Bevor wir tief in das Thema einsteigen, lassen Sie uns kurz zurückblicken, um meine These an die Gesamtentwicklung der IT -und ITK-Welt anzulehnen.
Starten wir den Zeitraffer!
Es begann mit zentralen Großrechnern in Universitäten und Unternehmen. Kurze Zeit später hielten Computer in jedes Office Einzug. Der Personal Computer eroberte das Zuhause, Laptops den Markt, als Computer zum Mitnehmen. Smartphones wurden ständiger Begleiter in unserem privaten und beruflichen Alltag. Wearables, IT-Produkte am Körper, erfreuen sich gerade im Sportsektor großer Beliebtheit, und die ersten Ansätze für implantierte IT-Technologien klopfen an unsere Tür.
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Bei den technischen Kommunikationsmitteln wurde gemorst. Nachrichten wurden erst noch von Funkern manuell kodiert, dekodiert und dann am Zielort, in Kurzform, wenig emotional auf Papierkarten überbracht. Das Telefon hat wenige Zeit später Menschen in ihrem Zuhause miteinander direkt verbunden. Radio und später TV als Massenmedien überbrachten Informationen, Werbebotschaften und erzählten Geschichten zentral von einem Ort aus für unglaublich viele Empfänger.
Das bewegte Bild, bewegte Menschen. Das Internet machte nicht nur Information jederzeit und in Kombination mit mobilen Geräten überall verfügbar, sondern große Teile des globalen Traffics bestehen jetzt aus sozialen Interaktionen, angereichert mit persönlichen Bildern und Videos, die uns in einer nie dagewesenen emotionalen Qualität verbinden. Die enge Vernetzung macht uns ständig verfügbar, und jeder hat schon mal die Frage gehört: "Warum hast du nicht geantwortet, du warst doch online?"
Auf Basis der Kommunikationspotenziale entstehen neue Erwartungen in der Reaktionsgeschwindigkeit, verstärkt durch die direkte Kopplung von Sender und Empfänger. Auch alte Wege und dadurch auch Organisationsstrukturen fallen dabei weg. Beschwerdebriefe zum Beispiel finden sich immer seltener im Briefkasten von Unternehmen. Wir nutzen soziale Plattformen, beschweren uns für alle sichtbar und erwarten eine direkte Reaktion.
Machen wir es uns nicht allzu schwer, und bleiben wir pragmatisch. Der böse Terminator versucht immer noch nicht, die Menschheit mit gefühlloser Grausamkeit auszulöschen. Eigentlich ganz im Gegenteil. Was wirklich passiert, ist, dass die Technologie nicht nur, wie beschrieben, physisch an uns näherrückt, sondern sie ist auch Teil unsere sozialen und individuellen Interaktion geworden ist. Alles weitaus emotionaler, persönlicher und tiefer verankert in unserem Leben als je zuvor.
So vernetzen sich in nie dagewesener Geschwindigkeit Menschen, ihre Ideen und Gefühle rund um den Globus, und neue Geschäftsmodelle schießen wie Pilze aus dem Boden. Ist das jetzt ein Wendepunkt für etablierte Unternehmen?
Stehen wir vor großen Veränderungen? Eine industrielle Revolution, ähnlich der, die mit der Einführung der Dampfmaschine begann? Falsch! Wie Sie hoffentlich bemerkt haben, stehen wir nicht davor, wir sind längst mittendrin! Und zwar schon seit Jahren. Disruptive Veränderungen geschehen nicht mehr ein paar Mal im Jahrhundert, sie sind Teil unseres privaten und geschäftlichen Alltags geworden. Die durch das Internet vernetzten Ressourcen machen das möglich und stellen uns jeden Tag vor neue Aufgaben, auf die wir reagieren müssen.
Diese kontinuierliche Revolution hat eine weitere Besonderheit: Selbst hochkomplexe Innovationen werden nicht mehr nur einem Fachpublikum kommuniziert; ganz im Gegenteil. Mundgerecht aufgearbeitet sind sie Teil der alltäglichen Pressemeldungen oder der Gespräche in sozialen Medien geworden. Und so finden wir dort neben der aktuellen Wettermeldung oder den Modetrends gleich auch die Nachricht zu einer Drohne, die uns zünftig Pakete direkt in die Wohnung fliegt. Vollautomisch, versteht sich.
