Wieder dieses elendige Ziehen im Nackenmuskel, weil man sich bei offenem Fenster einen Zug geholt hat und jede Bewegung zur Qual wird? Kein Problem, unser Golf wendet auch so automatisch ohne jedes Zutun des Fahrers und ohne den schmerzhaften Schulterblick. Und bremst plötzlich sanft ab, weil der Fahrer die eigentlich unsichtbaren Kinder hinter dem geparkten VW-Bus am Straßenrand übersehen hätte. Zukunftsmusik? Nein, nur bedingt, denn es sind reale Erfahrungen mit einem VW-Golf-Testfahrzeug für das hochautomatisierte Fahren auf einem abgesperrten Parcours.
IAV setzt auf IoT-Prinzip
Sicher, Kollisionsverhinderung und etliche andere Features wie Spurassistent bieten mehrere Fahrzeugbauer heute bereits in der Großserie als Extra gegen Aufpreis an, doch der Ansatz der Berliner IAV (Ingenieurgesellschaft Auto und Verkehr) zum hochautomatisierten Fahren basiert auf dem IoT-Prinzip. Während andere Player auf das autonome Fahrzeug setzen, ist bei den Berliner das Auto Teil einer vernetzten Verkehrsinfrastruktur.
Der Engineering-Partner der Automobilindustrie will im Gegensatz zu anderen Konzepten, dass das Fahrzeug nicht alles selbst erkennt, sondern mit anderen Verkehrsteilnehmern und der Infrastruktur selbst Informationen austauscht, also das IoT-Prinzip des Information Sharing verfolgt. So könnte das autonome Auto im obigen Beispiel etwa das nicht zu sehende Kind hinter dem Bus an seinem Wearable - etwa der Smartwatch - erkennen, da diese ja per Bluetooth senden. Dabei setzten die IAV-Forscher auf das Car2X-Kommunikationsprinzip.
Ampel als Datendrehscheibe
Für die Berliner wird damit etwa eine Ampel zur Datendrehscheibe, die dann per WLAN mit dem Fahrzeug kommuniziert. Sie soll die unterschiedlichsten Verkehrsinformationen sammeln, vor Gefahren warnen und an das Fahrzeug weiterleiten. Dieses wäre so in der Lage "vorausschauend" zu fahren, da es bereits vorab von Gefahrenstellen weiß und rechtzeitig die Geschwindigkeit anpassen kann. Des Weiteren könnte die Ampel auch eigene Informationen an die Verkehrsteilnehmer senden, so dass sie bei einer Rotphase automatisch abbremsen und bei "Grün" automatisch weiterfahren können.
Ebenso ist vorstellbar, dass das neue System auch die Kameras nutzt, die heute ohnehin bereits auf vielen Ampeln montiert sind und das Verkehrsgeschehen beobachten. Deren Bilder werden dann in der Cloud von Algorithmen auf Basis von Microsoft Azure Machine Learning ausgewertet. Mit Microsoft unterhält IAV eine Partnerschaft in Sachen vernetztes Fahren.
Das Auto lernt mit Azure
In den Augen der Berliner wird so die klassische Ampel zu einem Smart Device. Intelligenter könnten in diesem Szenario auch die Verkehrsschilder werden. Zum einen dadurch, dass sie selbst ihre Bedeutung als Smart Device direkt an das Fahrzeug senden, zum anderen dadurch, dass die Fahrzeuge das Ergebnis der Verkehrszeichenerkennung durch ihre eigene Kamera in die Cloud senden und dort die Ergebnisse der verschiedenen Verkehrsteilnehmer miteinander kombiniert und kontrolliert werden. Die entsprechenden Fusions-Algorithmen von IAV laufen ebenfalls auf Microsofts Cloud-Plattform Azure.
Glaubt man den Berlinern, so hat dieser Ansatz gegenüber den heutigen lediglich kameragestützten Verkehrskennzeichen-Erkennungssystemen den Vorteil, dass die Erkennungsgenauigkeit deutlich höher ist und auch bei schlechten Lichtverhältnissen oder schlechtem Wetter gewährleistet ist. Bei IAV hält man die heute verwendete Methode, Schilder, Straßeninformationen etc. analog zu erkennen, um sie dann digital weiterzuverarbeiten für "very old analog school".
Intelligente Blitzer
Denkbar ist auch die Vernetzung anderer Infrastrukturbestandteile. So könnte etwa die Blitzer Unfälle erkennen und nicht nur den Notdienst rufen sondern andere Verkehrsteilnehmer vor der Gefahrenstelle warnen. Die Berliner sind überzeugt, dass ein solches vernetztes Verkehrssystem eine Bewältigung des ÖPNV mit weniger Ressourcen erlaube und zu dem der Verkehr durch die vorausschauende Fahrweise bis zu zehn Prozent weniger Energie verbrauchen würde. Kritik, dass ihr System erst teure Investments in die Infrastruktur erfordern würden, lässt man bei IAV nicht gelten. Vielmehr könnte ihr System mit wenig Aufwand in die vorhandenen Ampeln etc. nachgerüstet werden und durch die Cloud-Nutzung sei eine Anschaffung eigener Rechner oder der Bau eigener Rechenzentren unnötig
Ferner sei ihr System dank der Cloud-Unterstützung und die selbstlernenden Algorithmen eher in der Lage ein unfallfreies, automatisiertes Fahren zu gewährleisten als rein autarkes System. Allerdings kann das Berliner Fahrzeug auch eigenständig fahren, wenn es die Connectivity in die Cloud verliert. In Zukunft könnte das Auto dann in der Stadt komplett selbst fahren. Auf dem Weg dorthin dürften aber in einem ersten Schritt in rund drei Jahren Features wie ein Stauassistent zur Serienausstattung der Fahrzeuge gehören.