"Es ist klar, dass es nicht nur Datenaustauschprobleme gibt, wenn vier Firmen an vier verschiedenen Standorten entwickeln - selbst wenn alle das gleiche System benutzen", beschreibt Rolf-Stefan Scheible, Leiter des Projekts "Airbus Concurrent Engineering" (ACE), die Herausforderung für den europäischen Flugzeugbauer.
Deutsche, Engländer, Franzosen und Spanier kooperieren bei Airbus bereits seit 30 Jahren miteinander. Das lose Bündnis gleichberechtigter Partner hat sich aber erst im Juli 2001 zu einem einheitlichen Konzern, der Airbus Integrated Company (AIC), zusammengeschlossen. Das deutsch-französisch-spanische Luft- und Raumfahrtkonsortium EADS (European Aeronautic Defence and Space Company) hält 80 Prozent, der britische Rüstungsproduzent BAE Systems die restlichen 20.
Rund 20000 Menschen müssen ständig mit denselben Daten arbeiten. Die Briten produzieren die Tragflächen, im deutschen Laupheim werden die Kabinen gebaut, in Hamburg findet der Innenausbau statt und im französischen Toulouse die Endmontage. Größte Schwierigkeit: Die Konsistenz der Daten muss unabhängig vom Ort gewährleistet sein, zum Schluss müssen alle Teile exakt zusammenpassen.
Wenn diese vor dem Bau am Computer durch digitale Mock-ups elektronisch gestestet werden, sind jene Fehlplanungen ausgeschlossen, die früher erst bei der Monatge des Flugzeugs bemerkt wurden. Beim Bau der Rippen im Flügel durch die Briten etwa habe es im Fall der A340 rund 500 Beanstandungen gegeben, beim neuen Modell A340-600 nur noch eine.
Das ist Scheible und seinen Mitstreitern zu verdanken. Durch die Airbus-Kommunikationsplattform "Primes" (Product Related Information Management Enterprise System) können sämtliche Mitarbeiter der Bereiche Entwicklung, Fertigung und Kundenservice jederzeit Web-basiert auf die Produktdaten zugreifen. "Wir wollen weg vom Datenaustausch, hin zum Daten-Sharing", sagt Scheible. Statt wie heute über das World Wide Web nahmen große Datenvolumina noch vor wenigen Jahren den Luftweg, auf Bändern abgespeichert und im Flugzeug hin- und hertransportiert.
"Heute kann ich mir an meinem Laptop die spanischen Fahrwerksklappen anschauen. Ich sehe die Teilenummern und kann sie selbst vermaßen", sagt Scheible, der in Hamburg arbeitet. Ein Vorteil: Die Fertigung erhält früh Einblick in den Konstruktionsstatus und kann Verbesserungen vorschlagen, die Zeit und Geld sparen. "Früher fand nur alle zwei Monate ein Konstruktionsgespräch statt; heute kann ein Fertiger jeden Tag in das System schauen und direkt Kontakt mit dem Entscheider aufnehmen." Alle Airbus-Mitarbeiter sind in der Lage, jederzeit und überall Daten, Dokumente und Prozesse abzurufen und Wissen auszutauschen - ohne dass unterschiedliche Quellen, Systeme und Formate im Weg stünden.
Hinter der Benutzeroberfläche Primes verstecken sich Systeme wie Catia für die Konstruktionszeichnungen, dazu Links zu rund 40 weiteren Anwendungen. Das Datenmanagement basiert auf der Software Windchill des Herstellers PTC, die ACE an die Anforderungen für Airbus angepasst hat. Es ermöglicht die übergreifende Kooperation zwischen internen Teams und Unternehmensbereichen, Partnern und Lieferanten.
Das 50-köpfige ACE-Kernteam kommt seit August 2002 wöchentlich zu dreitägigen "Plateau"-Treffen - meist im französischen Toulouse - zusammen und diskutiert in drei bis fünf parallel laufenden Arbeitsgruppen. "Früher hat die Abstimmung in den transnationalen Teams ewig gedauert, oder sie fand gar nicht statt", sagt Scheible. Ein Decision Board mit ACE-Mitgliedern prüft alle Vorschläge. Streithähne können so ihr Gesicht wahren und behaupten: "Sorry, ich habe zwar gekämpft, aber die haben anders entschieden." In einem ausdrücklichen Zustimmungsprozess dienen Meilensteine als Quality Gates; nur wenn alle Mitglieder zustimmen, folgt der nächste Schritt. Vierteljährlich berichtet Scheible an das Executive Commitee. "Die Unterstützung von oben ist sehr gut."
Alle sechs Monate versorgt Scheibles Team die Standorte mit Updates der Software und einem Regelwerk, das festlegt, wie die Prozesse firmenweit zu handhaben sind. Seit Mitte Februar läuft der Rollout von ACE 6.2. "Im Paket stecken bis zu 60 Elemente. Manchmal steht ein Software-Code dahinter, es kann aber auch nur eine Methodenbeschreibung sein", erklärt Scheible.
Bei Airbus gab es kürzlich noch IT-Systeme mit Masken, in denen für Teile Ziffern standen, die nur der verstand, der täglich damit gearbeitet hat. Für Airbus ist auch die Entwicklung in 3-D neu. Konkurrent Boeing hat bereits die Boeing 777 komplett dreidimensional und mit einem einheitlichen Konstruktionsprogramm entwickelt.
Selbst Anfang 2005, wenn die A380 ihren Erstflug absolviert haben wird, sei noch genug zu tun, so Scheible. Bei den neuen Maschinen A380 und A400 M kann sein Team von Anfang an mit der Harmonisierung beginnen. Hinzu kommt die Migration der Altprojekte in die neue Systemwelt. Anders als bei Autos wird bei Flugzeugen nach der Entwicklung keineswegs sieben Jahre lang das gleiche Produkt gebaut; im Kabinenbereich erfüllt der Flugzeugbauer oft spezielle Kundenwünsche. Der Kreislauf von Entwicklung und Fertigung endet nie, vorhandene 3-D-Daten müssen immer wieder verändert werden. Deshalb rechne es sich für Airbus, die Legacy-Daten in die neue Systemwelt zu konvertieren, um Anpassungen mit optimierten Prozessen durchführen zu können, so Scheible.
ACE ist nur eines der sieben Integrationsprojekte, die im Konzern für Ordnung sorgen. "Superworld" soll die Schnittstelle zu den Zulieferern optimieren, denn ein Großteil der Wertschöpfung liegt im Einkauf. "Customer Service Number One" zielt auf den Kundenservice. "Da wollen wir im Vergleich zu Boeing die Nummer eins sein." Das Team "Unified Information Management" will auf der Architekturebene harmonisieren und dafür sorgen, dass alle Partner die gleichen Fertigungssysteme, PC- und Outlook-Anwendungen verwenden.
"So ein Riesending kann man nur erfolgreich durchführen, wenn alle ganz eng zusammenarbeiten", sagt Scheible. "Die Faszination des Produkts ermöglicht es, die Kräfte aufzubringen, um das zusammenzuhalten. Die A380 ist der Leitvogel. Sie fordert die Integration."