Aus Sicht so manchen Vorstands mag sich Jürgen Winkelmann in ein "Abenteuer" gestürzt haben. Der CIO von Readymix, einem der größten Produzenten von Baustoffen in Deutschland, schloss im vergangenen Jahr einen Vertrag mit dem britischen Network-Provider Vanco ab. Damit vertraute er den Betrieb seines Firmennetzes einem in Deutschland weitgehend unbekannten Unternehmen an.
Nicht, dass Winkelmann ein Draufgänger ist. Vor dem Wechsel zu Vanco hatte Readymix ein Serviceabkommen mit der durchaus als solide geltenden Deutschen Telekom. Doch aufgrund der eingesetzten Frame-Relay-Technik fielen für das Unternehmen zu hohe Netzkosten an. Sie verschlangen rund zehn Prozent des gesamten IT-Budgets. Der Umstieg auf neue Techniken war im alten Vertrag vorgesehen, und Winkelmann hatte ursprünglich gar nicht beabsichtigt, den Anbieter zu wechseln. Doch die Verhandlungen über eine Umstellung gerieten zu einem Tauziehen, bis Winkelmann das Seil schließlich losließ. "Unsere Gesprächspartner waren einfach nicht in der Lage, ein auf unsere Anforderungen passendes Angebot vorzulegen", erzählt er. Zufällig ergab sich, dass seine Kollegen in der englischen Schwestergesellschaft Verhandlungen mit Vanco führten und so ließ auch er sich ein Angebot vorlegen. Und griff zu. Das Ziel, weniger zu zahlen, hat Winkelmann schon mal erreicht. "Wir können die Netzkosten glatt halbieren", berichtet er.
Vanco fungiert als so genannter Virtual Network Operator (VNO) ohne eigene Infrastruktur, der sich zwischen den Kunden und die Telecom-Anbieter setzt. Er verspricht, für die einzelnen Standorte die lokal oder aufgabenspezifisch besten Carrier einzusetzen. Neben dem Design, dem Betrieb und der Wartung des Netzes nimmt er den Kunden auf diese Weise die oftmals mühevolle Suche nach dem jeweils besten Angebot sowie die Verhandlungen mit den Providern ab.
Damit operiert Vanco als reiner Serviceanbieter in einem Markt, dessen Volumen die Briten weltweit auf rund 20 Milliarden Euro schätzen. Wie groß er tatsächlich ist, wird sich kaum klar berechnen lassen. Denn die Grenzen zwischen IT- und Netzdienstleistungen verschwimmen immer mehr. Der europäiscihe ITVerband European Information Technology Observators (Eito) veranschlagt allein für den reinen Netzbetrieb eine Größenordnung von mehr als zwei Milliarden Euro. "Glaubt man den Marktbeobachtern, werden noch weitere Dienstleister am Markt auftauchen, denn gerade für Netzleistungen auf lokaler Ebene sind die Kapazitäten noch knapp, und der Wettbewerb ist gering", sagt Volker Brüggen, Senior Berater im Bereich Strategie und Finanzen bei Detecon. Eine Konsolidierung dürfte sich, wenn überhaupt, erst mittelfristig einstellen.
Wettbewerb hält die Preise niedrig
Bis dahin steht der CIO einem reichhaltigen Angebot gegenüber, was zwar die Preise unten hält, ihm jedoch die Auswahl erschwert. "Ich fürchte, die unbefriedigende Antwort lautet, dass es auf die Lösung ankommt, die für den einzelnen Kunden die richtige ist", meint Brüggen. "Der Markt ist nicht nur sehr dynamisch, sondern auch noch stark fragmentiert." Der CIO sollte sich damit abfinden, dass die Evaluierung der Angebote eine zeitraubende Angelegenheit ist. Den Verantwortlichen hilft hier nur, ihren Bedarf gründlich analysieren. "Das ist die Hauptarbeit für den CIO", sagt er.
Doch auch danach gilt es, noch einige Hürden zu überwinden. Sie beginnen schon bei vermeintlichen Kleinigkeiten, da beispielsweise viele Anbieter gleiche Produkte anders bezeichnen. Hinzu kommt, dass sich die Telcos unterschiedlich positionieren. Das Spektrum reicht vom Alleskönner über den Regionalanbieter bis hin zum Spezialisten für bestimmte Produkte.
