Digitalisierung an der New Yorker Börse

Künstliche Intelligenz ersetzt Wall-Street-Analysten

29.10.2015 von Harald Weiss
Der Digitalisierung fielen in den letzten Jahren bereits viele Berufe zum Opfer. Inzwischen gelten auch die gut ausgebildeten und teuren Finanz-Experten der Wall Street als massiv Digitalisierungs-gefährdet.
Werden die Finanz-Analysten der Wall Street bald durch Kollege Computer ersetzt?
Foto: Sean Pavone - shutterstock.com

Viele Finanz-Analysten an der Wall Street verdienen mehrere Hunderttausend Dollar im Jahr. Selbst wer frisch von der Uni kommt, startet häufig schon mit 100.000 Dollar oder mehr. Und noch vor zwei Jahren kamen zwei Oxford-Professoren in einer Studie zu dem Ergebnis, dass der Job eines Finanz-Analysten sicherer sei, als 70 Prozent aller betrachteten Berufsbilder.

Die Hauptarbeit dieser Top-Verdiener besteht darin, die Finanz- und Wirtschafts-Aussichten eines Unternehmens zu erfassen und daraus Handlungsempfehlungen für Aktionäre zu erstellen. Große Brokerhäuser verschicken im Jahr über 30.000 solcher Research-Notes an ihre Kunden. Das hört sich nach teurer manueller Fließbandarbeit an - und genau das ist es auch. Damit aber bietet sich eine Automatisierung förmlich an. Das aber bedeutet, dass nach dem Reisekaufmann, dem technischen Zeichner, der Sekretärin, dem Taxifahrer und vielen anderen auch bald die teuren Wall-Street-Analysten der Digitalisierung zum Opfer fallen.

Maschinenlesbare Informationen

Maschinenlesbare Quartalsberichte soll künftig der Computer analysieren.
Foto: Ismagilov - shutterstock.com

Angefangen haben die Automatisierungsbestrebungen schon vor einigen Jahren, als die börsennotierten Unternehmen gezwungen wurden, ihre Quartals- und Jahresberichte nicht nur als Fließtext einzureichen, sondern zusätzlich auch maschinenlesbare Tabellen (beispielsweise Excel) als Anlage beizufügen. Ein wesentlicher Meilenstein war die Definition und sukzessive Einführung von XBRL an vielen großen internationalen Börsen. XBRL-Berichte können nicht nur direkt übernommen werden, sondern sie bieten darüber hinaus auch die Möglichkeit, den Finanzbericht automatisch nach verschiedenen Kriterien auszuwerten.

Der Computer als Analyst

Inzwischen gibt es eine Reihe an Startups, die aus maschinenlesbaren Börsenmeldungen in Fast-Echtzeit komprimierte Nachrichten erstellen, die sich wie eine normale Finanz-Meldung lesen. Firmen wie Narrative Science, Automated Insights, Yesop, Capital Cube und Kensho Technologies erstellen seit zwei bis drei Jahren derartige Finanzmeldungen für die News-Kanäle von Yahoo, der US-Versicherung Allstate und für die Nachrichtenagentur Associated Press.

Die KI soll künftig die Anlegestrategie festlegen.
Foto: Rawpixel - shutterstock.com

Diese Verfahren wurden in jüngster Zeit erheblich ausgebaut. Narrative Science greift heute nicht nur auf die Börsenmeldungen zu, sondern nutzt auch viele allgemein zugängliche Wirtschaftsdatenbanken sowie eigene Unterlagen aus früheren Analysen und Berichten. Das alles wird mit modernen Analyse-Tools bearbeitet und heraus kommen dann fertige Power-Point-Präsentationen oder umfassende Analyse-Berichte, in denen die finanzielle Situation eines Unternehmens mit Grafiken, Tabellen und Texten eingehend dargestellt wird.

"Elektronisch generierte Finanz-Analysen sind kaum noch von den aufwendigen manuellen Analysten-Berichten zu unterscheiden", sagt Wiliam Trout, Senior Analyst bei der Investmentberatungs-Gesellschaft Celent. Diese Einschätzung teilen mit ihm viele Investmentbanken. Credit Suisse, T. Rowe Price, Fidelity Investments und American Century Investments verschicken solche Computer-generierten Firmen-Analysen bereits an ihre Kunden oder testen dieses derzeit aus.

