Herr Buchkremer, Competitive Intelligence, die Analyse von Markt und Konkurrenz, soll Unternehmen wichtige Informationen im Konkurrenzkampf liefern und helfen, rechtzeitig Chancen zu erkennen. Wie ist das möglich?
Rüdiger Buchkremer: Ich veranschauliche das mal mit einem Beispiel: Mit den richtigen CI-Methoden und der Analyse der entsprechenden Quellen hätte man bereits fünf bis zehn Jahre bevor die Presse es ahnte, voraussagen können, dass sich Mannesmann vom Stahl- zum Telekommunikationsunternehmen entwickelt. Zu diesem Ergebnis kam eine Diplomarbeit an unserer Hochschule. Stellen Sie sich mal vor, was dieses Wissen für einen Wettbewerber bedeutet hätte.
Das hätte die Konkurrenz sicher interessiert. Aber wie hätte sie das denn im Vorhinein mit legalen Mitteln erfahren können?
Rüdiger Buchkremer: Indem sie die entsprechenden Patentdatenbanken mit CI-Techniken durchforstet. In Patentdatenbanken gibt es wahnsinnig viel zu verwerten. Denn Patente werden sehr weit im Voraus eingereicht und sagen etwas darüber aus, was Unternehmen planen oder in welchen Bereichen sie forschen. Patentdatenbanken sind sehr stark indexiert und für jede Technik gibt es einen kleinen Code. Mithilfe dieser Codes kann man geographische Landschaften mit Bergen und Täler erstellen, die darüber Aufschluss geben, welche Techniken kommen und welche gehen, welche interessant werden könnten und welche weniger. Große Unternehmen zapfen diese Quellen schon längst an, doch gerade kleine und mittlere Unternehmen schauen da selten rein.
Rechtzeitig Risiken und Warnsignale erkennen
Könnte man denn mithilfe von CI auch herausfinden welche Technologie Risiken für das eigene Unternehmen birgt?
Rüdiger Buchkremer: Genau das ist eines der Hauptthemen von Competitive Intelligence: Warnsignale hören und Risiken erkennen. Zum Beispiel, welche Gefahren der Einsatz einer bestimmten Technik birgt, indem man Patentdatenbanken seziert. Ein anderes Beispiel: In den USA listen so genannte "warning letters" bis ins kleinste Detail, wenn Unternehmen Schwierigkeiten mit den Behörden haben, etwa wegen einer neuen Technologie. Diese Quellen zu untersuchen, ist leicht. Schwieriger wird es, ein niedriges Umsatzpotenzial für ein bestimmtes Produkt abzuschätzen. Aber durch den Vergleich mit ähnlichen Situationen oder anderen Ländern kann man jede Menge relevanter Informationen herausfinden.
Hätte mit CI denn auch die Entwicklung der aktuellen Wirtschaftskrise beeinflusst werden können?
Rüdiger Buchkremer: Ich behaupte: Ja. CI ist Voraussetzung für einen gesunden Wettbewerb und einen transparenten Markt. Die Krise hätte mit mehr Transparenz und Wettbewerb vielleicht nicht ganz verhindert werden können, aber es hätte doch Vieles vermieden werden können. Ganze Branchen haben Fehler gemacht. Fehler, die zum Beispiel ein Branchenbarometer vorhergesehen hätte. Ich vermute, dass die Regierungen künftig Konkurrenz- und Marktbeobachtung zur Pflicht machen werden. Da werden KMUs noch ihre Überraschung erleben, denn große Unternehmen betreiben CI schon längst.
Mit CI können sich CIOs Lorbeeren verdienen
Können sich kleine und mittelständische Unternehmen denn CI überhaupt leisten?
Rüdiger Buchkremer: Ja auf jeden Fall und sie sollten es sich leisten. Eingangs muss man sich natürlich beraten und aufklären lassen. Da muss man nicht gleich zu teueren Unternehmensberatungen gehen, das können auch Hochschulen. Und es muss auch nicht gleich eine ganze CI-Stelle geschaffen werden. In kleineren Unternehmen reicht auch eine halbe. Zunächst einmal macht es natürlich Arbeit, ein Profil für die Wettbewerber- oder Marktbeobachtung aufzusetzen. Es muss entschieden werden: Wonach suchen wir? Welche Infos brauchen wir, welche Quellen wollen wir anzapfen? Steht das erst einmal, kann die Suche nebenbei laufen.
Und warum sollte sich ein CIO diese zusätzliche Arbeit aufhalsen?
