Kampf gegen Erderwärmung

Kohleland Australien verabschiedet erstmals Klimaschutzgesetz

08.09.2022
Ob Hochwasser oder Buschbrände: Australien leidet immens unter dem Klimawandel. Premier Anthony Albanese will es per Gesetz regeln. Aber es gibt Bedenken.
Vor den Buschfeuern in Australien mussten viele Menschen und Tiere fliehen: Ein Klimagesetz hilft in dieser Notlage zunächst nicht.
Foto: John Crux - shutterstock.com

Als Mark O'Tooles Knoblauch-Farm in Lismore immer weiter im Hochwasser versinkt, kann er gerade noch seine 79-jährige Nachbarin aus den Fluten retten. "Als ich ankam, flog die Hintertür auf, und der Fluss rauschte durch ihr Haus. Sie lag auf ihrem Bett, das sich im Wasser hin- und herdrehte", erzählt der 54-Jährige der Deutschen Presse-Agentur. Anschließend harren beide mit O'Tooles Sohn und zwei weiteren Nachbarn in einem Boot aus - dreieinhalb Tage ohne Trinkwasser oder Essen. Dann kommt die gefährliche Rettung per Militärhubschrauber, die live im australischen Fernsehen zu sehen ist.

"Seitdem sind wir praktisch Couchsurfer", sagt O'Toole. Die Fluten, die die Kleinstadt Lismore im Bundesstaat New South Wales und zahlreiche weitere Gebiete an der Ostküste überrollten, liegen ein halbes Jahr zurück - aber noch immer sind viele Menschen ohne feste Bleibe oder schlafen in einsturzgefährdeten und schimmeligen Häusern. Mit dem Voranschreiten der Klimakrise muss Australien immer häufiger mit Extremwetter und Naturkatastrophen wie dieser rechnen.

Ziele im Kampf gegen die Erderwärmung

Die neue Labour-Regierung unter Premierminister Anthony Albanese, die seit Mai im Amt ist, will die Krise nach jahrelangem Zögern der konservativen Vorgängerregierung angehen. Das hatte Albanese bereits im Wahlkampf versprochen. Am Donnerstag stimmte nach dem Repräsentantenhaus nun auch der Senat für ein Klimaschutzgesetz - das erste in der Geschichte des Landes. Es legt ab sofort die Ziele im Kampf gegen die Erderwärmung rechtlich fest. In Deutschland gibt es ein solches Gesetz schon seit 2019.

"Es ist ein Anfang", sagt Howard Bamsey der Deutschen Presse-Agentur. Der Ehrenprofessor an der Australian National University mit Schwerpunkt Klimapolitik hält das neue Gesetz für "glaubwürdig", Australien bewege sich nun global im "Mainstream-Bereich", was die Klimaziele angehe, so der Experte.

Reduzierung der CO2-Emissionen um 43 Prozent

Kernpunkt des Textes ist die Reduzierung der CO2-Emissionen um 43 Prozent bis 2030 im Vergleich zum Jahr 2005. Doch viele halten dies für nicht ambitioniert genug. "Es ist wichtig, dass das Gesetz deutlich macht, dass es noch Raum für Verbesserungen gibt", sagt Bamsey. "Ich denke, jeder weiß, dass wir noch viel mehr tun müssen, wenn wir den Klimawandel wirksam bekämpfen wollen."

Die Grünen hatten sich im Parlament dafür ausgesprochen, das Ziel bis 2030 auf 75 Prozent anzuheben. Die Labor-Regierung lehnte dies ab. Ein Hinweis in dem überarbeiteten Gesetzestext stellt aber klar, dass die Senkung der Treibhausgase um 43 Prozent als Minimum verstanden werden soll. Bis 2050 will Australien komplett emissionsfrei werden.

