KIS-integrierte Applikation steuert klinikweite Behandlungsabläufe

Klinische Behandlungspfade digital

06.09.2006
Seit Anfang Oktober 2004 arbeitet das Knappschaftskrankenhaus Bottrop mit einem integrierten Krankenhaus-Informationssystem (KIS). Diese Entscheidung wurde vom Träger, der Bundesknappschaft, für alle sechs Häuser gefällt. Der Grund dafür war die trägerweite Etablierung eines modernen zukunftsorientierten KIS über alle Kliniken hinweg als Basis für innovative Reorganisationsprojekte. Das erste dieser Art ist die Einführung klinischer Behandlungspfade. Als trägerweites Pilothaus zur Einführung der Pfade wurde das Knappschaftskrankenhaus Bottrop bestimmt.

Gemeinschaftsarbeit Pfadentwicklung

„Ein klinischer Behandlungspfad beschreibt das standardisierte Vorgehen von Diagnostik, Therapie und Pflege bei einem bestimmten Krankheitsbild von der Aufnahme bis zur Entlassung“, erläutert Cornelia Müller-Wenzel, Leiterin Zentrales Controlling im Knappschaftskrankenhaus Bottrop. Da die Einsicht in die Notwendigkeit dieses Mittels zu effektivem Arbeiten und ökonomischem Führen eines Krankenhauses bei allen Mitarbeitern vorhanden war, wurden bereits Anfang 2003 die ersten Pfade in einer Papierversion erfolgreich entwickelt.

„Auf Basis der Hauptdiagnosen haben wir Vorschlagslisten erarbeitet, die dann in einer Projektgruppe abgestimmt und ausgestaltet wurden“, beschreibt Cornelia Müller-Wenzel das weitere Vorgehen. Um eine breite Akzeptanz zu gewährleisten, bestand diese aus allen Chefärzten, Oberärzten und Pflegeverantwortlichen sowie den Funktionsbereichen. „Bei allen `schneidenden Pfaden´ haben wir auch die Anästhesie einbezogen.“ Abschließend musste jeder einzelne Pfad vom Chefarzt durch Unterschrift freigegeben werden. Danach erst wurden sie auf den Stationen implementiert und umgesetzt. Im August 2004 gab es abteilungsübergreifend 86 Pfade, die auf einem DIN A3-Bogen festgehalten wurden und den Patienten zukünftig während ihres Aufenthaltes im Krankenhaus begleiten sollten.

Graue Theorie versus klinischer Alltag

Im klinischen Alltag hat sich dann aber schnell gezeigt, wie grau oft alle Theorie ist. „Die Anwendung der Pfade war sehr kompliziert und mit einem hohen Aufwand verbunden“, bilanziert Cornelia Müller-Wenzel die ersten Wochen. „Ärzte und Pflegekräfte mussten sowohl in den Pfad dokumentieren als auch die normale Leistungsdokumentation vornehmen – also doppelte Arbeit leisten. Daher war die Akzeptanz recht gering und die Durchdringung lag bei lediglich 30 Prozent.“ Das heißt, dass nur bei etwa jedem dritten der möglichen Patienten die klinischen Behandlungspfade angewendet wurden.

Sollten im Controlling Analysen gefahren werden, war das ebenfalls mit einem erheblichen Aufwand verbunden. „Besonders interessant ist dabei für uns die sogenannte Abweichungsdokumentation“, erläutert die Chefcontrollerin. Der entsprechende Bogen war dem Pfadbogen beigefügt und wurde auf Station ausgefüllt. Danach kam er zu Cornelia Müller-Wenzel und ihren Kollegen und wurde hier manuell in eine Excel-Tabelle übertragen. „Da die Abweichungsbögen teilweise nicht vollständig ausgefüllt und schwer lesbar waren, war die Erstellung einer korrekten Analyse nicht wirklich möglich.“

„Going digital“ nach einem Jahr

Aus den Erfahrungen des ersten Jahres zog man bei der Bundesknappschaft schnell die Konsequenzen und entschloss sich zum „going digital“ als gemeinsames Entwicklungsprojekt mit TietoEnator–ITB AG. „Zumal sich die klinischen Behandlungspfade gut in iMedOne, das von uns eingesetzte KIS von TietoEnator–ITB AG, integrieren ließen“, sagt Cornelia Müller-Wenzel. Um den Mitarbeitern den Übergang zur elektronischen Variante zu erleichtern, wurden die aus der Papierversion bekannten Pfadbögen 1:1 in die digitale Welt von DOC.Path übertragen.

DOC.Path ist eine Applikation zur Modellierung und Bearbeitung klinischer Behandlungspfade, ist vollständig in das KIS iMedOne integriert und ermöglicht die Erstellung, Verwaltung und Anwendung klinischer Pfade direkt im KIS. Dieses übernimmt auch die zentrale Steuerung aller Behandlungsaktivitäten, von der Zuordnung zu Behandlungstagen und Dimensionen über die Statusverwaltung bis zur Kommunikation mit den Leistungsstellen. Maßgeblich für die Anpassung der klinischen Pfade an sich ändernde Behandlungsweisen ist eine umfassende Abweichungsdokumentation. In DOC.Path können die Gründe für eine Abweichung genauso dokumentiert werden wie der qualitative und quantitative Einfluss auf die Verweildauer. Die Abweichungsdokumentation dient als Grundlage für eine fortlaufende Überarbeitung der angewendeten Pfade.

