleine durch die Mobilgeräte massiv erweitert.
Ein Unternehmen wie Uber wäre ohne diese Technologie nicht denkbar. Das gesamte Geschäftsmodell der Kalifornier lässt sich jedoch nicht nur durch eine clevere Strategie und neue Technologien erklären. Erst die konkrete Ableitung des dahinter stehenden digitalen Geschäftsprozesses zeigt den Zusammenhang deutlich. Im Fall von Uber handelt es sich um die Bereitstellung eines einfachen mobilen Prozesses der unabhängige Dienstleister mit potentiellen Fahrgästen zusammenbringt. Entlang dieser Prozesskette von der Anbieterauswahl, der physischen Lieferung der Dienstleistung "Fahrt" und der Abrechnung der Leistung werden digitale Technologien genutzt, um das Uber Angebot "an den Kunden zu bringen". Der digitale Geschäftsprozess ist der Klebstoff zwischen dem strategischen Konzept und der Technologie. Er definiert, wie die digitale Strategie und Technologie zusammen zu bringen ist.
Das erklärt auch, warum ein 'altes' Konzept aus den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts aktuell eine neue Bedeutung erhält: Geschäftsprozessmanagement. Die Fähigkeit Geschäftsprozesse flexibel und agil zu planen, ist die zentrale Voraussetzung für eine erfolgreiche digitale Transformation. Das Geschäftsprozessmanagement ist Ausgangspunkt zur schnellen Digitalisierung und Optimierung von Geschäftsprozessen. Viel wichtiger ist aber noch, es erhöht die Agilität und die Fähigkeit einer Organisation sich an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen.
Prozessmanagement als Klebstoff
Die ausschließliche Fokussierung auf technologische Themen der Digitalisierung kann dazu im Gegensatz die Möglichkeiten einer Organisation, auf veränderte Rahmenbedingungen zu reagieren, sogar verringern und in eine "digitale Sackgasse" führen. Diese Sackgasse zu vermeiden ist dringend geboten, wenn ein Unternehmen effizient auf die veränderte Marktdynamik digitaler Angebote reagieren möchte. Technologien flexibel zu planen, einzuführen und zu betreiben, ist die Schlüsselkompetenz bei der ein umfassendes Geschäftsprozessmanagement heute unterstützen muss. Es bildet den "Klebstoff", der digitale Technologien und die Unternehmensstrategie zusammenbringt.
Erst mit einem ganzheitlichen Blick auf Strategien, Technologien und dem verbindenden Geschäftsprozessmanagement entsteht die Fähigkeit, neue Ideen sicher zu bewerten, Entscheidungen zu treffen und auf einer stabilen Basis umzusetzen. Geschäftsprozessmanagement wird so zum Organisator und Treiber des digitalen Wandels im Unternehmen. Wie lässt sich Geschäftsprozessmanagement aber pragmatisch zu einem Entwurfswerkzeug der Digitalisierung ausbauen?
Das Konzept der "intelligenten Dinge"
Surendra Reddy (Reddy, Surendra (2015): Woots: Smart Things that Can Think, Act, Learn and Talk. In: Layna Fischer (Editor): BPM Everywhere (Lighthouse Point)) entwirft ein dazu passende Konzept der "intelligenten Dinge, die denken, handeln, lernen und kommunizieren". Diesen intelligenten Dingen gibt er den Namen "Woots", als Akronym für Web Of Open Things. Er betrachtet neue digitale Fähigkeiten als mit einer eigenen spezifischen Identität, Intelligenz, Position und Präsenz ausgestattet, die auf Basis des Internets zur Selbstorganisation und Kommunikation mit anderen Dingen mit oder ohne menschliches Eingreifen fähig sind.
Um den Informationsfluss und die zugehörigen Aktivitäten zu steuern, umfassen Woots nach seiner Definition deshalb auch ein "kleines Gehirn". Es sorgt für Kontextbewusstsein, Autonomie, Geschäftsprozess-Intelligenz und Reaktivität. Ein eingebettetes Gedächtnis speichert als digitales Tagebuch eines einzelnen physischen Objekts seine Prozesserfahrungen und stellt diese Informationen anderen Geräten, Anwendungen und seiner Umgebung zur Verfügung.
Klingt nach Science Fiction - ist es aber nicht. Man muss nur an die Vielzahl intelligenter Geräte denken, die sich, permanent mit dem Internet verbunden, in unserer Umwelt ausbreiten. Vom digitalen Stromzähler, dem Heizungsthermostat, über Sensoren in unseren Straßen bis zu intelligenten Überwachungskameras. Welche dieser Bausteine in einem zukünftigen digitalen Geschäftsmodell zu kombinieren sind, damit eine neue Lösung entsteht, ist nicht vorherzusagen. Sicher ist aber, die Aufgabe der Konstruktion digitaler Lösungen erfordert, diese Woots in einem Geschäftsprozessmodell mit der technischen Implementierung zu verbinden. Nur dann entsteht ein Gesamtbild von der fachlichen bis zur technischen Lösung.
Auch bei der Modellierung digitaler Geschäftsprozesse ist das Konzept der Woots hilfreich. Für jede Aktivität innerhalb eines Geschäftsprozesses wird ein Woots Template angelegt. Es enthält die genaue Beschreibung der zukünftigen Lösung an der betrachteten Aktivität des Prozesses. Die entstehende Dokumentation hilft, Rollen und Verantwortlichkeiten zuzuordnen, Anforderungen zu priorisieren, Qualität, Kosten und Zeiten zu planen, Risiken zu analysieren und zu bewerten, Produkte und Releases zu planen und erforderliche Technologien auszuwählen. Auf diesem Weg entsteht mit überschaubarem Aufwand ein prozessbasiertes Anforderungsdokument für die individuelle Umsetzung eines Digitalisierungsprojekts.
Geschäftsprozessmodelle und "intelligente Dinge"
Hinter einem Woots verbirgt sich ein technischer Prozess als ausführende Einheit. Er ist in der Regel am Prozessablauf beteiligt. Im Hintergrund übernehmen Softwarekomponenten die eigentliche Bearbeitung des Prozesses. Durch die Abstraktion über die Geschäftsprozessmodellierung mit Woots wird die einfache Verknüpfung zum fachlichen Anwendungsszenario erst möglich.
Fachliche funktionale und nicht-funktionale Anforderungen können ebenfalls direkt am Geschäftsprozess definiert werden. Auch für Anforderungen ergibt sich durch die Trennung von den ausführenden Einheiten der Implementierung eine flexible und lose-gekoppelte Modellierung, die den gesamten Vorgang der konzeptionellen Arbeit rund um die Digitalisierung deutlich vereinfacht. In einem Erweiterungsschritt werden die modellierten intelligenten Dinge dann in einer technischen Modellierung für die Implementierung konkretisiert.
Dies umfasst sowohl die Überführung des Prozessmodells in individuelle Implementierungsmodelle einzelner technischer Lösungen wie den Entwurf übergreifender Architekturen und IT-Landschaften. Durch die lose Kopplung der verschiedenen Modellierungsperspektiven ergibt sich eine wertvolle Planungsunterlage zur Unterstützung der Umsetzung eines Digitalisierungsprojektes. Das Geschäftsprozessmanagement ist darin zentraler Baustein.