Thomas Lipinski: Viele CIOs denken, Wettbewerbsbeobachtung gehöre in eine andere Abteilung und fragen sich: "Was kann ich da überhaupt tun?" Denn, was die Technik angeht, waren sie immer einen Schritt voraus. Was noch fehlt, sind die Inhalte. Ich glaube aber, dass es auch in der IT jemanden geben sollte, der sich mit Inhalten beschäftigt und schlage vor: Fragen Sie in Unternehmen, welche Inhalte und Informationen interessieren. Die CEOs werden erstaunt darüber sein, was Sie leisten können, wenn Sie nur wissen, wonach sie suchen. Und ich glaube, dass sich CIOs, die sich jetzt mit Wettbewerbsbeobachtung und Compliance beschäftigen, einige Lorbeeren im Unternehmen verdienen können.
Bei der Suche trennt sich die Spreu vom Weizen
Welche Quellen können CIOs denn für ihre Suche noch anzapfen?
Rüdiger Buchkremer: Viele Unternehmen untersuchen einfach nur Standard-Quellen, zum Beispiel Fachzeitschriften oder suchen unsystematisch mit Google. Doch bei der Suche trennt sich die Spreu vom Weizen. Was in Fachzeitschriften steht, wissen alle.
Neben Patentdatenbanken stehen für die Suche zum Beispiel Wirtschaftsdatenbanken zur Verfügung, die meist sehr stark strukturiert sind. Mit der Datenbank ABI Inform etwa kann man gleichzeitig mehrere tausend Wirtschaftszeitschriften analysieren.
Auch in Firmenprofildatenbanken wie Hoppenstedt, Creditreform oder Dun & Bradstreet findet man äußerst interessante Informationen. Ich kann zum Beispiel nach einer Firma suchen, die in einem bestimmten Land ein bestimmtes Thema bearbeitet und damit einen bestimmten Umsatz erzielt. In einigen Datenbanken stehen sogar Bonitätsinformationen. Für entsprechende Recherchen bräuchte ich im Internet Monate, in Firmendatenbanken finde ich die Infos in wenigen Minuten.
Über das Handelsregister kann ich herausfinden, welches Thema für Unternehmen wichtig wird. Hat zum Beispiel ein neuer Bereichsleiter die Prokura übernommen?
Auch ist den meisten gar nicht bewusst, welche Schätze Forschungsdatenbanken, wie zum Beispiel STN International oder ScienceDirect, für Ingenieure bergen.
Das Social Web gibt wichtige Informationen preis
Ist die Suche in solchen Datenbanken umsonst?
Rüdiger Buchkremer: Nein und viele Unternehmen erschrecken, wenn sie hören, dass die Recherchen Geld kosten. Doch wenn man die Kosten von 30 und im schlimmsten Fall 500 Euro mit der Zeit vergleicht, die man mit unsystematischer Recherche vertrödelt, sind sie es Wert. Mit systematischer Recherche kann man Geld sparen.
Welche Möglichkeiten bietet die Analyse von sozialen Netzwerken? Kann ich auch aus dem Social Web Wichtiges erfahren?
Rüdiger Buchkremer: Das ist ein sehr interessantes Thema. Über Social Websites wie die Business-Plattform XING kann man hervorragend Untersuchungen machen, denn die Menschen geben über ihr Profil und ihre Kontakte wichtige Informationen Preis. So kann zum Beispiel mit leichten Mitteln herausgefunden werden, an welchen Projekten die Mitarbeiter eines Unternehmens arbeiten oder in welchen Bereichen sie neue Kontakte knüpfen. Das sagt etwas über geplante Partnerschaften oder neue Unternehmensfelder aus. Manche denken vielleicht, das sei unethisch. Aber große Unternehmen untersuchen soziale Netzwerke schon lange und das ist den Firmen bewusst. Einige verbieten deshalb ihren Mitarbeiter, die Kontakte zu pflegen.
Die Grenze zwischen CI und Wirtschaftsspionage
CI klingt manchmal wie die Arbeit bei einem Nachrichtendienst. Wann verlässt man denn legale Wege?
Rüdiger Buchkremer: Illegal ist zum Beispiel Spionage über Trojaner. Diese Art der Informationssammlung ist ganz klar per Gesetz verboten. Doch neben den illegalen Methoden gibt es auch solche, die zwar nicht verboten, aber unehrlich sind. Und von diesen sollten sich Konkurrenzforscher und CI-Professionals distanzieren. Die Society of Competitive Intelligence Professionals hat einen so genannten Code of Ethics publiziert. Eine der zehn Regeln besagt zum Beispiel, dass man sich niemals als jemand anders ausgeben darf. Wenn zum Beispiel ein Personalberater bei einem Konkurrenzunternehmen anruft und den Mitarbeitern vertrauliche Informationen entlockt, indem er ihnen Karrierechancen verspricht, ist das zwar legal, aber höchst unethisch..