Schon seit Jahrzehnten versorgen uns die Medien zudem mit mehr oder weniger aufwendig produzierten Zukunftsvisionen. Und es ist kein Geheimnis, dass einige dieser Visionen schon längst Wirklichkeit wurden. Vielleicht erinnert sich noch jemand, wie man mit großen Augen vor einem Supermarkt stand, als die Türen genauso wie in Star Trek automatisch auseinanderglitten. Heute? Ein alter Hut! - Was ist durch diese mediale Feedback-Schleife beim Kunden entstanden?
Eine unheimlich hohe Erwartungshaltung gegenüber Unternehmen und eine extreme Verkürzung der Zeitspanne für, ich nenne es mal, "vision to market". Diesen Druck spürt jeder Sektor, egal ob Produktion oder Handel, und jede Branche immer stärker. Flexibilität, Effizienz, Geschwindigkeit und Personalisierung sind Kernfaktoren, um diese Erwartungen zu erfüllen.
Der Kunde als Akteur mit hohen Erwartungen
Es ist also überhaupt nicht verwunderlich, dass der Kunde heute ein perfekt auf ihn abgestimmtes Produkt sofort verfügbar zu einem möglichst niedrigen Preis erwartet. Mögliche Lösungen hat er ja auch schon in den unzähligen 3-D-Drucker-Berichten und als Replikator bei Star Trek gesehen. Und Hand aufs Herz, beides ähnelt sich teilweise schon jetzt erschreckend. Zugegeben, so extrem miniaturisierte Produktionseinheiten für ein komplexes Produkt aus vielen unterschiedlichen Materialen, wie einen Laufschuh, werden nicht morgen zur Verfügung stehen.
Aber sie sind ein künftiger Meilenstein, von dem sich die mittelfristigen Zwischenschritte sehr klar ableiten lassen: Wir können diese hohen Erwartungen nur mit lokalen dezentralisierten Produktionseinheiten erfüllen. Gleichzeitig müssen diese Einheiten global vernetzt sein, um zum Beispiel sicherzustellen, dass die Markenwerte kohärent skaliert und Erfahrungen aus den einzelnen Märkten geteilt werden. Die IT muss sicherstellen, dass das Unternehmen selbstständig lernen und reagieren kann, am besten in Realtime. Also heißt es künftig mehr denn je: "Glocal me up, Scotty!"
Lokale Produktionsstätten machen Kunden zu Produzenten
Und schon befinden wir uns beim Thema Prozesse. An dem genannten Beispiel wird klar, wie drastisch sich Prozesse auch für das produzierende Gewerbe ändern werden. Absolut schlank, transparent und einfach, sonst werden die Flexibilisierung der Produktion und deren Vorteile ad hoc von alten, komplexen Prozessen zunichte gemacht. Das Erlebnis der globalen Marke wird sich auch an der Qualität dieser Prozesse messen lassen müssen, denn soll der Kunden im Mittelpunkt stehen, wird er zu einem Teil, zum Akteur, unserer Value Chain.
Die Zeiten, in denen sich Kunden passiv von den Massenmedien berieseln ließen und teilweise Verkaufsprognosen klar mit dem Werbedruck korrelierten, sind vorbei. Der Kunde tritt in vielen unterschiedlichen Rollen auf. Mal ist er Marketingchef und kritisiert eine Entscheidung über die Kanäle der sozialen Medien, ein anderes Mal steuert er die Produktion oder gestaltet sogar das Produkt als Designer, wie auch in einigen Open-Innovation-Aktivitäten von Unternehmen schon aufgegriffen oder durch Produktpersonalisierung heute schon auf vielen Online-Plattformen verfügbar.
Diese Entwicklungen sind in manchen Bereichen bereits Alltag. Wie selbstverständlich buchen wir einen Flug im Internet, wählen die passende Verbindung, einen Sitzplatz, Zusatzgepäck, zahlen und checken ein, ohne jegliche Hilfe von Mitarbeitern. Alles Schritte in einer Value Chain, die früher durch Mitarbeiter zumindest begleitet wurden. Und das sogar, egal wo und wann, dank Mobile Commerce.
Ganze Prozessschritte werden vom Kunden übernommen
Moment, da war doch noch was?! Kundenerwartungen erfüllen, am besten mit einer Prise positiver Überraschung? Aber jetzt übernimmt er immer mehr Aufgaben des Unternehmens? Das kann nur gut gehen, wenn es nicht als Belastung, sondern als Erlebnis wahrgenommen wird. Schnell werden dem einschlägigen Fachpublikum hier Begriffe in Erinnerung gerufen, wie Service-Design-Thinking und Customer-Experience-Management.
