Wolfgang Leitner ist ein emsiger Akquisiteur. Im November 2005 kaufte der Chef des österreichischen Anlagenbauers Andritz den Papier- und Walzensektor von Eduard Küsters Maschinenfabrik, davor die nordamerikanische Universal Dynamics Group. „Seit Jahren geht das so“, berichtet CIO Klaus Glatz, der in den letzten Jahren alle drei Monate einen Zukauf registriert und diesem Tempo von der IT-Seite her standhalten muss. Leitner, im Unternehmen auch „Der General“ genannt, sucht Wachstum. Mit dem Erfolg, dass die ehemalige Eisengießerei bei zweistelligen Wachstumsraten derzeit 1,8 Milliarden Euro schreibt und 98 Prozent ihrer Maschinen nach Deutschland, Finnland, Nordamerika und Asien exportiert. Längst ist der österreichische Markt für das Unternehmen zu klein geworden.
Seit Mitte 2005 hat der gelernte Telematik-Ingenieur Glatz die dezentrale IT-Strategie aufgegeben – ein Einschnitt für das Unternehmen und die IT. Ein IT-Board lenkt seit Mitte 2005 eine globale Strategie. Kompetenzzentren agieren in einer „virtuellen Organisation“, wie Glatz erläutert: „Aus einem lokalen wird eine globale IT-Abteilung.“ Im Alltag bedeutet dies: Ein Projektmanagement- Tool schafft heute Übersicht über alle laufenden Projekte, und SAP wird derzeit unternehmensweit vereinheitlicht. „Da ist nun weltweiter IT-Support nötig“, erläutert Organisationsberater Udo Müller, „und ein IT-Mitarbeiter muss in Kanada Projekte moderieren – ein Wandel in der Denke.“
Viele IT-Mitarbeiter arbeiten bereits seit 20 Jahren für das Unternehmen Andritz, das im Bezirk Andritz liegt. Niemand weiß so richtig, was zuerst da war – der Ort oder das Unternehmen, derart eins ist die Andritz AG mit der 15000 Einwohner zählenden Gemeinde. Die wenigsten Mitarbeiter mussten bisher raus zu anderen Niederlassungen und dort aushelfen oder beraten. Jetzt heißt die Devise von CIO Glatz: Vorwiegend Mitarbeiter, die bereit sind, die Hälfte ihrer Arbeitszeit mit Reisen zu verbringen, werden eingestellt.
Stress in der Zusammenarbeit
Das neue Projektmanagement erforderte es, dass sich die Mitarbeiter aus den vier IT-Sektionen nun enger abstimmen mussten als zuvor.„Die neue Methodik allein reichte nicht, um die Projekte selbst reibungsloser ablaufen lassen zu können“, formuliert Glatz. Es sei klar geworden, dass die 50-Mann-IT-Abteilung in Graz serviceorientierter werden musste – „weg vom Blechschrauber“, so der CIO. Der eigentliche Grund jedoch war ein anderer: „In Stresssituationen war die Zusammenarbeit nicht so, wie sie sein sollte, Konflikte lagen unausgesprochen in der Luft“, sagt Glatz. „Es gab keine Kultur, um mit Konflikten und Feedbacks umzugehen.“
Es musste etwas passieren. Und Glatz holte die Organisationsberatung Five Consult, die den bevorstehenden Change-Prozess begleiten sollte. Der Ablauf ist vielfach erprobt – und immer derselbe: Das IT-Management kam zusammen und entwickelte ein Bild („Big Picture“), das sich später als „Wir müssen sozial kompetenter werden“ zusammenfassen ließ. Kurz vor Weihnachten 2004 saßen alle 50 IT-Mitarbeiter dann beieinander - in einem Creativ-Café, wie Organisationsentwickler den Ort nennen, an dem die Mitarbeiter Ideen zu einem Thema entwickelten sollten. Und das hieß: Soft Skills. In dieser Großgruppenveranstaltung saßen die IT-ler zu sechst oder siebt an einem Tisch mit je einem Moderator aus dem Andritz-Team. Fragen wie „Was wissen Sie über Soft Skills?“ oder „Welche Erfahrungen, Gefühle sind daran gekoppelt?“ erarbeiten die Tischgruppen. Nach fünf bis sechs Fragenrunden präsentieren die Moderatoren die Ergebnisse im Plenum.