Zum Vergleich: Deutschland geht ehrgeiziger zur Sache und hatte im vergangenen Jahr sein Klimagesetz noch einmal verschärft. Bereits bis 2045 will Deutschland treibhausneutral werden und sein Emissionsziel bis 2030 im Vergleich zu 1990 um mindestens 65 Prozent senken.

Umdenken nach "Black Summer"-Megafeuer von 2019/2020

Australiens Gesetz sieht immerhin vor, dass Klimaminister Chris Bowen einen jährlichen Bericht darüber abgibt, welche Fortschritte auf dem Weg zur Klimaneutralität gemacht wurden. Denn wie sehr Natur und Mensch leiden, haben nicht nur die Überschwemmungen an der Ostküste einmal mehr deutlich gemacht. Das sogenannte "Black Summer"-Megafeuer von 2019/2020 hat sich sprichwörtlich ins nationale Gedächtnis gebrannt. Eine Fläche von 143.000 Quadratkilometern und mehr als 3.000 Gebäude fielen den Flammen zum Opfer. Laut WWF wurden in dem Inferno drei Milliarden Tiere getötet oder vertrieben. Herzzerreißende Bilder von Koalas mit verbrannten Pfoten gingen um die Welt.

Ein Bericht des Weltklimarates (IPCC) vom Februar 2022 geht davon aus, dass Australien in Zukunft noch häufiger von verheerenden Naturereignissen heimgesucht wird. Heißeres Wetter, gefährlichere Feuer, mehr Dürren und Überschwemmungen, ein höherer Meeresspiegel und trockenere Winter sind demnach zu erwarten. Neben den direkten Folgen für Mensch, Tier und Infrastruktur ist vor allem die Landwirtschaft betroffen. Sollten ausgedörrte Felder und Wassermangel die Ernten verringern, kann es zu Nahrungsmittelkrisen kommen.

Die Vorgängerregierung von Scott Morrison wollte davon lange Zeit nichts wissen und stand wegen ihrer Passivität in der Klimapolitik auch international in der Kritik: In einem Regierungspapier, in dem Ende 2021 Australiens Weg zur Klimaneutralität erläutert werden sollte, sahen Experten vor allem die Interessen der klimaschädlichen Kohle-Industrie geschützt.

Australien größter Kohle-Exporteur der Welt

Auch bei der UN-Klimakonferenz in Glasgow im vergangenen Jahr verzichtete die Morrison-Regierung darauf, ein Abkommen zur Senkung der Methan-Emissionen zu unterzeichnen - aus Angst, die Kohlebranche zu gefährden. Allerdings will auch der neue Premier fossile Brennstoffprojekte vorerst nicht stoppen, weil dies seiner Meinung nach "verheerende Auswirkungen auf die australische Wirtschaft" hätte. Australien war 2021 der größte Kohleexporteur der Welt.

Weniger Emissionen, aber Festhalten an der Kohle: Wie wirksam ist Australiens neues Klimagesetz also wirklich? "Selbst wenn morgen auf wundersame Weise alle Treibhausgasemissionen gestoppt würden, wissen wir, dass sich die Welt weiter erwärmen würde", sagt Klimaexperte Bamsey. Wie viele andere Experten glaubt er nicht, dass der rote Kontinent seine extremen Wetterereignisse mit dem Klimagesetz in den Griff bekommt. Stattdessen befürchtet er weitere Desaster.

Wie Mark O'Toole aus Lismore haben Zehntausende im Hochwasser alles verloren. Ein Klimagesetz hilft ihnen in dieser Notlage nicht. Viele haben kein Geld, ihre Häuser und Grundstücke sind nichts mehr wert, wegzuziehen ist auch keine Option. "Alle sind sehr wütend", sagt der Farmer. Die Hilfsgelder kämen nur schleppend und reichten nicht aus, um Häuser komplett zu renovieren. Auch sei - Klimagesetz hin oder her - nicht klar, wie die nächste Katastrophe verhindert werden soll: "Niemand weiß es. Niemand weiß, was wir tun sollen." (dpa/rs)