Eine Möglichkeit, wie die Deutsche Bank der Zukunft aussieht, können Kunden schon heute in Berlin-Mitte bestaunen. Die Filiale Q110 in der Friedrichstraße ist wie ein Einzelhandelsgeschäft aufgebaut. Ein Shopim-Shop lockt mit Designer-Lampen Laufkundschaft an, daneben eine Kaffeelounge. 29 Bankprodukte vom Konto über die Geldanlage bis zur Zukunftsvorsorge werden wie im Supermarkt verkauft. In barcodierten Metallboxen befinden sich Vertragsunterlagen.Wer die Boxen unter einen Scanner hält, startet einen Informationsfilm auf einem der zahlreichen Monitore.
„Unser Ziel ist, Komplexität zu reduzieren und unsere Produkte und Angebote eindeutig und leicht verständlich darzustellen“, sagt Rainer Neske, der bei der Deutschen Bank für Privat- und Geschäftskunden verantwortlich ist. Ein Bankkredit soll so greifbar werden wie der Stoff einer Hose. „Mit Q110 machen wir Bankgeschäfte für unsere Kunden erlebbar anders“, sagt Neske.
Der Erfolg des Projekts wird mit Hilfe unsichtbarer Sensoren gemessen. Sie zählen in der Filiale mit, wie viele Besucher welche Angebote nutzen und wie sie sich im Laden bewegen.Vor allem der Kredit von der Stange, der wie eine Jeans eingekauft wird, ist exemplarisch für einen Trend in der Banken-IT: Er ist kein individuelles Produkt, bei dem Berater und Kunden von Angesicht zu Angesicht verhandeln. Er wird automatisch industriell gefertigt, wie ein Auto, das vom Band läuft.
Computer entscheidet über Kredit
Mit diesem Ansatz ist die Deutsche Bank nicht allein. Bei der Citibank entscheidet heute über 97 Prozent der Kreditanträge nicht mehr der Mensch, sondern die Software. „Wenn man heute in ein Technikkaufhaus gehen und seinen Computer kreditfinanzieren will, werden persönliche, demografische und geografische Daten erfasst, und in 90 Prozent der Fälle wird der Vorgang sofort abgeschlossen“, erklärt Peter Schurau, Mitglied der Geschäftsführung des Beratungshauses BearingPoint.
Das Vorbild Citibank macht nicht nur bei der Deutschen Bank Schule. CIOs wie Friedrich Wöbking, Dirk Berensmann und Frank Annuscheit arbeiten daran, immer größere Teile der Geschäftsprozesse der Dresdner, der Postbank oder der Commerzbank zu automatisieren. Dementsprechend machen Analysten und Management-Berater übereinstimmend die Automatisierung der Prozesse und die Industrialisierung der einzelnen Wertschöpfungsschritte derzeit als die strategischen Schwerpunktthemen der Banken aus. „Und die IT spielt dabei eine entscheidende Rolle, um die Bank des 21. Jahrhunderts zu gestalten“, sagt Peter Schurau.
Im 21. Jahrhundert werden die Großbanken mehr Vermögenswerte und Einlagen verwalten als bis dato. Daher ist der verstärkte Einsatz von Technologie erforderlich, um Effizienz zu gewährleisten. Zu verdienen gibt es im Massengeschäft mit Überweisungen und der Kreditabwicklung wenig. „Der Wettbewerbsdruck steigt durch Direktbanken erheblich, und es drängen verstärkt ausländische Banken auf den deutschen Markt“, so Joachim Benner, Research Analyst beim Marktforscher IDC in Frankfurt. 85 Prozent der 227 Bankmanager, die das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation befragte, halten den verschärften Preiswettbewerb bei Standardprodukten für die derzeit größte Herausforderung. Deshalb sind automatisierte Prozesse Pflicht, um kostengünstig Kredite mit Standardverfahren zu berechnen und zu vergeben, Konten zu verwalten oder Überweisungen abzuwickeln.
