China ist unberechenbar. Was heute gilt, kann morgen anders sein. Türen öffnen und schließen sich. Manchmal ist das abhängig von der Tagesform der Menschen. Häufig weiß man nicht, warum Dinge passieren. So stimmt Astrid Oldekop die über 20 IT-Manager aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, die am Leadership Excellence Program von CIO-Magazin und WHU Otto Beisheim School of Management teilnehmen, in Hongkong auf das Reich der Mitte ein. Sie gehören zum 5. Jahrgang des Executive-Fortbildungsprogramms und haben im Herbst 2015 bereits das General-Management-Modul in Düsseldorf absolviert.
Vielleicht hat die China-Expertin vom Medienbüro Düsseldorf Beijing das auch als Warnung gemeint, denn die fünf kommenden Tage des LEP-Auslandsmoduls "Doing Business in China: Challenges and Success Factors for Western Companies" haben es in sich, sind eine logistische Herausforderung: Drei Mega-Cities (Hongkong, Shenzhen, Shanghai), fünf Unternehmensbesuche, eine Case Study und eine Panel-Diskussion mit hochkarätigen Unternehmensvertretern stehen auf dem Programm. Daneben jede Menge kulturelle Highlights wie das Künstlerviertel in Hongkong, atemberaubende Aussichten von Wolkenkratzern, ein Tai Chi Kurs sowie kulinarische Besonderheiten (Dim Sum).
Oldekop führt ein in Chinas Geschichte, Sprache, Mentalität und die immensen Herausforderungen, vor denen das Reich der Mitte steht: Demographie (1,4 Milliarden Chinesen, 172 Millionenstädte wie Shanghai mit 24 oder Peking mit 21 Millionen Einwohnern), Sozialversicherung und die einsamen Alten (Wanderarbeiter plus fehlgesteuerte Einkindpolitik), War for Talents, Wachstum und immenser Konsumhunger, Korruption, Umweltprobleme, Energie und Ressourcen. Nicht zu vergessen die soziale Ungerechtigkeit: Neben 2,4 Millionen Euro-Millionären gibt es auch rund 70 Millionen Chinesen, die unterhalb der Armutsgrenze leben. Ebenso unfassbar: 2500 Streiks finden jedes Jahr im Lande statt.
Dass die Teilnehmer es mit einem Reich der Superlative zu tun haben, macht schon die Skyline von Honkong deutlich. Hunderte Wolkenkratzer säumen die Ränder der felsigen Küste von Hongkong Island und dem Festland, Bürotürme und Wohngebäude mit 60 Stockwerken. Balkons sind übrigens Fehlanzeige, stattdessen sitzen überall Klimaanlagen auf dem Simsen.
Das Wort "nein" gibt es nicht
Und wie ticken die Chinesen? Wie kann die Zusammenarbeit zwischen deutschen und chinesischen Firmen funktionieren? Wie geht man mit dem Diebstahl geistigen Eigentums um? Warum wechseln Chinesen so oft den Arbeitgeber? Nicht zuletzt: Was bedeutet das ständige Lächeln der Chinesen? Die LEP-Teilnehmer haben viele Fragen, auch die, die schon geschäftlich in China unterwegs waren, aber bislang noch nie tief eingetaucht sind in Kultur und Menschen. Zeit für ein paar interkulturelle Lektionen:
Learning 1: Die Gruppenzugehörigkeit ist für Chinesen wichtiger als das Individuum. Es zählt, zu welchem Netzwerk (Guanxi) man gehört. Das Beziehungsmanagement ein inkrementeller Baustein der chinesischen Kultur: Erst wenn ich ein wenig mit dem Hausmeister geplaudert habe, wird er sich um meinen stinkenden Abfluss kümmern. Andernfalls warte ich Monate lang, und nichts passiert.
Learning 2: Hierarchie ist alles, Position und Status gelten viel. "Bereiten Sie sich gut vor, wenn Sie ein Meeting mit chinesischen Geschäftspartnern haben", rät Oldekop. Sie meint das nicht nur fachlich. Wichtiger sei es, sich vor Augen zu führen, wem man gegenüber sitzt: Welche Positionen bekleiden meine Verhandlungspartner? Wer ist der Chef, also der wichtigste Mensch? Diesen gilt es besonders zu behandeln, denn er ist kein primus inter pares. Europäisches Understatement, was die eigene Position anbelangt, sollte man sich verkneifen.
Ein Tipp in diesem Zusammenhang für europäische Startups in China: Sie sollten nicht zu bescheiden auftreten, sondern ordentlich auf die Pauke hauen, sich als CEO von Firma XYZ vorstellen und die Ziele betonen, wo man in zwei Jahren sein will (Marktführer, große Marktanteile). Das beeindruckt Chinesen, und man kommt überhaupt erst ins Gespräch.