Für Brigitte Lube – die Frau für Coachings und Soft Skills bei Five Consult – gehört zur Sozialkompetenz die Wertschätzung von Mitarbeitern, die sich starr verhalten – und an Bekanntem festhalten. „Die Bewahrer nennen oft die Stolpersteine und sind sehr hilfreich in Veränderungsprozessen“, so die Psychologin. Zur Sozialkompetenz gehöre es, auch diese Bewahrer verstehen zu wollen. „Denn sie haben auch eine positive Absicht – wenn auch für sich selbst.“ Besonders häufig, so beobachtet Lube, verharrten Mitarbeiter auf der „Fähigkeitsebene“ und ließen sich von Fragen etwa nach Selbstkompetenz nicht beeindrucken. Doch gerade in Situationen, in der unterschiedliche Gedankenmodelle oder Kulturen aufeinander prallen, sei es wichtig, sich selbst richtig einschätzen zu können. „Was nutzt mir das beste Fachwissen, wenn ich nicht nachvollziehen kann, was der innere Antreiber des Gegenüber ist?“, fragt Lube, die oft gravierende Unterschiede zwischen der eigenen und der Fremdeinschätzung feststellt: „Die Café-Methode hat den Vorteil, Informationen über Soft Skills schnell rüberzubringen, Ideen zirkulieren zu lassen – und die folgenden Gesamttrainings mit den Mitarbeitern abzustimmen.“ CIO Glatz setzte direkt im Anschluss an das Creativ-Café eine Planung auf und filterte die wichtigsten Themen heraus.
Die eigentliche Arbeit konnte beginnen. Das Training sollte etwa drei Tage dauern und sich dem Creativ-Café anschließen. „Das ist ein Feinkonzept, das eine Schulung für Selbstkompetenz, Kommunikation und Moderation enthält“, erläutert Müller, der allerdings auch nichts daran ändern konnte, dass die Schulung erst ein Dreivierteljahr später stattfinden sollte – ab Herbst 2005.
„Man verschiebt die Dinge, die nicht zu 100 Prozent messbar sind“, gibt CIO Glatz zu. Und es ist auch kein Geheimnis, dass das Thema Sozialkompetenz negativ besetzt ist. „Deshalb haben wir das Projekt zu Beginn nicht mit dem Begriff direkt in Verbindung gebracht“, erläutert Müller, der den Fokus im Projekt auf „eine bessere Zusammenarbeit in der IT“ gelegt hat. Das Management bewilligte mit dem Projekt – mit dem Titel „Im Team“ – eine Investition in sechsstelliger Euro-Höhe. 60000 Euro fielen und fallen für die externe Begleitung an, im Projektkernteam waren sieben Mitarbeiter zehn bis 15 Tage ausschließlich mit „Im Team“ beschäftigt, und vier Tage fielen alle 50 IT-Mitarbeiter für gemeinsame Trainings und Informationsveranstaltungen aus.
Die Erkenntnis: Konflikte sind lösbar
Sämtliche Trainings sind seit Ende Januar abgeschlossen. Bis dahin kam einmal in der Woche ein Ansprechpartner von Five Consult zu Andritz. „Darüber hinaus machen wir einmal monatlich Reviews im Kernteam, in denen wir diskutieren, was besser und was schlechter geworden ist“, erläutert Glatz. Das will der 33-jährige CIO auch weiter beibehalten, denn er sieht erste Erfolge. Zwei seiner Mitarbeiter etwa haben nicht einmal mehr miteinander gesprochen. Durch separates Coaching der beiden hätten auch sie gelernt, dass Konflikte lösbar sind.
Dennoch ist es wichtig für CIO Glatz, den Erfolg im Unternehmen künftig eindeutig messbar zu machen. In den regelmäßigen Zufriedenheitsbefragungen schlägt sich das erste Training noch nicht nieder. Doch schon bald möchte Glatz Kennzahlen überprüfen, die sich möglicherweise durch die Förderung der Soft Skills im Unternehmen verbessert haben. Und das sind dann ausschließlich Hard Facts wie Projektdurchlaufzeiten und aufgetretene Probleme. Unabhängig von diesen Ergebnissen hat CIO Glatz das Management bereits von einem neuen Creativ-Café mit dem Titel „Zukunftswerkstätte“ überzeugt – ein Beweis für den Erfolg des Pionier-Projektes. Die Hauptakteure: Manager der Business-Sektionen und Repräsentanten der IT. Die Information zwischen Business und IT soll fließen. Und zwar mitten in Andritz – oder besser slawisch: Jendrica, was ja übersetzt so viel bedeutet wie schnell fließendes Wasser.