Eine erste Adresse dürften die klassischen Carrier sein, die ursprünglich mit Basisdienstleistungen angetreten waren, also dem Bereitstellen der Infrastruktur in Form von Leitungen oder Rechenzentren. Das Geschäft mit den darauf aufsetzenden Services wie Planung des Netzes, Betrieb oder Wartung oder auch der zunehmenden Verknüpfung mit der IT wurde Service Providern und Integratoren à la IBM, EDS oder CSC überlassen. Aufgrund des durch Überkapazitäten ausgelösten Preisverfalls reichen die Basisdienste nicht, um die laufenden Kosten zu decken. Mit höherwertigen Services wollen sie sich vom Wettbewerb differenzieren. Heute fahren die Big Player der Telco-Szene wie Deutsche Telekom, British Telecom, Equant, Colt oder Infonet zweigleisig: Sie bauen eigene Beziehungen zu den Endkunden auf und verkaufen nach wie vor Netzleistungen an reine Serviceanbieter, die ihrerseits den Vertrag mit dem Kunden schließen. Mittel- und langfristig erzielen sie so mehr Umsatz und Rendite.
Für den Kunden kann das Versprechen vom One-Stop-Shop auch Nachteile haben. Die Größe der Konzerne birgt die Gefahr, an Flexibilität einzubüßen. Dies hemmt nicht nur die Anpassung der Netze an neue Technologien, auch auf strukturelle Veränderungen innerhalb eines Unternehmens, etwa die Zu- oder Abnahme von Standorten, wird oft nur träge reagiert. "Es kann unter Umständen schneller, flexibler und preisgünstiger sein, bei einem reinen Serviceanbieter einzukaufen", meint Brüggen. Davon abgesehen gibt es laut Gartner trotz des großen Angebots nur wenige Unternehmen, die etwa den Anspruch auf hinreichende geographische Abdeckung befriedigen können. Auch der Aufbau der Mitarbeiter mit entsprechenden Fähigkeiten für die verstärkte Nachfrage nach Services hinkt der Entwicklung noch hinterher. Eine andere Spielart des sukzessiven Ausbaus der Dienstleistungen auf andere Bereiche, zeigt beispielsweise Colt Telecom. Der Anbieter setzt inzwischen verstärkt auf das Geschäft mit Datendiensten. "Aus Sprachkunden werden Datenkunden", sagt Wolfgang Essig, seit Juli 2003 Colt-Geschäftsführer in Deutschland. So glatt wird sich dieser Weg allerdings nicht beschreiten lassen. Colt muss auch im Datengeschäft aufs Neue beweisen, dass man die Bedürfnisse seiner Kunden bedienen kann.
Der Portalbetreiber Immobilienscout 24 etwa war ursprünglich ein solcher Sprachkunde von Colt und suchte im vergangenen Jahr einen externen Betreiber für seine Server. Auch wenn der Auftrag letztlich an Colt ging, betont IT-Leiter André Nawojan, dass das Unternehmen keineswegs bevorzugt behandelt wurde. "Colt hat sich nicht primär als ehemaliger Partner, sondern vor allem im Umfeld der anderen Angebote behaupten können", versichert er.
Befürchtete Komplikationen blieben aus
Dass er sich auf ein Unternehmen einließ, das als reiner Telekommunkations-Provider begonnen hatte, war nicht relevant. Dennoch erwies es sich als Vorteil, dass Colt mit einem eigenen Netz aufwarten kann. "Vor allem was die Verfügbarkeit betrifft, hat es sich als positiv herausgestellt," meint er. "Wenn man so hohen Traffic ausliefert wie wir und dann auf überbuchten Bandbreiten landet, wird es schon kritisch."
Auch die Umstellung des Betriebs, die eigentliche Nagelprobe für eine gute Zusammenarbeit, bestätigte ihn. Die Kunden waren vorgewarnt, doch befürchtete Komplikationen blieben aus. "Das System war für zwölf Stunden unten, wurde hochgefahren - und lief", berichtet Nawojan. Seit Dezember arbeiten nun 31 Server von Immobilienscout24 in dem Berliner Rechenzentrum von Colt. Damit hat man sich eines Großteils der operativen Systeme "entledigt" und die IT-Abteilung unter Nawojan kann sich voll auf ihre eigentlichen Aufgaben wie das Entwickeln und Testen von Applikationen konzentrieren.
Als Erfolgsrezept verweist auch Nawojan auf eine gründliche Vorbereitung. "Man muss sich die Anbieter schon genau anschauen", empfiehlt er. "Im Zweifelsfall ist es besser, vor der Auftragsvergabe noch zwei, drei Runden mehr zu drehen."