Learning 3: Die Rangordnung gilt auch für Geschäftsessen. Der wichtigste Gast sitzt immer rechts vom Gastgeber, der zweitwichtigste links.
Learning 4: Es gibt kein Wort für "nein" auf Chinesisch. Chinesen haben Angst vor Chaos, das große Ziel ist Harmonie. Man will höflich sein, den anderen nicht vor den Kopf stoßen und eine positive Grundstimmung erzeugen. Stichwort ständiges Lächeln. Übrigens: Erst wenn etwas dreimal abgelehnt wurde, heißt das "nein". Auf die Frage nach der Qualität eines Produkts antworten Chinesen gerne mit "chabudou" und meinen damit "das passt schon". Wörtlich übersetzt heißt es "da fehlt nicht viel". Vieles verbirgt sich in China zwischen den Zeilen. Das heißt jedoch nicht, dass Chinesen unklar sind. Sie denken, wie schaffe ich es, dass mein Gesprächspartner sich mein Anliegen zu eigen macht. Chinesen kommen indirekt ans Ziel.
Learning 5: China hat eine Händlerkultur, Deutschland eine Handwerkerkultur. Das heißt, Deutsche gehen erst dann mit einem Produkt auf den Markt, wenn es ausgereift ist. Chinesen schon viel früher.
Learning 6: Chinesen sind Neuem gegenüber offen und weniger ängstlich als die Deutschen. Das zeigt sich auch in technischen Dingen: Alle haben ein Smartphone und jeder benutzt "WeChat", das chinesische Pendant zu Facebook und Co. Sie bestellen damit im Internet, bezahlen im Restaurant und erledigen gleich noch die nächste Überweisung, denn der Dienst bietet Mobile Payment.
Im Silicon Valley von China
Die Let’s try it-Mentalität der Chinesen und der unbändige Drang, voranzukommen und zu wachsen, wird den LEP-Reisenden wohl nirgends so deutlich vor Augen geführt wie am nächsten Tag in Shenzhen, dem Silicon Valley von China. Das ehemalige Fischerdorf an der Grenze zu Honkong, im Perlflussdelta gelegen, sei mit inzwischen 20 Millionen Einwohnern die am schnellsten wachsende Metropole der Menschheit, erzählt Alexander Murawski. Hierher verlegte der deutsche Gründer vor knapp vier Jahren seine Firma NOA Labs, einen Full-Service-Anbieter, der Unternehmen dabei unterstützt, innovative Ideen in marktreife Produkte zu verwandeln.
"Als Startup muss man global denken, sonst tut es die Konkurrenz," sagt Murawski und zeigt den Bildungsreisenden neben dem kreativen Co-Working- und Co-Development-Hub SEG Maker+ auch Huaqiangbei, den mit 40.000 Anbietern größten Elektronikmarkt der Welt. Hier gehen Bestellungen in hunderttausender Größen über die bescheiden wirkenden Theken.
Flugstunde mit dem "Phantom 4"
Am Nachmittag lädt der Drohnenhersteller DJI zur Unternehmensführung. Auch eine Wachstumsgeschichte: Gegründet 2006 mit 20 Mitarbeitern zählt die chinesische Firma heute 5000 Angestellte und ist mit 70 Prozent Marktanteil unangefochtener Platzhirsch im Consumer-Drohnensegment. Zum Abschluss bittet Firmenrepräsentantin Tingting He zum heiß ersehnten praktischen Teil: einer Flugvorführung des "Phantom 4" vor dem Headquarter.
Haribo macht China froh
Weiter geht es in die nächste Megacity, in die 24-Millionen-Einwohner-Metropole Shanghai. Bei Haribo berichten Managing Director Wolfgang Kohl und Marketing Director Andreas Tank vom Fruchtgummimarkt in China. Beide leben seit über zehn Jahren in China, sprechen fließend Mandarin. Tank, doppelt promoviert in Wirtschaftswissenschaften und Sinologie, beschäftigt sich intensiv mit Marketingstrategien vor Ort, hat gerade wieder ein Buch veröffentlicht, "China Marketing", und schreibt auf chinamarketingblog.com über seine Beobachtungen.
Ob er denn auch mal wieder nach Deutschland gehen würde, fragt eine Teilnehmerin. Das sei für ihn ausgeschlossen, lacht Tank. Die Dynamik und Power der Chinesen würden ihm fehlen.
