Hans-Konrad Wallisch ist zufrieden. Der Leiter der Betriebsorganisation bei der Kreissparkasse Reutlingen setzt seit 1993 Star-Office für die Textverarbeitung ein - anfangs noch das Vorgängerprogramm Star-Writer. Mit mehr als tausend Textbausteinen und Makroprogrammierung hat er das Programm erweitert und auf seine Anforderungen zugeschnitten. Im Funktionsumfang, da ist sich Wallisch sicher, braucht die BüroSuite den Vergleich mit dem Marktführer Microsoft nicht zu scheuen. Bei der jetzt anstehenden Umstellung auf das Betriebssystem Windows NT steht deshalb außer Frage, dass es für die rund 500 Anwender bei Star-Office bleibt. Mit dem neuen Preismodell kann Wallisch leben. "Wir waren auch sehr zufrieden mit dem Programm, als es kostenlos war; aber im Vergleich zu Microsoft Office sind die Lizenzpreise immer noch außerordentlich günstig."
Carsten Müller, Produktmanager für Star-Office, erklärt hingegen, dass die Kunden sich eine lizenzierbare und somit kostenpflichtige Software ausdrücklich gewünscht hätten. Kostenlose Programme gelten in Unternehmen als nur begrenzt tauglich und wenig zukunftssicher. "Wir signalisieren unseren Kunden jetzt die Verlässlichkeit einer kommerziell unterstützten Software und eine Roadmap für die Produktentwicklung", so Müller. Der empfohlene Verkaufspreis von knapp 90 Euro liegt bei rund einem Fünftel von Microsoft Office. Die gestaffelten Preise für Großunternehmen sinken auf bis zu 30 Euro pro Nutzer. "Seit wir Geld für Star-Office verlangen, ist es beliebter denn je", behauptet Sun-Pressesprecher Harald Gessner.
Der Quellcode bleibt offen
Vor allem mit Support, Schulungsangeboten und Migrationshilfen will Produktmanager Müller potenzielle Umsteiger überzeugen. Auch die Verfügbarkeit für unterschiedliche Betriebssystemplattformen wie Sun Solaris, Linux und Microsoft-Betriebssysteme macht Star-Office für viele Unternehmen attraktiv. Im Linux-Umfeld gilt Star-Office seit jeher als Quasi-Standard für BüroSoftware. Fast alle namhaften Distributionen wie Redhat, Suse, Caldera und Mandrake liefern die Office-Suite von Sun mit aus. Die neue Preispolitik will Müller auch keinesfalls als Abkehr vom Open-Source-Gedanken verstanden wissen. Denn neben dem kostenpflichtigen Star-Office ist für die Open-Source-Gemeinde mit Open-Office nach wie vor eine weitgehend identische Office-Software - inklusive Quellcode - kostenlos verfügbar, allerdings ohne jeden Support. "Der Leistungsumfang von Open-Office ist im Wesentlichen gleich - lediglich die Komponenten, die wir bei Drittanbietern zugekauft haben, dürfen wir mit der Open-Source-Version nicht ausliefern", so Müller. Das betrifft zum einen Dateifilter und Komfortfunktionen wie Rechtschreib- und Grammatikprüfung, zum anderen die SQL-Datenbank Adabas D, die nur bei Star-Office zum Lieferumfang gehört.
Star-Office benutzt den offenen Standard XML als Dokumentformat. Trotzdem können die gängigen Dateiformate anderer Anbieter über Filter genutzt werden. Anders bei den Makros: Star-Office verfügt über eine ebenso umfangreiche Makrosprache wie das Gegenstück des Konkurrenten; die Makros aus Microsoft-Anwendungen müssen jedoch manuell konvertiert werden. Denn hinter den sehr ähnlichen Benutzeroberflächen verbergen sich unterschiedliche Software-Architekturen. Deshalb rechnet sich der Umstieg auch nicht in jedem Fall: "Wenn ein Unternehmen mit zehn Mitarbeitern mehrere hundert komplexe Makros einsetzt, könnten Anpassungskosten die Einsparungen bei den Lizenzen übersteigen - aber das ist mit Sicherheit ein Ausnahmefall", vermutet Müller.
Einen Tag Schulung für Umsteiger
Für Wilhelm Hoegner, Leiter des Münchener Amts für Informations- und Datenverarbeitung, ist Star-Office Favorit - allerdings nur, wenn die Stadt ihre 12000 Clients auf Linux umstellt. Aus Unzufriedenheit mit Microsofts Lizenzpolitik lässt Hoegner zurzeit die neue Star-Office-Version intensiv testen. Anwenderschulungen schrecken ihn nicht. "Ich rechne mit kaum höherem Schulungsaufwand als bei einem Versions-Update von MS-Office, weil Benutzeroberfläche und Bedienung den Microsoft-Programmen sehr ähneln." Kreissparkassen-Mann Wallisch bestätigt den geringen Schulungsbedarf. Einen halben bis einen Tag veranschlagt er für die Umsteigerschulung, in der es hauptsächlich um die hausspezifischen Anpassungen geht.
Welche Chancen die Office-Software aus dem Hause Sun hat, die derzeit auf rund zwei Prozent aller Rechner weltweit installiert ist, hängt nicht nur von Funktionsumfang und Preis ab. Die zunehmende Unzufriedenheit mit der Microsoft-Lizenzpolitik könnte zum Auslöser für einen Wechsel der Office-Software werden. Müller gibt sich bescheiden: "Wenn in drei Jahren auf jedem zehnten Computer Star-Office läuft, wie es die Gartner-Analysten prophezeien, wäre das ein beachtlicher Erfolg."