Customer und User Experience rücken noch mehr in den Mittelpunkt von Entscheidungen als je zu vor und dringen in neue Bereiche vor. Wer bedient eine vollautomatisierte Produktionsstätte in Zukunft? Der Kunde! Das User Interface von Produktionsmaschinen und Planungssystemen wird direkt über das Netz zum Kunden gebracht. Man kann sich nur schwer vorstellen, wie zum Beispiel Benutzeroberflächen von CNC-Maschinen von Kunden bedient werden. Und das ist auch in ihrer aktuellen Form gar nicht möglich. Sie müssen sich grundlegend ändern.
Der Kunde bedient Produktionsmaschinen
Reicht das, oder müssen wir den Kunden nicht auch bezahlen? Ja, das müssen wir, und zwar mit der "Prise mehr", der überraschenden, nützlichen, erlebnisorientierten Übererfüllung der Erwartungen. Glücklicherweise haben wir hierfür mächtige Werkzeuge wie Big Data und Social Media.
Ein Kunde braucht einen Laufschuh und wohnt in einem Stadtgebiet, ist beruflich ein ehrgeiziger High Performer, und in sechs Monaten findet in seiner Stadt ein Marathon statt. Wie bieten ihm Produkte an, die zum Untergrund passen, wir inspirieren und motivieren ihn für die nächste sportliche Challenge und sorgen ganzheitlich entlang seines Alltags dafür, dass er sein Ziel erreicht. Und wenn er es geschafft hat, soll er es jedem sofort, überall erzählen können.
Oder ein Kunde kommt nicht nur aus Köln oder Berlin, sondern versteht sich als "Kölner" beziehungsweise "Berliner" und ist stark modeaffin? Wir geben ihm die Möglichkeit, aus Produkten, erschaffen von Designern seiner Stadt, auszuwählen, und "seinen" Designer kann er im Netz promoten und unterstützen.
Diese Entwicklung bedeutet auch, dass die Qualität der Daten und der kreative, verantwortungsvolle Umgang mit ihnen mehr denn je den Markenkern gestalten werden. Damit steigen die Anforderungen an die Datensicherheit enorm. Nicht nur aufgrund von technischen Gegebenheiten, sondern gerade auch, weil die stetige soziale Annäherung an den Kunden bedeutet, dass ein intensiveres Vertrauensverhältnis entsteht, das auch hier die Erwartungen rasant steigen lassen wird.
Ich möchte es erneut betonen: Man kann de facto eine Marke nicht mehr rein durch Kommunikation positionieren. Sie wird schlicht und ergreifend daran gemessen, welchen echten, sprich fassbaren Mehrwert sie für den Kunden hat. Kommunizieren wird der Kunde für uns (auch das ist ein Bereich, in dem Kunden Aufgaben des Unternehmens übernimmt) als Reaktion auf unser Handeln. Im Positiven wie im Negativen.
IT als Mitgestalter des Markenkerns
Und da seine Erwartungen bekanntermaßen sehr hoch sind, müssen wir sicherstellen, dass Daten nicht nur stumpf abgespeichert und ausgegeben werden. Das globale "Hirn" des glocalen Unternehmens muss sie verarbeiten, neue Erkenntnisse gewinnen und sie je nach Adressat sinnvoll und inspirierend aufarbeiten und Menschen verbinden. Das kann nur funktionieren, wenn wir den Kontext, in dem der Kunde sich befindet, verstehen und unsere Entscheidungen auf diesem Verständnis gründen.
Um den Kunden einen plausiblen Grund für das Sammeln der Daten nennen zu können, und das sollten wir in einer verantwortungsvollen Kundenbeziehung, müssen wir ihnen auch mehrwertstiftende Handlungsoptionen bieten, die sie dabei unterstützen, ihre Ziele zu erreichen.
If ( Kunde = "nah") {"Verantwortung" ++ ;}
Actionable Real Time Analytics für Unternehmen UND Kunden werden nur möglich sein, wenn wir die rasant steigenden Datenmengen beherrschen lernen. Schon heute liefern mobile Technologien Unmengen an Informationen. Mit dem Internet der Dinge wird dieses Volumen nur noch weiter zunehmen. Diese Fülle zu bewältigen wird nur mit hochperformanten Technologien möglich sein wie etwa In-Memory-Datenbanken. Und sie werden auch nur einen Mehrwert liefern, wenn diese realtime verarbeitet und in Aktionen umgesetzt werden. Nichts ist älter wie die Zeitung von gestern !