Wie Henkel chinesische Mitarbeiter bindet
Die Themen Recruiting von Fachkräften, Mitarbeiterbindung und Fluktuation, die auf der Reise mehrmals anklangen, kommen am Nachmittag bei Henkel noch einmal dezidiert zur Sprache. Obwohl das Unternehmen seit mehreren Jahrzehnten im Reich der Mitte präsent ist, geht es nicht ohne Employer Branding und intensives Hochschul-Marketing. Katrin Springob, Head of Talent, Leadership and Learning Asia Pacific, erklärt, dass Chinesen sehr hohe Erwartungen an ihren Job hätten.
Sie wollen schnell befördert werden und ebenso schnell eindrucksvolle Titel erhalten. Geht ihnen das zu langsam, verlassen sie das Unternehmen. Henkel begegnet diesen lokalen Anforderungen unter anderem mit einem angepassten Karriereentwicklungsprogramm: Job-Rotationen werden angeboten, man spricht mit den Mitarbeitern regelmäßig über die nächsten Schritte statt nur im Jahresrhythmus.
Und wie kommt Henkel an die Absolventen? Zu den Awareness-Aktivitäten gehören beispielsweise Marketingaktionen kombiniert mit Recruitment-Events auf dem Campus, um Produkt und Namen bekannt zu machen. Auch mit mobile Recruiting hat man gute Erfahrungen gemacht: Auf "WeChat" konnten erfolgreich Kampagnen platziert werden. Ein einzelner Recruiting-Clip könne etwa in kürzester Zeit mehrere Tausend Bewerbungen einheimsen, denn auf dieser Plattform tummeln sich alle. Springob: "Wer hier nicht WeChat benutzt, der ist nicht auf dem Laufenden."
The government makes the market
Wer in China Geschäfte abwickelt, muss die Rechnung immer mit der wirtschaftlichen Planung in Peking machen, lautet die nächste Lektion. Denn es gilt: "The government makes the market", erklärt Stefan Gilch, President China der Bystronic Group, bei der abschließenden Panel-Diskussion des Programms.
Auf Chinesisch heißt das: Die Wirtschaft tickt im Fünfjahresplan. Derzeit gilt der 13. mit den Zielen Strukturreformen (Förderung von Startups), "Made in China 2025" (betrifft unter anderem Industrie 4.0 auf Chinesisch), Umweltschutz und E-Mobilität. Und: "Es geht Euch morgen besser als heute, ist das Grundversprechen der Regierung an die Bevölkerung", ergänzt Christoph Angerbauer, Geschäftsführer der Auslandshandelskammer (AHK) in Shanghai.
Zusammen mit Clas Neumann, Head of Global SAP Labs Network, stellen sich Angerbauer und Gilch den Fragen der LEP-Teilnehmer, die vor allem um die Bedeutung Chinas für deutsche Unternehmen wissen wollen. Klar wird in der Diskussion, dass Firmen, die global wachsen wollen, China genau beobachten und sich mit dem Land beschäftigen müssen. Wirtschaftsschwankungen, behördlichen Hürden und der Intellectual-Property-Thematik zum Trotz lohne sich langfristig ein Engagement im Reich der Mitte.
Leider wüssten immer noch zu wenig Deutsche über China Bescheid, man beobachte ein großes Informationsdefizit, bedauert Angerbauer. Während rund 30.000 Chinesen derzeit in Deutschland studieren, sind es in China nur 6000 deutsche Studenten. "Die Chinesen kennen uns besser als wir sie", so der AHK-Mann. "Die Mitbewerber aller deutschen Firmen werden in Zukunft auch aus China kommen.
Wenn sie nicht schon da sind", warnt auch SAP-Manager Neumann. Wenn sich Deutsche Unternehmen mit dem Reich der Mitte beschäftigen, so geschehe das oft aus der Pflicht des gewinnbringenden Handelns in einem der wichtigsten Märkte heraus, stellt Gilch fest. Sein Appell: "Wir müssen versuchen, China zur Kür zu machen und verständnisvoll und mit längerem Horizont agieren."
Mehr zum Thema Leadership Excellence Program finden Sie hier:
Im Oktober (10. bis 14. Oktober 2016) startet das neue LEP-Programm mit dem General-Management-Modul in Düsseldorf an der WHU Otto Beisheim School of Management. Vom 6. bis 10. Februar 2017 geht es für das interkulturelle Auslandsmodul nach Indien (Bangalore, Mysore). Interessierten können sich jetzt anmelden: Projektleiterin Isabelle Keck freut sich auf Ihre Kontaktaufnahme (Tel. 089-360 86-523, ikeck@idgbusiness.de)
Weitere Details finden Sie unter: www.leadership-excellence-program.de
Mehr zum Thema China finden Sie hier:
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