In diesen automatisch generierten Analyseberichten wird der Ist-Zustand eines Unternehmens mit anderen Parametern verglichen und am Ende macht die Software sogar ganz konkrete Investitions-Empfehlungen - genauso, wie es bislang die hochdotierten Analysten getan haben. Credit Suisse konnte damit das Portfolio der betrachteten Unternehmen von 1.500 auf 5.000 steigern, ohne dass zusätzliches Personal eingestellt werden musste.

Skeptiker verweisen auf qualitative Nuancen

Doch trotz aller gegenwärtigen Fortschritte, sind viele Finanzexperten weiterhin skeptisch. "Beispielsweise können Computer die feinen Nuancen der CEO-Kommentare in einer Telefon-Konferenz nicht erkennen - doch gerade die sind extrem wichtig", meint Barry Hurewitz, COO beim Investmentarm der Schweizer UBS. Doch Trout glaubt nicht, dass das für das Überleben des Analystenberufes ausreicht. "Das Erkennen von feinen qualitativen Unterscheidungen durch Computer ist nur noch eine Frage der Zeit.

Alle bisherigen Digitalisierungen haben uns eindrucksvoll gezeigt wie schnell und tiefgreifend solche disruptiven Prozesse von statten gehen. Ich bin mir sehr sicher, dass die Zahl der Analysten schon bald auf einen kleinen Bruchteil der heutigen Werte zurückgehen wird", lautet seine dunkle Vorahnung.

Eine Untersuchung der Cornell University bestätigt seine Ansichten. Danach wird vor allem bei den großen Handelshäusern die Zahl der Analysten in den nächsten Jahren deutlich sinken. "Es gibt für Analysten keine gesicherten Arbeitsplätze mehr. Eine Chance hat nur noch, wer entweder besondere Qualifikationen vorweisen kann, die weit über das hinausgehen, was ein Computer leisten kann - oder wer über ganz spezielle Kunden-Beziehungen verfügt", sagt Professor Kenneth Merkley, der die Studie durchgeführt hat.

Indirekt bestätigt das auch Stuart Frankel, CEO von Narrative Science. Doch er startet mit einem anderen Blickwinkel: "Unsere Software vernichtet keine Arbeitsplätze, sie entlastet die Analysten nur von lästiger Routinearbeit und verschafft ihnen mehr Zeit für anspruchsvollere Arbeiten, wie die direkte Kundenberatung", sagt er über die Auswirkungen seiner Technologie. Mit anderen Worten: Alle Analysten, die bislang mit Routinearbeiten beschäftigt waren, werden schon bald keine Arbeit mehr haben.

Beratung per KI-Software

Auch der von Frankel angesprochene Punkt der Kundenberatung fällt zunehmend modernen KI-Programmen zum Opfer. SigFig ist eine Online-Investmentberatungsfirma, die keinen Offline-Service bietet. Wer sich dort registriert und ein Portfolio starten will, muss sich durch einen umfangreichen Online-Test kämpfen, hinter dem komplexe KI-Programme am Werk sind. Am Ende weiß der Computer nicht nur wieviel Geld man anlegen möchte, sondern auch alles über das Risikoverhalten, die persönlichen Verhältnisse und die Zielsetzung der Kapitalanlage.

Die Software schließt mit einer Anlage-Empfehlung, die auch sofort ausgeführt wird, sobald man das Geld einbezahlt hat. Da das alles ohne teure manuelle Analysen abgewickelt wird, sind die Gebühren der Online-Broker entsprechend niedrig. Und die Zeit arbeitet für sie. "Vor allem bei jungen Leuten sind diese KI-erzeugten Analysen sehr beliebt, was auch daran liegt, dass diese Webseiten über ein sehr schickes und User-freundliches Design verfügen", sagt Dan Well vom Finanz-Informationsdienst NewsMax.