Viele Banken modernisieren daher massiv ihre Systeme. Forrester Research erwartet, dass Europas Banken in den kommenden sieben Jahren rund 50 Milliarden Euro für die Erneuerung ihrer IT-Plattformen ausgeben. In einigen Bereichen sind deutsche Banken bereits gut aufgestellt. „Der Zahlungsverkehr wird zu 97 Prozent automatisch abgewickelt“, so Schurau. Auch bei automatischer Abwicklung von Wertpapiergeschäften braucht sich die Branche nicht zu verstecken. 85 Prozent der Transaktionen bearbeitet die Citibank ohne manuelle Eingriffe. Deutsche Banken erreichen ähnliche Quoten.
Eine neue Kultur der Kooperation sorgt zudem dafür, dass viele IT-Prozesse immer intelligenter arbeitsteilig aufgestellt werden. „Vor zehn Jahren war es undenkbar, dass etwa eine Postbank und eine Deutsche Bank die gleiche Plattform nutzen und Institute bei der Abwicklung des Zahlungsverkehrs zusammenarbeiten“, sagt Schurau. Heute wickelt die Postbank als Dienstleister große Teile des Zahlungsverkehrs für die Deutsche Bank und die Dresdner Bank auf einer mit SAP gemeinsam
entwickelten Plattform ab. Andere Banken teilen sich technische Lösungen für den Wertpapierhandel, statt sie individuell zu entwickeln.
Andere Bereiche, etwa die Produktentwicklung und vor allem die Integration von Kundendaten, sind problematisch, weil Kunden immer anspruchsvoller werden und individueller betreut werden wollen. „Banken müssen im hoch spezialisierten Individualgeschäft nahe am Kunden und seinen Bedürfnissen sein“, so BearingPoint-Mann Schurau. „In dem Maße, in dem Banken mehr Informationen generieren und sich zu Datenmanagern wandeln, müssen sie sich durch effizientere Datennutzung und damit besseren Kundenservice und Bedarfsorientierten Produktangeboten differenzieren.“ Bankangestellte sollen beim Kundenbesuch nicht nur dessen Auftrag bearbeiten, sondern auch aufgrund personalisierter Auswertungen von Kundendaten gezielt Themen wie Altervorsorge oder Steuersparmodelle ansprechen.
„Der Banker wickelt nicht mehr nur ab, sondern arbeitet gleichzeitig im Vertrieb und Service“, sagt Schurau. Dazu sind detaillierte, zentral gepflegte Kundendaten und optimale Zugriffsmöglichkeiten auf diese Bestände notwendig. Hier besteht der größte Nachholbedarf. Wie groß er ist, erlebte Peter Schurau vor kurzem, als er einen Brief in die Hand bekam, in dem es um Baufinanzierung ging.Adressiert war er an seine fünfjährige Tochter.“
Allzu viele Fehlschüsse wie diesen können sich die Banken in Zukunft nicht leisten – nicht nur, weil man Kunden verärgert, wenn man sie wahllos adressiert. Noch wichtiger ist, dass fehlgeleitete Kundengewinnungsinitiativen Zeit und Geld vergeuden. Zudem leidet der Service unter den informationstechnischen Einschränkungen, die auf wild gewachsene Systemlandschaften der Banken zurückzuführen sind. „Es passiert mir immer noch, dass ich in einer Zweigstelle meiner Bank den Kontostand abfragen will und man mich nach meiner Filialnummer fragt. Sonst finden sie mich nicht im System“, wundert sich Christian Göckenjan,Vice President des Bereichs Financial Services der SAP AG.
Während Suchmaschinen im Internet Informationen auch bei unpräzisen Vorgaben finden, wirken Einschränkungen anachronistisch. Zwar haben viele Institute erkannt, dass Änderungsbedarf besteht. „Aber sie sind durch ihre Grundarchitektur oft daran gehindert, das zu tun, was sie wollen“, so Göckenjan. „Alle Banken haben einen zentralen Kundendatenstamm. Aber nur wenige schaffen es, ihn richtig zu aktualisieren und über alle Kanäle hinweg in Echtzeit verfügbar zu machen.“ Informations-Silos entlang der Produktgruppengrenzen, der Fachbereiche und der Filialen verhindern die effektive Arbeit über die Vertriebskanäle hinweg.
