Veredelung von Luxusuhren

Kleine Kunstwerke auf dem Ziffernblatt

19.04.2010 von Klaus  Ahrens
Die Manufakturen entdecken eine traditionelle Kunst neu - die Veredelung des Zifferblatts. Drei Monate kann es dauern, bis die Künstler mit ihren filigranen Miniaturen aus Emaille oder bemaltem Porzellan fertig sind.

Thomas Hannß ist ein Hüne von Gestalt, Hände wie Schaufeln, Bart an Kinn und Oberlippe, die angegrauten langen Haare hinten zum Zopf gebunden.

Ein Sachse wie aus der Eiche gehauen, und doch nicht frei von Furcht. Die römische Vier ist es, die ihm immer wieder den Schweiß auf die Stirn treibt.

Hannß ist Staffagemaler der Manufaktur Meissen. An seiner Werkbank werden - neben Schmuckkästen und allerlei Rokokofiguren aus Porzellan - auch Zifferblätter für feine Uhren bemalt. Mit spitzen Pinseln aus Eichhornhaar trägt er auf kreisrunde, 0,8 Millimeter dünne Porzellanscheiben die blauen Meissen-Schwerter auf, mit schwarzem Metalloxid die Schriftzüge der Marke Glashütte Original, schließlich die Ziffern I bis XII. Alles kein Problem, wenn diese verdammte Vier nicht wäre - mit vier Linien nebeneinander nämlich, so: IIII Linien von gleichmäßiger Stärke, mit gleichmäßigen Abständen. Jeder Fehler fällt sofort ins Auge.

Einen Arbeitstag braucht Hannß, seit 30 Jahren in der Manufaktur, für ein Zifferblatt. Er verdankt diese zartfühlende Tätigkeit der klugen Idee einer gesamtsächsischen Kooperation zwischen dem Uhrenbetrieb südlich und der Porzellanwerkstatt nördlich von Dresden - Glashütte Original und Meissener Porzellan -, beider Namen in der Luxuswelt rund um den Globus von bestem Klang. Das jüngste Produkt dieser wunderbaren Freundschaft: das Modell "Senator Meissen Tourbillon", lanciert in diesem Frühjahr, zu erwerben zum vergleichsweise günstigen Preis von 98.000 Euro.

Uhren: Die Kunst der Zifferblattgestaltung
Weißes Gold:
Für die Modelle "Senator Meissen" und "Senator Meissen Tourbillon" (Bild) lässt der sächsische Uhrenbauer Glashütte ...
Hartporzellan:
... Original Zifferblätter aus 0,8 Millimeter dünnem Hartporzellan in der Manufaktur Meissen fertigen.
Gemaltes Fernweh:
Den großen Entdeckern hat die weltälteste Genfer Manufaktur Vacheron Constantin eine Serie von Email-Zifferblättern - hier Marco Polo - gewidmet, die in einer aufwendigen Mal- und Brennprozedur hergestellt werden. Das Automatikwerk "1126 AT" führt die Stundenziffern über den unteren Sektor.
Nackte Tatsachen:
Die Schweizer Manufaktur Jaeger-LeCoultre schmückt ihre Minutenrepetition mit vier Miniaturen nach Meisterwerken mit Darstellungen der Liebesgöttin Venus, der Exil-Ungar Miklos Merczel ist der Emailleur.
Sanfte Gesichtspflege:
Die Zifferblattherstellung von Patek Philippe in St. Imier erfordert viel Handarbeit, erst recht bei der neuen Weltzeituhr, die als feines Cloisonné-Email die Osthalbkugel der Erde zeigt.

Gefunden im manager magazin

Nicht nur in Sachsen schmücken die Uhrmacher neuerdings ihre Preziosen wieder gern mit Zifferblättern aus Künstlerhand. Erst recht in der Gegend um Genf, dem Weltzentrum der mechanischen Zeitmesserproduktion, werden wieder mehr Uhren mit handgemalten Verzierungen versehen.

Die Unternehmen mit den großen Namen der Horlogerie, wie das Gewerbe dort heißt, entsinnen sich ihrer künstlerischen Geschichte - ausgebreitet übrigens in prachtvollen Firmenmuseen - und holen fast vergessene Techniken aus ihren Nischen. So treiben sie nebenher eine Art technologischen Artenschutzes - sie bewahren klassische Handwerkskünste vor dem Aussterben.

