"Früher wollten wir die Kunden um jeden Preis gewinnen, heute achten wir vor allem darauf, dass wir die profitablen bei uns behalten." Seit Anfang des Jahres hören Journalisten diesen Satz so oder ähnlich auf jeder Pressekonferenz eines Mobilfunkunternehmens. Der Öffentlichkeit bekannt wurde so die Abkürzung ARPU für Average Revenue per User - der durchschnittliche Umsatz pro Kunde. An dieser Kennzahl messen die Analysten die Qualität von Mobilfunkkunden.
Bei E-Plus, O2 (am 1. Mai hat sich Viag Interkom offiziell umbenannt), T-Mobile und Vodafone lassen die UMTS-Lizenzgebühren den Schuldenberg wachsen. Horrende Verluste drohen, wenn es nicht gelingt, die Kunden für die neuen Dienste zu begeistern. Dazu läuft dieses Jahr in vielen Fällen die 24-monatige Bindungsfrist jener Kartenverträge aus, die zur damaligen Boom-Zeit abgeschlossen wurden. Wechselwillige Kunden können ab November ihre Nummer mitnehmen, wenn sie zu einem neuen Anbieter wechseln. Die Mobilfunkbetreiber setzen deswegen verstärkt auf Kundenbindungsprogramme.
Doch um die guten von den schlechten Kunden unterscheiden zu können, brauchen die CIOs der Mobilfunker ausgeklügelte Programme. "Wir haben mehrere Terabyte Daten in unserem Data Warehouse", sagt der bei Debitel für die Kundenanalyse zuständige Fachreferent Rüdiger Bässler. Um diese Informationsflut beherrschbar zu machen, setzen immer mehr Unternehmen auf Data Mining.
Anders als beim Online Analytical Processing (OLAP), das mit einer stark erweiterten Tabellenkalkulation vergleichbar ist, in der der Nutzer alle für ihn relevanten Kriterien auswählen und miteinander kombinieren kann, erkennen diese Programme auch zuvor unbeachtete Zusammenhänge. Hier geht es darum, den Wert der vielfältigen Kundendaten aus Software- und kundengestütztem Lieferkettenmanagement zu maximieren.
Den Wert des Kunden berechnen
Mit Data Mining Tools wollen die Unternehmen den Customer Lifetime Value (CLV), den Wert des Kunden über den gesamten Beziehungszyklus, abbilden und zugleich sein künftiges Verhalten vorhersagen. "Auf der Basis historischer Modelle stellen wir Modelle zur Prognostizierung von Veränderungen im Kundenverhalten auf", sagt Jürgen Herr, Data-Warehouse-Analyst im Business Intelligence Center von O2 in München.
2000 hat die Firma erstmals Data-Mining-Lösungen eingesetzt. "Seit Anfang 2001 schätzen wir das Ertragspotenzial unserer Vertragskunden ein", sagt Herr. Seit Mitte letzten Jahres wird diese Größe auch für Prepaid-Kunden berechnet und die Kundenbindung ermittelt.
"Mit Kundenbindungsinitiativen wollen wir verhindern, dass der Kunde seinen Vertrag löst", erläutert Herr. Das Schlagwort dafür lautet Churn Prevention; das englische "Churn" ist der Fachbegriff für den Wechsel eines Kunden zur Konkurrenz. Durch die mit dem Statistikprogramm "Clementine" von der Firma SPSS durchgeführten Analysen können die O2-Data-Miner nicht nur - wie bisher - ermitteln, wer in der Vergangenheit gekündigt hat, sondern auch vorhersagen, welche Kunden wahrscheinlich im kommenden halben Jahr zu einem Konkurrenten überlaufen werden. Diese Kunden können mit einem attraktiven Angebot rechnen. Auch bei T-Mobile ist es Praxis, dass "gute Kunden vor Vertragsablauf ein neues Handy zu einem besseren Preis" angeboten bekommen, versichert ein Firmensprecher. Mehr wollte dort aber keiner sagen: "Sinngemäß hat man uns wissen lassen, dass man nicht möchte, dass die Konkurrenz aus CIO erfährt, wie wir die Themen Churn Management und Data Warehouse angehen", beschied die Pressestelle.
RoI liegt bei zehn Prozent
"Oft finden Unternehmen beim Schürfen echte Nuggets", sagt Data-Mining-Experte Wolfgang Martin - überraschende Erkenntnisse aus der Datenflut, aufgrund derer die Unternehmen höhere Umsätze realisieren können. Das Gewinnverhältnis beim Einsatz von Data-Mining-Programmen liege ungefähr bei eins zu zehn. "Wer seine Churn-Rate dadurch auch nur um wenige Prozent absenken kann, spart leicht einige Millionen Euro", so Martin.
"Die Genauigkeit unserer Vorhersage zu den künftigen Erträgen pro Kunde konnten wir durch Data Mining um 30 bis 40 Prozent steigern", bekräftigt Herr. Um das festzustellen, hat seine Abteilung einerseits die fortgeschriebenen Werte der Vergangenheit und andereseits die durch das Data-Mining-Modell errechnete Prognose in einem Benchmark dem tatsächlich erreichten Umsatz gegenübergestellt.
Bei O2 sind die hausinternen Reports und Analysen seit einigen Monaten verstärkt gefragt. "Das Interesse im Unternehmen an unseren Ergebnissen wächst", hat Herr beobachtet. Debitel-Fachreferent Bässler kann sich vorstellen, dass der Stuttgarter Service-Provider Data-Mining-Programme künftig auch einsetzt, um die Streuung der Werbemittel zu optimieren.
Und die Vorhersagen können noch besser werden. Denn das größte Problem aller Unternehmen - nicht nur der Mobilfunker - ist die Datenqualität. Martin: "Hier ist ein Management dringend erforderlich." Der häufigste Geburtstag in den Datenbanken ist der 11. November. "Wenn es schnell gehen muss, nehmen die Kundenberater eben gern die Kombination 1111."