Einige tun sie als Hype ab, andere schwärmen begeistert von ihren Möglichkeiten, und wieder andere sehen durch sie gar die menschliche Existenz bedroht. Supergefahr oder Superchance - das scheint hier die Frage. Eines ist jedoch sicher: Kaum jemand, der sich mit der Zukunft von Wirtschaft und Gesellschaft befasst, kommt derzeit an der künstlichen Intelligenz (KI) vorbei.
Vieles erinnert an frühere Technologiedebatten: Die tatsächlichen Möglichkeiten werden anfangs stark überschätzt und die Geschwindigkeit der Verbreitung und weiteren technologischen Entwicklung viel zu optimistisch eingestuft. So auch bei der künstlichen Intelligenz: Sie soll alles können - und am besten sofort. Dabei ist vieles von dem, worüber wir heute diskutieren, nach jetzigem Technologiestand so schnell nicht realisierbar.
Ich plädiere daher für einen ausgewogenen Standpunkt: Nein, die künstliche Intelligenz wird uns nicht unsere Arbeit abnehmen oder den Menschen zu Sklaven von Algorithmen machen. Ja, die künstliche Intelligenz wird unseren Alltag verändern wie kaum eine andere Technologie zuvor. Es wird Bereiche geben, in denen uns die KI überlegen ist - fragen Sie mal einen Schachweltmeister -, aber letztlich geht es immer darum, den Menschen in seinen Fähigkeiten zu unterstützen. Ich bin überzeugt, dass die KI das Betriebssystem unseres Alltags wird, da sie uns bei vielen Dingen, die wir tagtäglich tun, mal mehr und mal weniger stark unterstützt.
Der Chef bleibt ein Mensch
Wenn wir heute über künstliche Intelligenz reden, so beziehen wir uns dabei fast immer auf ihre schwache Form. Damit sind Computersysteme gemeint, die auf der Grundlage riesiger Datenmengen operieren und lernfähig sind - also vorher nicht definierte Probleme eigenständig lösen können. Solche Systeme sind dem Menschen zwar kognitiv überlegen, doch emotionale oder soziale Intelligenz besitzen sie nicht. Das ist übrigens der Grund, warum Ihr Chef auch weiterhin ein Mensch und keine Maschine sein wird.
Gleichzeitig sollten wir die künstliche Intelligenz nicht unterschätzen: Es ist zwar richtig, dass KI-Anwendungen in absehbarer Zeit vor allem "assistierende" Aufgaben übernehmen, also den Menschen in der Ausübung seiner körperlichen und geistigen Tätigkeiten unterstützen werden. Doch diese Aufgaben erledigen die Systeme mittlerweile erstaunlich gut!
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Überall steckt KI drin
Ich bin überzeugt, dass es künftig kaum noch Produkte oder digitale Services geben wird, die nicht mit dieser Technologie "angereichert" sind. Bereits heute spielt künstliche Intelligenz in vielen Bereichen unserer Wirtschaft eine große Rolle. Am offensichtlichsten ist ihr Einsatz in der Fertigung, wo etwa die vorausschauende Wartung von Maschinen - meist Predictive Maintenance genannt - durch intelligente Algorithmen gesteuert wird.
Roboter, die mit bildverarbeitenden Systemen und Sensoren ausgestattet und lernfähig sind, gewinnen in der Produktion ebenfalls an Bedeutung. Sie erkennen Situationen von selbst und werden vom Menschen "trainiert", um ihre Aufgaben noch besser zu meistern. Insbesondere für die Steuerung von kollaborativen Robotern, die Hand in Hand mit ihren menschlichen Kollegen zusammenarbeiten, ist KI wichtig.
Nun war die produzierende Industrie seit jeher ein Sektor, in dem neue technologische Möglichkeiten früh genutzt wurden. Die heutigen Veränderungen in der Fertigung durch künstliche Intelligenz mögen daher nicht ganz so revolutionär wirken. Anders ist das im Dienstleistungsbereich, wo die Technologie oft noch ganz am Anfang steht und ihre transformative Kraft deutlich größer ist.
Ein erstes Beispiel ist die Finanzwirtschaft: Nicht nur das klassische Investmentbanking wird durch KI revolutioniert, sondern auch die Kundenberatung. Bekannt als "Robo-Advisory", bieten viele Banken ihren Kunden bereits Vermögensberatung, grundlegende Services wie die Kontoeröffnung oder Updates zu regulatorischen Fragen durch Maschinen an.