Aber die Rückbesinnung aufs Gemalte ist auch der Krise geschuldet: Auf diesem Wege können dem Liebhaber Uhren in kleinen Auflagen angeboten werden, die zwar sehr exklusiv sind, aber zumeist unkomplizierte Werke besitzen. Und deshalb zu günstigeren Preisen als große Komplikationen angeboten werden.

Drei Monate Arbeit an einem Zifferblatt

Und so erfreut sich das alte Uhrenkunstgewerbe einer zarten Blüte. Bei Breguet etwa, hoch oben in Le Sentier im Jura, wird die Guillochiertechnik gepflegt, die der Namensgeber vor rund 300 Jahren entwickelte. Auch das Skelettieren - das kunstvolle Freilegen der kostbaren Uhrwerksinnerei - ist wieder en vogue. Bei Patek Philippe werden Zifferblätter nach alter Väter Sitte guillochiert und emailliert. Und Vacheron Constantin, die älteste Traditionsmarke der Spitzenuhrmacherei und bereits im Manufakturkapitel des "Kapitals" von Karl Marx (wohlwollend!) erwähnt, gönnt sich am neuen Firmensitz im Genfer Norden eine eigene Zierabteilung mit Namen "Métiers d'Art".

"Von Anbeginn gab es bei uns Zifferblätter, die emailliert, graviert und guillochiert sind", sagt Juan-Carlos Torres, CEO bei Vacheron. "Uhren, die nur Stunden und Minuten anzeigen, sind uns nicht genug. Wir wollen etwas Besonderes liefern." Gleich neben dem Entree links in dem futuristischen Gebäude auf der grünen Wiese hat die kleine Kunstabteilung ihren Sitz. Zwölf Leute arbeiten hier, um durchschnittlich 60 Uhren im Jahr zu fertigen; Künstler, die an keine festen Arbeitszeiten gebunden, mitunter aber auch am Wochenende da sind.

Gewinne seien mit dieser Abteilung nicht zu machen, versichert Torres. "Wenn Sie Geld damit machen wollen, müssen Sie mehr produzieren, dann haben Sie 120 Leute, die den ganzen Tag das Gleiche tun. Daraus kann nichts Neues entstehen, man würde den Geist dieser Abteilung vertreiben." Trotzdem sei der Richemont-Konzern, zu dem das Haus gehört, durchaus stolz auf diese Arbeit, weil sie Motivation schaffe, die auch die anderen Marken inspiriere.

Immer wieder brillieren die Vacheron-Maler mit Originellem: So haben sie eine Vierer-Edition zu Ehren der großen Entdecker aufgelegt. Die Zifferblätter zeigen kartografisch die Weltgegenden, die der chinesische Admiral Zheng He sowie die Europäer Christoph Kolumbus, Marco Polo und Ferdinand Magellan durchstreift haben, garniert mit den jeweiligen Reisemitteln. Weil der Venezianer Marco Polo nur zwei Dromedare dabei hatte, ist die Karte der alten Seidenstraße besonders prächtig ausgefallen.

In der Vacheron-Werkstatt trifft man beispielsweise auf eine junge Emailleurin - aus Angst vor Abwerbung nennt das Unternehmen keine Namen - , die gerade mit Pinsel und Farben dabei ist, eine runde Metallscheibe, überzogen von filigranen goldenen Drähten, das "Cloisonné", zu bearbeiten. In die Felder zwischen den Drähten gibt sie die verschiedenen Farbtöne. Drei Monate dauert die Arbeit an einem solchen Zifferblatt. Mitunter mehr als 30-mal, immer wenn eine Farbfläche beendet ist, wird es bei 800 Grad gebrannt. Schließlich bekommt das gute Stück sein Finish: eine transparente Emailschicht, die in den 900 Grad heißen Ofen kommt.

Ein Härtetest, der auch Lagerfeld überzeugt

Gelernt hat die Nachwuchsmalerin das Handwerk bei der derzeit wohl Besten ihrer Zunft, der Emailleurin Anita Porchet. Ähnlich wie Suzanne Rohr, die seit vielen Jahren für Patek Philippe tätig ist und dort Miniaturen nach Meisterwerken der Malerei auf Zifferblätter zaubert, zählt Porchet zu den ganz Großen unter den Uhrenmalern.

