Die Schere zwischen Ausgaben und Einnahmen im deutschen Gesundheitssystem klafft weiterhin auseinander. Die am 1. April 2007 in Kraft getretene Gesundheitsreform, zusammen mit der Umsetzung der Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups, DRG) und den generell klammen Gesundheitsbudgets, wird den Kostendruck weiter verschärfen. Dies führt aktuell zur Schließung, Privatisierung oder Zusammenlegung von Krankenhäusern. Den akkumulierten Investitionsstau beziffert die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) bereits auf rund 50 Milliarden Euro. Nach Schätzungen der Experton Group entfallen davon rund fünf Milliarden Euro auf die Informationstechnologie.
Umso wichtiger sei es, bei den unterschiedlichen Investitionsvorhaben die Prioritäten richtig zu setzen, sagen die Berater. Das Augenmerk liege unter anderem auf den Zielsetzungen Effizienzsteigerung, Qualität und Kundenbindung. Wer Investitionen verantwortet, müsse unbedingt zwischen Systeminvestitionen und individuellen Investitionen unterscheiden.
Systeminvestitionen, wie zum Beispiel die elektronische Gesundheitskarte, kommen dem gesamten System zugute. "Hierbei gibt es Sektoren und Einrichtungen, welche zeitnah oder auch grundsätzlich von Veränderungen profitieren - sie schöpfen den Rahm ab", sagt Axel Oppermann, Advisor bei der Experton Group. Es gebe allerdings auch Bereiche im Gesundheitswesen, wie zum Beispiel die niedergelassenen Ärzte, die erst zu einem späteren Zeitpunkt profitieren. "Vertreter dieser Einrichtungen sind mit mehrperiodischen negativen Leistungsbilanzen konfrontiert. So fühlen sich die Ärzte als Finanzier und Nettozahler benachteiligt."
Unter den individuellen Investitionen summieren sich Projekte, die in erster Linie der eigenen Einrichtung beziehungsweise dem Unternehmensverbund zugute kommen. Hierbei müsse zwischen organisatorischen sowie administrativen IT-Projekten und medizinischen IT-Strategien unterschieden werden. Wesentliche Merkmale dieser Projekte seien, dass die Informationstechnologie zu einer Steigerung der einrichtungsspezifischen Effizienz und Qualität beiträgt. Ziel dieser Projekte sei es ferner, zeitnahe monetäre und nicht monetäre Vorteile für die eigene Einrichtung zu erzielen.
Das Mega-Projekt Elektronische Gesundheitskarte (eGK) soll auf der Infrastrukturseite langfristig für mehr Effizienz sorgen. Mitte 2007 ist jedoch noch immer kein verlässlicher Einführungstermin absehbar. Diese Verschiebungen beziehungsweise die Verwässerung der Zeitpläne führten zu einer fehlerhaften Allokation von Ressourcen bei den Einrichtungen im Gesundheitswesen, beklagt die Experton Group. Aus diesem Grund nähmen nun führende Kliniken das Heft selbst in die Hand. Sie starteten immer öfter lokale oder regionale Projekte, um elektronische Patientenakten oder regionale Versorgungsnetzwerke einzuführen. Damit würden sie einer späteren freiwilligen Ausbaustufe der Gesundheitskarte vorgreifen.
Kritiker des Vorhabens eGK bemängeln, dass der Fokus des Mega-Projektes auf der falschen Stelle liege. Die Patientenakte biete mehr kurzfristigen Nutzen. Die aktuellen Entwicklungen zeigten einerseits den akuten Bedarf an derartigen Lösungen. "Gleichzeitig ist aber nicht auszuschließen, dass die Entwicklung zu einem Wildwuchs führt, der später - im Zuge der Standardisierung durch die eGK - bereinigt werden muss", sagt Wolfram Funk, Senior Advisor bei der Experton Group. "Deshalb sollten die Kliniken und IT-Anbieter bereits heute auf offene Architekturen wie etwa SOA (Service-Orientierte Architekturen) setzen".
Gewinner und/oder Verlierer?
Während die Kliniken dem Thema e-Health eher aufgeschlossen gegenüberstünden, seien die niedergelassenen Ärzte oftmals skeptisch, analysieren die Berater. Organisationen wie die Freie Ärzteschaft (FÄ) seien der Meinung, dass speziell die elektronische Gesundheitskarte nur den Profitinteressen der IT-Industrie diene.
"Solche Aussagen sind eher Vorwand als Einwand. Bedingt wird diese Haltung unter anderem durch die sich reduzierenden beziehungsweise verändernden Gesamtbudgets der niedergelassenen Ärzte", kommentiert Axel Oppermann. Die jeweiligen Interessensgruppen und Organisationen versuchten, ihre Position zu manifestieren. Nicht selten gehe es mehr um monetäre als um ideelle und moralische Gründe. An dieser Stelle sei neben der Kompromissbereitschaft der einzelnen Parteien insbesondere die IT-Branche gefordert. Die Entwicklung und Bereitstellung von nutzungsabhängigen Bezahl- und Abrechnungsmodellen werde der Schlüssel für eine beschleunigte Umsetzung der Großprojekte sein.
Die IT-Branche erhofft sich von der Einführung der Gesundheitskarte zusätzliche Umsätze. "Trotz aller Kritik von Lobbygruppen darf aber nicht außer Acht gelassen werden, dass gerade die IT-Branche Innovationen im Gesundheitswesen maßgeblich vorantreibt", mahnt Wolfram Funk. "Sie öffnet damit potenziell die Tür für eine neue Dimension von Qualität und Effizienz in einer Branche, die lange Jahre sehr veränderungsresistent gewesen ist."
Bei der IT im Gesundheitswesen gehe es um viel mehr als elektronische Gesundheitskarte und Patientenakte. Daneben unterstützten Unternehmen der Informations- und Kommunikationstechnologie die Einrichtungen des Gesundheitswesens in Themenfeldern wie Vernetzung im Klinikbereich, Telemedizin, RFID und Information Lifecycle Management (ILM). Führende Kliniken streben heute nach der Schaffung konsolidierter Infrastrukturen für KIS (Krankenhausinformationssysteme), PACS/RIS (Picture Archiving and Communication Systems/Radiologie-Informationssystem), Storage/ILM und gegebenenfalls ERP (Enterprise Resource Planning).