39.000 Positionen in der IT gelten in Deutschland als offen und langfristig kaum zu besetzen. Zu diesem Ergebnis kam der Hightech-Verband Bitkom in seiner Studie "Der Arbeitsmarkt für IT-Fachkräfte". Was in den Publikumsmedien und in der Politik für Aufregung sorgte, dürfte Entscheider aus der IT kaum verwundert haben: Der wachsende Bedarf nach Programmieren kann in Deutschland seit Jahren kaum gedeckt werden - nicht quantitativ und zunehmend auch nicht mehr qualitativ.
Angesichts des gravierenden Fachkräftemangels suchen immer mehr Unternehmen nach Alternativen: Arbeiten zurzeit schon 34 Prozent der Unternehmen mit externen Dienstleistern, setzen - einer Techconsult-Studie zufolge - zukünftig weitere 33 Prozent der Firmen auf externe Hilfe.
Indien war bis vor wenigen Jahren das Land, in das überwiegend Großkonzerne ihre Entwicklung verlagert haben. Doch der Trend wandelt sich: An die Stelle der Offshore-Staaten rücken zunehmend Nearshore-Länder aus Osteuropa. Seit ein bis zwei Jahren verzeichnen IT-Dienstleister aus Ländern wie Armenien, Weißrussland oder der Ukraine eine verstärkte Nachfrage. Start-ups, aber auch Unternehmen der "Old Economy", beispielsweise aus dem Maschinen- und Gerätebau, der Automobilzulieferung und dem Handel, setzen verstärkt auf "Remote Teams" in Minsk, Charkiw und Jerewan.
Viele dieser Unternehmen können Entwickler kaum noch an das Unternehmen binden, geschweige denn ihre Kapazität erweitern. Gerade in den Metropolen werden Entwickler von den "coolen" Start-ups angezogen, während vermeintlich weniger attraktive Unternehmen unter dem fehlenden Personalangebot leiden. Der von der Digitalisierung am stärksten betroffene, klassische Mittelstand ist so auf externe Experten angewiesen, um Geschäftsprozesse ins Internet zu verlagern oder eine mobile App entwickeln zu können.
Offshore oder Nearshore?
Unternehmen profitieren von der besseren Skalierbarkeit und von der Unabhängigkeit vom deutschen Arbeitsrecht, wenn sie IT-Projekte im Ausland realisieren lassen. Ist die Zusammenarbeit zwischen Auftraggeber und externem Partner einmal eingespielt, lassen sich im Nearshoring zudem bis zu 40 Prozent der Kosten einsparen. Outsourcing ist dennoch kein "Allheilmittel". Erfolgsentscheidend sind die Wahl des richtigen Dienstleisters und - fast noch entscheidender - die Wahl des richtigen Standorts.
Wer bereits Erfahrungen mit IT-Projekten in Indien gemacht hat, weiß um deren Herausforderungen. Neben dem administrativen Aufwand und der kulturellen Distanz ist das größte Hindernis die Sprache: Indische IT-Experten sprechen Englisch als Muttersprache und wandern - aufgrund ihrer hohen Qualifikation - nicht selten nach Großbritannien oder in die USA aus. Aufgrund der hohen Fluktuation wurden in der Vergangenheit zahlreiche nach Indien verlagerte Projekte wieder zurückgeholt.
Ebenso hat der Hype um osteuropäische Nearshore-Länder wie Rumänien, Polen oder Ungarn nachgelassen. Zwar konnten Unternehmen hier in begrenzter Zahl auch auf deutschsprachige Entwickler setzen. Auch in Bukarest, Warschau und Budapest ist die Nachfrage nach Experten aber mittlerweile höher als das Angebot. Zudem nähert sich das Gehaltsniveau für Entwickler dem in Deutschland an.
Ein sehr gutes Preis-/Leistungsverhältnis bieten aktuell Entwicklungszentren in Charkiw (Ukraine), Minsk (Weißrussland) und Jerewan (Armenien). Auch Vietnam und Combodia könnten sich in den kommenden Jahren zu Hotspots für Software-Entwicklung entwickeln.
Rechtssituation und Projektmanagement wichtig
Ganz gleich, auf welchen externen Dienstleister die Wahl fällt, sollten Unternehmen beim Outsourcing die rechtliche Situation und das Projektmanagement nicht außer Acht lassen: Greift bei der direkten Zusammenarbeit mit ausländischen Dienstleistern das deutsche Vertragsrecht? Und werden die Reglements zu Datenschutz und Datensicherheit beachtet?
Um spezifische Anforderungen an Qualität, Transparenz, Sicherheit und Compliance durchzusetzen, gilt es zudem, die räumliche Distanz durch ein möglichst umfassendes Projektmanagement auszugleichen. Dieses bindet finanzielle und personelle Ressourcen.
Sven Krahn ist Gründer und Geschäftsführer der Berliner Singlepoint GmbH, einem Full-Service-Dienstleister für Software-Projekten in Nearshore-Ländern wie Armenien, der Ukraine und Weißrussland.