Zwei Ecken weiter macht sich ein junger Asiate an einem bulligen Eisenklotz von Maschine zu schaffen, der Aufschrift nach um 1900 gebaut. Der Mann ist Guillocheur und, wie es heißt, der einzige weit und breit, der das Handwerk noch beherrscht. Eingespannt in das Werkzeug hat er ein Zifferblatt, dem er in feinsten Linien ein fernöstliches Drachenmotiv eingraviert. Das Modell ist nicht auf dem Markt zu haben, sondern für einen Sammler bestimmt. Ein anderer hat gleich zwölf Uhren bestellt, die Zifferblätter mit sämtlichen Sternzeichen verziert, alles komplizierte Einzelanfertigungen: Die Figuren wurden graviert, der Hintergrund emailliert, bei den brillantenen Sternzeichen musste der Steinsetzer ran. Die Arbeit des Special Order Departments von eineinhalb Jahren, zu einem namenlosen Preis.

Massage für das Uhrengesicht

In einer sanften Almlandschaft, 820 Meter hoch im Jura, liegt verschlafen das 5000-Seelen-Nest St. Imier. In einem modernen Industriebau findet sich die Cadrans Flückiger S. A., 2004 als Zifferblatthersteller von Patek Philippe gekauft. In dieser entrückten Atmosphäre stellen 70 Mitarbeiter die Zifferblätter der Genfer Spitzenmanufaktur her, von der klassischstillen Calatrava bis hin zur äußerst mitteilsamen World Time.

Vieles erinnert noch an vergangene Zeiten, etwa die Oberflächenbehandlung: Da werden die zuvor versilberten Kupferblätter mit einer einfachen hölzernen Bürste förmlich gestreichelt, was ihnen einen überirdisch sanften Glanz, die sogenannte Satinierung, verleiht. Eine Massage für das Uhrengesicht, die keine Maschine hinbekommt. Erst im Finishing geht es wieder ganz zeitgemäß zu. Dort sitzen, abgetrennt von der übrigen Welt durch verschlossene Türen und zwei Glaswände, sechs Handwerker in einem Reinraum, von Kopf bis Fuß verhüllt, die Augen mit Vergrößerungsgerät verstärkt. Sie bringen die Ziffern auf die Blätter, versehen sie mit der Zeiteinteilung und der Markenbezeichnung. Feinschliff in Feinstarbeit.

Der Raum gehört zu jenen magischen Orten in der Uhrenherstellung, die nie ein Besucher betreten hat. Wie der Ort, an dem in Meißen die Zifferblätter geformt werden, hauchdünn und doch sehr widerstandsfähig. Wie kann das gelingen?

"Unser Arkanum", raunt Geschäftsführer Lutz Richter. Man müsse sich den Vorgang vorstellen wie das Kuchenbacken - der Porzellanteig werde ganz dünn ausgerollt, nach dem Brennen bei 1400 Grad würden daraus die runden Scheiben gefräst. Um Bruchsicherheit gewährleisten zu können, müsse die Fläche vollkommen plan sein. Eine Kunst für sich. Richter: "Das macht uns keiner nach." Einen Härtetest ganz eigener Art ließ übrigens der Modemacher Karl Lagerfeld den Meissener Porzellanscheiben angedeihen. Er nutzte das Zifferblattmaterial, um daraus Pailletten für Partykleider zu machen. Und auch den Körpereinsatz haben die hauchdünnen Plättchen offenbar überlebt.

Uhrenputz: Vier Gewerke, die Zeitmessern höchste Pracht verleihen

Der Emailleur skizziert entweder mit einer scharfen Metallnadel oder mit zarten Drähten (Cloisonné) das Motiv auf dem Zifferblatt, dann trägt er nacheinander die Farben auf, die jedes Mal gebrannt werden, womöglich 30-mal - und immer droht Totalverlust.

Der Guillocheur verpasst dem Zifferblatt nach Art des Großmeisters Breguet von Hand oder per Maschine ein regelmäßiges Muster aus ornamental angeordneten wellenförmigen und ineinander verschlungenen feinen Linien.

Der Graveur kommt zum Einsatz, wenn das geschlossene Zifferblatt mit reliefartigen Dekors verziert oder aber skelettiert werden soll, indem die Brücken kunstvoll durchbrochen werden, um den Blick auf das Räderwerk im Innern freizugeben.

Der Steinsetzer schmückt Zifferblätter und Lünetten mit Brillanten, wobei die Kunst darin besteht, die kostbaren Steine bombensicher in unsichtbaren Fassungen zu arretieren.