Der Vorteil für die Kunden: Individuelle Beratungsangebote, eine hohe Transparenz und 24/7-Erreichbarkeit. Gerade für standardisierte Anfragen oder Privatkunden mit geringem investierbarem Vermögen, die für Banken wirtschaftlich oft nicht lukrativ sind, ist die KI-gestützte Beratung eine hervorragende Lösung. Die Banken profitieren, indem sich die Kundenberater zukünftig noch stärker komplexen Anfragen mit hohem Beratungsbedarf widmen können.
Das zweite Beispiel betrifft das Rechtswesen. Bisher ist es wohl einer der am wenigsten automatisierten Bereiche der Wirtschaft. Das zu ändern ist das erklärte Ziel der LegalTechs. Kaum überraschend, spielt künstliche Intelligenz dabei eine entscheidende Rolle. Startups wie Leverton oder Kira haben eine Software entwickelt, die innerhalb kürzester Zeit lange Vertragstexte und andere Rechtsdokumente durchgeht und mit Hilfe von künstlicher Intelligenz analysiert. Das macht die Verwaltung solcher Dokumente einfacher und hilft, Fehler und Unstimmigkeiten schneller aufzuspüren.
Ein drittes Beispiel führt uns in die Welt der großen Digitalplattformen. So kaufte etwa der Musikstreamingdienst Spotify vor wenigen Monaten den französischen KI-Experten Niland, um seinen Nutzern zukünftig noch bessere, personalisierte Musikempfehlungen anzubieten. Facebook hingegen kündigte an, künstliche Intelligenz zu nutzen, um dem wachsenden Druck des Gesetzgebers bei der Verfolgung von strafbaren Inhalten oder Terrorpropaganda nachzukommen. Dabei ersetzt die Technologie nicht die menschlichen Kuratoren von Facebook, sondern hilft ihnen, die schiere Masse an zu prüfenden Inhalten besser zu bewältigen.
Diese Beispiele zeigen, dass künstliche Intelligenz immer dann nützlich ist, wenn es um die Verarbeitung und Auswertung großer Datenmengen geht. Mit der stark steigenden Verfügbarkeit maschinenlesbarer Daten - Stichwort: Internet der Dinge - und der Zunahme von Rechenkapazitäten zur Auswertung dieser Informationen in Echtzeit steht der KI-Boom gerade erst am Anfang.
Drei Gründe, warum KI überall sein wird
Spätestens als Google auf seiner letzten Entwicklerkonferenz das Motto "From Mobile to AI First" ausgab, sollte allen klar gewesen sein: Künstliche Intelligenz ist kein kurzlebiger Hype. Es gibt heute kaum noch eine Branche, in der nicht mit KI-Anwendungen experimentiert wird. Aber warum ist das eigentlich so? Wieso erleben wir gerade jetzt einen solchen Boom?
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Dass zukünftig zahlreiche Produkte und Anwendungen in der einen oder anderen Form mit künstlicher Intelligenz ausgestattet sein werden, hat drei Gründe:
1. Mehr Daten und höhere Rechenkapazitäten.
2. Entwicklungen beim maschinellen Lernen.
3. KI-Anwendungen durch Drittanbieter.
Den ersten Punkt habe ich bereits angedeutet: Mit der Vernetzung sämtlicher Produkte vom Auto über Fertigungsmaschinen bis hin zur Klimaanlage entstehen Milliarden von digitalen Daten im Internet der Dinge. Gleichzeitig wachsen die Rechenkapazitäten, um die gesammelten Informationen zu verarbeiten, denn zusätzliche Computerleistung lässt sich heute problemlos aus der Cloud beziehen. Das schafft die technischen Voraussetzungen für zahlreiche neue KI-Anwendungen.
Zweitens macht die Forschung im Bereich der künstlichen Intelligenz große Fortschritte, insbesondere beim Deep Learning, einer Form des maschinellen Lernens. Damit sind vielschichtige neuronale Netzwerke gemeint, mit denen Maschinen in der Lage sind, Daten künftig noch besser zu verstehen und somit auch komplexe Zusammenhänge zu erfassen. Damit wird die künstliche Intelligenz erstmals wirklich "intelligent". Viele Zukunftsthemen wie das autonome Fahren oder die Entwicklung neuer Wirkstoffe in der Medizin sind ohne Deep Learning nicht denkbar.
Drittens ist es für Unternehmen heute einfacher denn je, die eigenen Produkte und Dienstleistungen mit künstlicher Intelligenz zu ergänzen. Zum einen wird die Zusammenarbeit zwischen Privatwirtschaft, Startups und universitären Forschungseinrichtungen immer enger. Mit dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) existiert hierzulande eine der weltweit führenden Initiativen auf diesem Gebiet. Zahlreiche Unternehmen sind als Gesellschafter oder Kooperationspartner am DFKI beteiligt, darunter auch Accenture. Sie stellen so eine praxisnahe Forschung sicher und profitieren gleichzeitig unmittelbar von den Forschungserfolgen der Wissenschaftler.