Bei den Methoden der Datenverarbeitung finden wir schon seit Längerem klare Entwicklungen, dass die Verfahren immer mehr "menscheln". Der menschlichen Informationsverarbeitung angelehnte selbstlernende, neuronale Netze prognostizieren schon jetzt künftiges Kaufverhalten und können so zum Beispiel unsere Lagerbestände optimieren.
Und sie können noch viel mehr. Eine grundsätzliche Frage, der sich die Unternehmen werden stellen müssen, lautet: Wollen wir künftig diese Methoden limitieren, indem wir mit einem "Netz" für unternehmerisches Handeln und einem "Netz" für die Kunden rechnen, oder sollten wir nicht eher ein ganzheitliches "Netz" schaffen, um das Potenzial der KI komplett zu entfalten? Dafür müssen wir ihm dann aber auch unsere Systeme zur Verfügung stellen, natürlich auch, wie beschrieben, um immer mehr Aufgaben von Mitarbeitern zu übernehmen und eine tiefe Integration in alle Prozesse möglich zu machen.
Kunden und Mitarbeiter nutzen die gleiche IT-Landscape
Klingt radikal? Ist es aber nicht! Solche Strukturen existieren teilweise schon. Ein HR-System in der Cloud, das den Bewerber um die Angabe bittet, ob er zurzeit bei dem entsprechenden Unternehmen schon arbeitet oder nicht, ist absolut real und hat keinen Magie-Status mehr. Auch benutzt übrigens der Platzhirsch, Google, Gmail für seine interne Kommunikaiton, das gleiche Tool, das er auch an seine Kunden verkauft.
Das Erste, was wir feststellen werden, ist, dass grundsätzlich eine Trennung der internen und externen IT-Landscape nur in sehr, sehr wenigen Teilen noch sinnvoll sein wird. Wenn die Rollen zwischen Mitarbeitern und Kunden verschwimmen, macht diese Trennung keinen Sinn mehr. Ganz im Gegenteil. Die aktuelle Trennung erzeugt schon jetzt unglaublich hohe Kosten, etwa für komplexe Schnittstellen, die bei steigender Anzahl auch noch dafür sorgen, dass Systeme immer labiler werden und ein Update eine "Kettenreaktionsplanung" erfordert, um die Kernschmelze der Systeme zu verhindern.
Um dem entgegenzuwirken, muss ein fundamentaler Paradigmenwechsel bei der Auswahl von IT-Lösungen vollzogen werden. Egal bei welcher Anschaffung oder Implementierung, künftig muss sichergestellt werden, dass auch der Kunde sie sinnvoll und einfach nutzen kann. Wenn Sie so wollen, auch gerne umgekehrt: Die Mitarbeiter nutzen die für den Kunden bestimmte Infrastruktur.
Dieser Paradigmenwechsel stellt uns nicht nur vor eine große Herausforderung, sondern bietet ein riesiges Potenzial. Denn nur so können wir agil darauf reagieren, wenn ein neuer Teil der Wertschöpfungskette vom Kunden wieder übernommen wird und diverse disruptive Veränderungen an die Tür klopfen. Und wir alle sind ja auch große "KPI-Lover". Was das für den Wert "Cost per User" bedeutet, brauche ich ihnen sicher nicht zu erklären.
Auch gibt es keinen Grund, die Performance von Mitarbeitern weiterhin mit überfrachteten User Interfaces und Prozessen zu torpedieren. Und das ist auch die Antwort auf die Frage, warum auf einmal die Erzfeinde IBM und Apple kooperieren. Auf der einen Seite hochkomplexe zentralisierte Systeme, auf der anderen dezentralisierte Anwendungen mit hochsimplifizierten, erlebnisorientierten User Interfaces. Hier soll also der Mitarbeiter genauso einfache Bedienungsmöglichkeiten bekommen wie ein Endkunde. "Consumerization of IT" basiert auf dem Paradigma, den Mitarbeiter wie einen Kunden zu behandeln. Es geht also auch in die andere Richtung.
Apps als User Remote Control für eine hochkomplexe IT-Landscape
Kunden als Innovationstreiber, integraler Bestandteil unserer Wertschöpfungskette, Nutzer unserer internen IT-Landscape und eine neue Vertrauensebene und Systeme für Mitarbeiter sollen so einfach zu bedienen sein wie Endkundenlösungen? Es kommt von allen Seiten, wenn Sie wollen, eine Art Zangenbewegung. Ich glaube, jetzt ist ein recht guter Zeitpunkt, nicht mehr von Mitarbeitern oder Kunden zu sprechen. Nennen wir doch beide Menschen, das sollte reichen, und das wird auch vieles einfacher machen.
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