VIELE HATTEN IHM ABGERATEN. Mehrere Monate lang reiste CIO Erwin Pignitter um die Welt, sprach mit IT-Verantwortlichen und prüfte das Vorhaben. Trotz der Bedenken startete er 2004 die Totalintegration aller Entwicklungsdaten beim Münchener Triebwerkshersteller MTU Aero Engines: ein 20-Millionen-Euro-Vorhaben, bei dem MTU allein sechs Altsysteme abschaltet.
Bislang setzte die MTU in die Konstruktionssoftware Catia von Anbieter Dassault ein. Weil aber die Hauptkunden wie die Triebwerkshersteller General Electric und Pratt & Whitney mit Unigraphics von Anbieter UGS Solutions arbeiten, entschied sich Pignitter für UGS. Das erforderte zugleich die Einführung des UGS-Produktdaten- Managementsystems (PDM) Teamcenter. Rund 350000 Modelle und Zeichnungen überträgt die MTU in das PDM-System und rüstet 1200 Funktionen um. Nach drei Jahren will die MTU Ende 2006 das Projekt „PLM2” abschließen. Allein die Daten zu konvertieren dauert netto ein Jahr Rechenzeit. „Am Ende bekommen wir einen durchgängigen Software-Monolithen, dann sind wir von A bis Z standardisiert“, sagt der gebürtige Österreicher.
Ob Ende 2006 alles läuft, bleibt bis zum Schluss eine spannende Frage. Denn auf unvorhersehbare Probleme wie nicht integrierbare Datengräber stößt man erst während eines solch großen Projekts. Doch Pignitter entschied sich trotz der Ungewissheiten für den Projektstart, weil er nach langer Vorbereitung die Risiken kalkulieren konnte: Beurteilungskompetenz heißt deshalb die entscheidende Qualifikation.
Diese Kompetenz basiert auf dem hohen IT- und Prozesswissen der MTU. Ohne dieses Wissen läge das Unternehmen bald im Hintertreffen, denn von vielen externen Beratern erwartet man wenig substanzielle Hilfe. Politik einiger IT-Dienstleister sei es noch immer, Berater zu schicken, die Tagessätze kassieren, aber nur wenig Wissen mitbringen. „Beurteilungskompetenz muss in der eigenen Mannschaft sein, sonst laufen wir mittelfristig in die Kostenfalle und müssen unter Umständen überhöhte Preise bezahlen“, erklärt der gelernte Betriebswirt und frühere Prozessberater.
Eigenes Wissen baut die MTU-IT durch Job-Rotation auf. Querschnittsteams organisieren den Informationsaustausch zwischen Basistechnologie und Applikationsseite. Auf der Anwendungsseite saugt die IT Mitarbeiter aus dem Business ab und schickt sie später wieder dorthin zurück.
Die daraus erwachsende Beurteilungskompetenz braucht die IT für ein weiteres Riesenproblem aller CIOs – das Sizing: „Wie groß muss die Struktur sein, damit wir 5000 Anwender auf SAP umsatteln können?“, nennt er ein aktuelles Beispiel. Berater halfen ihm auch hier bislang nicht weiter, weswegen erst kürzlich wieder einer nach unbefriedigender Diskussion sein Büro verlassen musste.
Alles auf Linux
Von SAP führt MTU die Wartungs-Lösung MRO (Maintenance, Repair, Overhaul) und als Ramp-up-Kunde den R/3-Nachfolger ECC 5.0 (ERP Central Component) ein. Wie auf der Entwicklungsseite will Pignitter auch hier ein durchgängiges System schaffen. Damit unterstützt er eines der beiden bis 2010 gesetzten Unternehmensziele: MTU will bis dahin die Position als weltweit größter unabhängiger Maintenance-Betrieb ausbauen. Mit dem Projekt „PLM2“ unterstützt die IT das zweite Geschäftsziel: Marktanteile gewinnen und unverzichtbarer Subsystemanbieter bleiben.
Auf IT-Seite lautet das Ziel, sowohl den SAP- als auch den PLM-Monolithen auf das Betriebssystem Linux zu migrieren. „Wir wollen sämtliche Vorteile bezüglich Schnelligkeit und Stabilität erzielen und dauerhaft Low-Price-Hardware für den Betrieb einsetzen“, begründet Pignitter. Zu diesem Zweck eneuert die MTU stetig die Beurteilungskompetenz in der Mannschaft, um im Wettlauf um Best-Practice und um Kostenführerschaft zu bestehen.
Neue Wege geht MTU auch bei zuvor outgesourcten Bereichen. So betreibt MTU den Help Desk inzwischen wieder selbst: billiger und qualitativ besser. Auch das zurzeit an T-Systems vergebene Rechenzentrum muss nicht immer in fremden Händen bleiben. Durch die starke Automatisierung sparen Unternehmen hohe Personalkosten und können die IT wieder selbst billiger als Dienstleister betreiben, argumentiert der MTU-CIO. Kontrolle und Wissen über die Prozesse im Rechenzentrum hat MTU nie ganz aus der Hand gegeben. Nur die hohen Investitionskosten für ein zu schaffendes eigenes Rechenzentrum sind zugegebenermaßen ein Problem.