Mit einem Höllenlärm dringt der riesige Bohrer in den Berg ein – und schnellt in der Rückwärtsbewegung direkt auf den Betrachter zu. Der zuckt unwillkürlich zurück, obwohl die Vorsicht überflüssig ist. Denn das Ganze findet nicht etwa unter Tage statt, sondern als Simulation im Keller eines Gebäudes in der Zentrale der Deutschen Steinkohle AG (DSK) in Herne.
Was auf der riesigen, dreidimensionalen Rückwandprojektion gezeigt wird, ist das „Alternative Vortriebssystem Schneiden Ankern“ – kurz AVSA. Die Maschine, von den Kumpels liebevoll „Else“ genannt, macht aus drei Arbeitsgängen – Kohle herausschneiden, Stollen sichern, Ausbauen – einen einzigen. Die Technik ist komplex und kostspielig, entsprechend wichtig ist die Schulung.
Deshalb gibt es in Herne ein perfektes – wenn auch virtuelles – Abbild von AVSA. Dahinter steckt ein interaktives Simulationsprogramm, das die DSK gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) in Stuttgart entwickelt hat.
Auch bei der Schulung des konventionellen Streckenvortriebs, also ohne Einsatz der AVSA-Maschine, kommt die Methode zum Einsatz, und hier sorgt sie vor allem für eine geschlossene Mannschaftsleistung. Ein Team besteht aus drei Bergleuten, die in enger Abstimmung die Maschinen für das Bohren und Sprengen, das Verladen der Kohle und das anschließende Ausbauen der Strecke mit Stahlbögen bedienen. „Das Computerprogramm, um so etwas zu üben, muss man sich ungefähr vorstellen wie einen Flugsimulator für drei Flugzeuge, die gemeinsam eine Staffel fliegen sollen“, so Ulrich Schmitz, der bei der DSK für die IT-Systeme zuständig ist. Erst durch den Einsatz der innovativen Simulationstools ist hier ein ganzheitliches Training des Teams machbar geworden. Als erstes lernen die Bergleute die Maschinen live und in Farbe im „Trainingszentrum Bergbau“ in Recklinghausen kennen, anschließend arbeiten sie sich mit Joystick an der Leinwand virtuell durch einen Berg. Der Vorteil: Gibt es am Anfang Probleme, kommt niemand zu Schaden, außerdem bleibt das teure Equipment heil.
Doppelte Förderleistung
Um den Trainingserfolg zu maximieren, ist alles höchst authentisch gestaltet: Die Bedienpulte sind denen der Originalmaschinen nachgebildet und mit einer Rückkopplung ausgestattet. Jeder falsche Knopfdruck wird durch jenes unangenehme Rütteln bestraft, das in der Realität dann auftritt, wenn ein Bohrer abbricht.
Die Erfolge der neuen Methodik sind überzeugend: Im Vergleich zu einer konventionell ausgebildeten Mannschaft brachte ein virtuell geschulter Trupp auf der Zeche Prosper-Haniel die nahezu doppelte Förderleistung bei gleichzeitig höherer Arbeitssicherheit, besserer Qualität und niedrigerem Krankenstand. Bei der DSK AG hat man errechnet, dass sich durch die neue Art der Schulung pro 100 Meter Strecke ungefähr 50 Prozent sparen lassen.
Und die effiziente Simulationstechnologie lässt sich auch in unzähligen anderen Bereichen einsetzen. Mittlerweile hat die DSK zusammen mit der RWTH Aachen und dem Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML) Dortmund einen ganzen Baukasten für Simulationen geschaffen. Die Anwendungen reichen von der Abbildung von Transportvorgängen über die Standortverfolgung von Lokomotiven und Material und die Berechnung von Fluchtwegen bis zur virtuellen Darstellung der gesamten Bergwerksgeometrie an der Ruhr mit ortsgenauer Einblendung von Gruben und Grubengebäuden. „Wir können quasi über die Ruhr fliegen und von oben die Zechen sehen, dann durchfliegen wir den Boden, und die Reise geht unter Tage in den Stollen weiter. Dabei sehen wir den Berg, wie wir ihn noch nie gesehen haben“, so Ulrich Schmitz.
Die DSK AG arbeitet gerade an einem System, bei dem die Daten dieser virtuellen Reise auf Pocket-PCs übertragen werden. Reparaturteams vor Ort wissen so in kürzester Zeit, was wo benötigt wird und welches Material an welcher Stelle unter Tage verfügbar ist. Bei den enormen Entfernungen in einem Bergwerk und den damit verbundenen Transportzeiten ist das ein unschätzbarer Vorteil. Nicht ganz unproblematisch ist dabei die Datenübertragung: Mobilfunkverbindungen gibt es 1500 Meter unter der Erde nicht.
WLAN unter Tage
Besser geeignet ist da schon die WLAN-Technik. Eine ganze Kette von Accesspoints, die bei der Deutschen Steinkohle AG gerade installiert werden, reicht dabei die Daten unter Tage wie bei einem Staffellauf weiter. Künftig wird sich per Tracking und Tracing unter Tage zum Beispiel feststellen lassen, wo sich eine vor einer Woche bestellte Schraube in diesem Moment gerade befindet.
Und die Zukunftsvisionen des Bergbauunternehmens reichen noch wesentlich weiter: Später sollen Reparaturteams einen Schadensfall mit Helmkameras live dokumentieren und an Spezialisten über Tage übertragen, die von oben wiederum Hilfestellung leisten können. Die erforderlichen Informationen werden dann direkt in die Helmvisiere der Crew unter Tage gebeamt.