NUTZEN UND RISIKEN DER IT-HARMONISIERUNG

Kosten drücken durch Kopien

01.04.2002 von Heinrich Seeger
Standard-Software ist billiger als Individual-Software; eine standardisierte IT-Infrastruktur lässt sich günstiger betreiben als Systemwildwuchs: Diesen Argumenten kann sich kein kostenbewusster CIO entziehen. Heterogene IT-Landschaften entwickeln jedoch oft ein ausgeprägtes Beharrungsvermögen - technisch, organisatorisch und menschlich. Standardisierungsprojekte, etwa bei Bosch Rexroth und RBG, sind deshalb eine echte Management-Herausforderung.

DIE ZUNGE HOLPERT bei dem Wort IT-Standardisierung. So sperrig die Aussprache ist, so glatt geht der Begriff dagegen denen runter, die mit ihren Budgets knapsen müssen: Standards führen direkt zu geringeren ITKosten. Selbst Laien leuchtet ein, dass eine hoch standardisierte IT runder läuft als ein Verhau aus Softund Hardware-Bastelarbeiten.

Laut Meta Group entsteht rund ein Drittel aller IT-Kosten dadurch, dass Schnittstellen zwischen Inselanwendungen und -systemen bereitgestellt werden müssen. Verständlich darum, dass Controller Standardisierungsfans sind. CIOs auch - aber so einfach ist es nicht. „Wer versucht, in Shanghai oder Kasachstan SAP R/3 einzuführen und damit den Company-Standard durchzusetzen, sollte sich bewusst sein, worauf er sich einlässt“, sagt Alfred Spill, IS-Manager beim Energie- und Automatisierungskonzern ABB in Mannheim.

Standard ist, was sich durchsetzt

Dabei lassen sich Standards unternehmensintern noch relativ einfach durchsetzen. Jenseits der Firmengrenzen ist das anders. Wichtig sind die technischen Standards, die sich am Markt durchsetzen. Von „positiven Netzeffekten“ spricht der Frankfurter Wirtschaftsinformatiker Wolfgang König; die klassische Wirtschaftsliteratur hat den Begriff „Bandwagon-Effekt“ geprägt. Beides bedeutet: Kaufentscheidungen eines Kunden beeinflussen die Entscheidungen anderer Kunden. Microsoft und SAP sind per Bandwagon zu Marktführern geworden. Aber auch herstellerübergreifende Technologien, etwa das Datenaustauschformat XML, das im E-Business immer wichtiger wird, wären sonst Schrankware: aufwendig entwickelt, säuberlich beschrieben, ordentlich abgeheftet - und dann vergessen.

Damit das nicht geschieht, formieren sich rund um die Standardisierungsgremien wie das W3C immer wieder Anbieterinitiativen, die technische Standards zu Defacto- Standards machen wollen. Jüngstes Beispiel: die Web Services Interoperability Organization, eine Gruppierung von bislang etwa 50 Hard- und Software- Anbietern, die dafür sorgen wollen, dass individuell entwickelte Anwendungen und Dienste zur kommerziellen Nutzung bereitgestellt werden können (siehe CIO 3/2002, Seite 50). Dabei gibt es bereits vier Standards, die das technische Fundament für Web-Services bilden: XML für den Datenaustausch, Soap für den Zugriff auf die Online-Dienste, WSDL zur einheitlichen Beschreibung der Services und UDDI als universelles Verzeichnis - eine Art „Gelbe Seiten“ für Web-Services. Diese Technologien bieten jedoch auch individuellen Spielraum; ein Zusammenspiel der konkurrierenden Infrastrukturen „.net“ (Microsoft) und Sun One (Sun Microsystems) ist nicht automatisch möglich.

SAP R/3 ermöglicht noch zu viel Wildwuchs

Auch etablierte Standards lassen sich häufig nur unter Qualen umsetzen. Beispiel SAP: Die R/3-Software darf mit einem Marktanteil von mehr als 50 Prozent (laut Pierre Audoin Conseil) zumindest in Deutschland als De-facto-Standard im Enterprise-Bereich gelten. Das Thema Standardisierung hat sich damit jedoch nicht erledigt: Natürlich seien gewisse Abläufe vorgegeben, aber es gäbe immer noch reichlich Implementierungsalternativen, so die IT-Koordinatorin des Eon-Konzerns, Gisela Wörner, zur Computerwoche. Das gilt offenbar für ERP-Software generell: Letztes Jahr äußerte sich bei einer Umfrage der US-Beratungsfirma Robbins-Gioia unter gut 200 Anwendern verschiedener Branchen über die Hälfte unzufrieden mit den Business-Standardlösungen.

Integration ersetzt keine Standardisierung

Was einem gemeinsamen Standard folgt, muss nicht mehr integsoftriert werden. Aber weil der Standardisierung Grenzen gesetzt sind, werden Integrationsprojekte wohl immer genauso wichtig sein wie Standardisierungsvorhaben. Viele sehen die Integration selbst bereits als Standardisierung, so auch Richard Nußdorfer, Geschäftsführer der Münchener Beratungsfirma CSA Consulting. Er geht davon aus, dass die Verbindung von Anwendungsinseln durch Lösungen zur Enterprise Application Integration (EAI) bereits einen IT-Standard setzt und damit die Steuerung komplexer Geschäftsprozesse ermöglicht. Nußdorfer: „EAI fungiert als Standard-Software.“

Dem widerspricht Gisela Wörner: Nach ihrer Überzeugung dürfen CIOs das Ziel Standardisierung nie aus den Augen verlieren. Um im Eon-Konzern die IT-Kosten zu reduzieren, setzt sie auf technische Standards bei Plattformen und Anwendungen. Wörners Motto: „Konsolidierung von Systemen und Standard-Software statt Individual-Software.“ Man dürfe sich nicht einbilden, warnt die Eon-Managerin, dass sich individuelle Anwendungen einfach mittels EAI untereinander oder mit externen Applikationen verbinden ließen.

Mittelstand braucht B2B-Vereinheitlichung

Sogar eine wirtschaftspolitische Komponente gibt es: Fehlende Standards behindern Marktentwicklungen. Vor allem kleine und mittelständische Unternehmen, so das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, stehen oft vor unüberwindlichen Hürden, wenn sie im E-Business aktiv werden wollen. In einer Studie kommt die Behörde zum Schluss, dass die laufenden Bemühungen um technische Standards bei B2BPlattformen kartellrechtlich unbedenklich seien. Im Gegenteil: Ein Verzicht darauf behindere den Wettbewerb.