KI-Bausteine und APIs aus der Cloud
Weiterhin entstehen immer mehr und immer umfangreichere Angebote für AI-as-a-Service. Das sind KI-Bausteine und APIs aus der Cloud, die es gerade kleinen und mittleren Unternehmen ohne hauseigenes KI-Know-how ermöglichen, diese Technologie in bestehende oder neue Produkte und Dienstleistungen einzubinden. Dazu gehören etwa intelligente Datenverarbeitung sowie Bild- und Spracherkennung. Alle großen IT-Anbieter, von Microsoft über Google bis Amazon, bieten solche KI-Lösungen aus der Cloud mittlerweile an.
Die derzeit entstehende Roboterökonomie wird nicht nur unseren Alltag zum Positiven verändern, sondern birgt auch erhebliche Wachstumschancen für die Wirtschaft. So prognostiziert eine Studie von Accenture und Frontier Economics, dass sich das jährliche Wirtschaftswachstum in Deutschland gemessen an der Bruttowertschöpfung bis 2035 allein durch den Einsatz von KI-Technologien von heute 1,9 auf dann drei Prozent im Jahr um mehr als die Hälfte steigern könnte. Das entspräche einer zusätzlichen Wirtschaftsleistung von knapp einer Billion Euro in den nächsten 20 Jahren.
KI wird Produkte noch besser machen
Nicht umsonst gilt künstliche Intelligenz derzeit als eines der heißesten Themen für Startups: Letzten Schätzungen zufolge sind allein in Deutschland mehr als 90 junge Tech-Firmen in diesem Bereich unterwegs. Konzerne und Mittelständler sind ebenfalls auf den Zug aufgesprungen. Die zentralen Fragen in vielen Vorstandsetagen lauten dieser Tage: Wie können wir unsere Produkte mit künstlicher Intelligenz noch besser machen? Lassen sich maschinelles Lernen oder Spracherkennung und -verarbeitung in bestehende Lösungen integrieren? Können wir große unstrukturierte Datenmengen mit KI noch besser verstehen und daraus neue Services und Geschäftsmodelle bauen?
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Ich bin überzeugt, dass die Produkte der deutschen Weltmarktführer mit künstlicher Intelligenz noch besser werden. Dafür sind aber auch neue Ansätze bei Forschung und Firmenkultur nötig, denn die Komplexität der Technologie lässt sich nur mit starken Partnern meistern. Nur derjenige, der bereit ist, sich zu öffnen und Daten, Ressourcen und Technologien zu teilen, wird ganz vorne dabei sein.
Bereits heute sehen wir zahlreiche branchenübergreifende Kooperationen. Das beste Beispiel liefert die Autoindustrie, die bei der Entwicklung von selbstfahrenden Autos eng mit Chipherstellern und Sensorspezialisten zusammenarbeitet. Doch auch Public-Private-Partnerships zwischen Universitäten oder Forschungseinrichtungen wie dem DFKI und der Wirtschaft sind ein entscheidender Faktor im Wettrennen um die Technologieführerschaft bei KI.
Wir stehen gerade erst am Anfang des KI-Booms. Bei aller Euphorie über die Möglichkeiten dieser Technologie sollten wir nicht vergessen, dass der Weg von theoretischen Über-
legungen und experimentellen Feldversuchen hin zu echten Geschäftsmodellen noch lang ist. Das fängt mit der Verfügbarkeit von Daten an, haben doch viele Unternehmen gerade erst begonnen, ihre Maschinen und Produkte konsequent zu vernetzen.
Eine weitere Herausforderung ist die Weiterbildung von Mitarbeitern. In unserer zukünftigen Arbeitswelt werden technisches Verständnis und kreative Fähigkeiten mehr denn je gefragt sein. Wenn Unternehmen von KI-Technologien profitieren wollen, so müssen sie auch bereit sein, ihre Belegschaft auf den Wandel vorzubereiten und fit für die Arbeit mit intelligenten Maschinen machen.
Erwartungen an KI nicht übertreiben
Gleichzeitig sollten wir realistische Erwartungen an den Nutzen der KI haben: Bei vielen Anwendungen ist die Praxistauglichkeit und Zuverlässigkeit noch nicht so groß, als dass wir uns bereits ganz auf die intelligenten Systeme verlassen könnten. Dennoch lassen mich die rasante technologische Entwicklung der letzten Jahre und die ambitionierten Pläne vieler Unternehmen optimistisch in die Zukunft blicken: Künstliche Intelligenz wird aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken sein - und sie wird unser Leben verbessern.
Ich freue mich auf Ihr Feedback!
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