Es sind also nicht nur die hohen Betriebskosten der Altsysteme – von Forrester auf 71 Prozent der Budgets beziffert –, die viele CIOs nach Alternativen zu den alten Monolithen suchen lassen. Die eigene IT mit Hilfe von Service Orientierten Architekturen (SOA) in Bausteine aufzuspalten, die auf eine einheitliche Stammdatenbasis zugreifen und mit denen sich schneller neue Geschäftsmodelle umsetzen lassen, ist für viele verlockend.
Noch fehlt Vertrauen in SOA
Im Bereich des Kreditwesens arbeiten Banken mit Feuereifer an ersten Projekten, bei denen SOAs zum Einsatz kommen, sagt Erich Nessen, Banking-Experte bei der IBM Financial Services Sector in Frankfurt. Doch heißt das nicht, dass viele CIOs ihre alten Systeme in nächster Zeit abschalten werden. „Diese historisch gewachsenen Anwendungslandschaften können nicht auf einmal umgebaut werden, das dauert Jahre“, sagt Nessen.
Zudem ist das Vertrauen in die neue Welt der Bausteinsoftware in den meisten Banken noch nicht 100-prozentig. Deshalb fahren viele Banken jetzt eine Doppelstrategie und pflegen beide Landschaften parallel. "Viele Anwendungen werden als zweiter Service neben dem Monolithen gebaut und sollen später die Masterfunktion annehmen“, sagt Göckenjan. „Die legale und technische Basis, auf der die Daten und Funktionen vorgehalten werden, sind aber in der Regel noch die Altsysteme.“ Wenn überhaupt, werden Kundenbestände und andere Anwendungen nur schrittweise in Systeme des neuen Types verlagert. Und selbst dann arbeiten die Altsysteme in der Regel parallel neben den SOA-Anwendungen weiter. „Es gibt noch eine hohe Hemmschwelle, den Schalter umzulegen und die neue IT zum Produktivsystem
zu machen“, beobachtet Göckenjan.
Eine weitere Herausforderung könnte der Kombination aus SOA-Bausteinen und einheitlicher Datenbasis jedoch neuen Schwung geben: die Compliance-Anforderungen wie Basel II und Sarbanes-Oxley. „Der Compliance-Druck hat bei vielen eine Unsicherheit hinterlassen“, sagt Göckenjan. „Viele stellen sich die Frage, wie man sich in Zukunft besser auf neue regulatorische Anforderungen vorbereitet.“ Zwei Ansätze waren bei den Banken zu beobachten. Die einen hätten, beschreibt Göckenjan, nur das Nötigste getan, statt sich grundsätzliche Gedanken zu machen, wie Daten regelkonform gehalten werden müssen. Sie begnügten sich etwa damit, einfach Auswertungswerkzeuge an ihre Datenbanken anzuschließen. „Man schreibt Reports und hofft, dass einen die Regulatoren in Zukunft in Ruhe lassen“, beschreibt er die Vogel-Strauß-Politik.
Die IT-Verantwortlichen anderer Institute – Experten nennen hier immer wieder etwa die Postbank oder die Berliner Bankgesellschaft – haben sich dagegen grundsätzlichere Gedanken gemacht. „Sie haben überlegt, wie man aus dem Compliance-Projekt weiter gehenden Nutzen ziehen kann, und grundlegende Systeme für die Steuerung der Bank entwickelt“, sagt der SAP-Experte. Wenn Basel III kommen sollte, müssen die einen ihre Lösungen möglicherweise wegwerfen, während die anderen ihre Datenbasis so vereinheitlicht und ihre Verfahren so sauber abgebildet haben, dass sie auf dieser Basis aufsetzen können – egal, was da kommt.“
Dass da etwas kommt, ist sicher. Unter dem Kürzel MIFID droht IT-Verantwortlichen bereits zum Jahreswechsel neue Compliance-Arbeit. Die „Markets in Financial Instruments Directive“ ist eine EU-Richtlinie, die Banken verpflichtet, dem Kunden nachzuweisen, dass die Wertpapierabwicklung für ihn zum bestmöglichen Preis ausgeführt wurde. „Für mache Banken wird das ein Alptraum“, sagt Bearingpoint-Geschäftsführer Schurau schon jetzt voraus.