DOC.Path wurde zunächst in der Nephrologie des Knappschaftskrankenhauses Bottrop pilotiert, aber die ersten Hürden traten schnell auf – allerdings waren sie den organisatorischen Abläufen im Hause geschuldet: „Die prästationären Untersuchungen werden bei uns in der Zentralambulanz durchgeführt, die spätere Aufnahme erfolgt auf der Station. Bei der Papierversion war das kein Problem, da die Dokumentation einfach der Patientenakte beigelegt wurde und mit auf Station ging. In der digitalen Version haben wir den gesamten Prozess in einen prästationären Pfade, der komplett in der Zentralambulanz abgeschlossen wird, und einen stationären, regulären Pfad getrennt.“

Auch um solche Herausforderungen besser meistern zu können, hat das Knappschaftskrankenhaus Bottrop zwei Prozessmanager eingestellt. Beide beschäftigen sich ausschließlich mit den klinischen Behandlungspfaden, einer mit der medizinischen, einer mit der betriebswirtschaftlichen Seite. Zu dessen Aufgaben gehört auch die Entwicklung der Kostenträgerrechnung (KTR), die später einmal direkt an die Pfade angedockt werden soll.

Ständige Pflege muss gegeben sein

Im Mai 2005 startete die stationsweise Inbetriebnahme der digitalen klinischen Pfade, die im Oktober desselben Jahres abgeschlossen war. „Bei der Einführung haben wir bewusst die Nephrologie als Pilotabteilung ausgewählt, da sie sehr hohe Ansprüche stellt“, so Cornelia Müller-Wenzel. Aufgrund vieler multimorbider Patienten sind die Abläufe schwer zu standardisieren. „Das war ein echter Crashtest für die Pfade und das System.“ Heute sind klinikweit 118 Pfade implementiert, mit denen 63 Prozent des Patientenspektrums abgedeckt werden. Die Durchdringung liegt über alle Pfade bei 67 Prozent.

Da es sich bei den Klinischen Behandlungspfaden um ein „lebendes System“ handelt, muss es immer wieder auf den Prüfstand. Um das zu gewährleisten, wurde pro Fachklinik ein Verantwortlicher bestimmt, meist der Leitende Oberarzt bzw. die Stationsleitung. Alle drei Monate wird dann zusammen mit dem Controlling beraten, ob der Pfad, so wie er einmal ausgestaltet worden ist, noch der klinischen Realität gewachsen ist. Nach den positiven Erfahrungen in Bottrop sollen die klinischen Behandlungspfade in DOC.Path ab Herbst 2006 sukzessive in den anderen Knappschaftskrankenhäusern eingeführt werden.

Mit individuellen Lösungen Akzeptanz geschaffen

Und die Erfahrungen sind durchweg positiv – sowohl seitens der Anwender als auch seitens der Verwaltung. Selbst Stationen, die aufgrund wenig standardisierbarer Patienten in der Papierversion eine geringe Durchdringung erreicht haben, wie die Nephrologie und die Gefäßchirurgie, arbeiten heute gerne mit der digitalen Version. „Das ist sicher auch begünstigt durch die Umstellung auf sogenannte Modulpfade, die einzelne Behandlungsschritte bezeichnen“, nennt Cornelia Müller-Wenzel einen Grund für die erfreuliche Entwicklung.

So wurden in der Gefäßchirurgie z.B. speziell ein Diagnostik-, ein OP- und ein Dillatationsmodul eingeführt, bei denen der Arzt nach Abschluss eines jeden Moduls über die weitere Therapie und damit über den nächsten Pfad individuell entscheidet. „Das ist eine exzellente Lösung für Patienten, die durch ihre Nebenerkrankungen nicht so einfach zu standardisieren sind. So haben wir in der Gefäßchirurgie eine Durchdringung von 100 Prozent erreicht.“

Mittlerweile werden die Pfade per Wireless-LAN auch mobil ans Patientenbett gebracht. Jede Station besitzt zwei Tablet-PCs – einer für Ärzte, einer für die Pflege –, mit der sie die digitale Visite durchführt und die medizinischen und pflegerischen Daten direkt am Patientenbett erfasst.

Pfade helfen Potentiale auszuschöpfen

„Ich bin davon überzeugt, dass wir mit Hilfe der klinischen Behandlungspfade eine Menge an Kosten einsparen können“, so Cornelia Müller-Wenzel. Potenzial sieht sie durch Prozessoptimierungen, Kosteneinsparungen durch weniger überflüssige, kostenintensive Untersuchungen sowie höhere Einnahmen durch eine bessere Nutzung der Ressourcen, spez. in den klassischen Dienstleistungsbereichen wie Radiologie und Labor. Darüber hinaus lässt sich eine signifikante Verkürzung der Verweildauer realisieren.

„Nicht zuletzt verbessern wir durch standardisierte und erprobte Abläufe auch die Qualität der Patientenversorgung“, gibt die Controllerin zu bedenken. Durch die Automatisierung würden viele Prozesse vereinfacht und die Tätigkeit der Mitarbeiter erleichtert.

Ein Blick in die Zukunft

Das Projekt „klinische Pfade“ entwickelt sich ständig weiter und wird nie abgeschlossen sein. So kommen von den Stationen fast täglich neue Anfragen nach der Definition und Implementierung von neuen Pfaden. „Unser nächstes großes Vorhaben ist aber die Integration in die verschiedenen Abteilungssysteme mit dem Global Ressource Management (GRM) in iMedOne“, blickt Cornelia Müller-Wenzel in die nahe Zukunft. Damit wird dann die bereits in die Pfade eingebettete Auftragskommunikation um eine automatisierte Terminplanung ergänzt und so können dann die Abläufe noch weiter optimiert werden.

Andreas Voss, MBmedien GmbH