Die Anforderung kam aus dem Lidl-Geschäftsbereich Vertrieb. Dem war es schon länger ein Dorn im Auge, dass die Verkaufsleiter einen Großteil ihrer Arbeitszeit mit administrativen Tätigkeiten beschäftigt waren. Denn immerhin handelt es sich dabei um eine "typische Einstiegsposition für Hochschulabgänger", wie Britta Schulze, Leiterin Personalmarketing bei Lidl Deutschland, erläutert. Nach dem Studium absolvieren die Berufsneulinge ein neunmonatiges Trainee-Programm, währenddessen sie das Geschäft von der Pike auf lernen - inclusive Kassieren und Einräumen. Danach sind sie für jeweils fünf bis sechs Filialen mit 80 bis 100 Mitarbeitern zuständig.
Der Verkaufsleiter trägt Verantwortung für die Umsetzung des Filialkonzepts, das zwar in großen Zügen zentral vorgegeben ist, aber doch spezifisch angepasst werden muss. Außerdem muss er für seine Kennzahlen gerade stehen. Laut Schulze ist er eigentlich ständig unterwegs: "Das ist kein Büro-Job." Es gehe wesentlich darum, den Kontakt zu den Mitarbeitern in den Filialen zu pflegen, Fehlentwicklungen zu erkennen und zu korrigieren sowie Anregungen zu geben und zu schulen - mit einem Wort: das Geschäft der jeweiligen Filialen zu steuern.
Dabei muss sich der Verkaufsleiter weitgehend selbst organisieren. Um seine Aufgaben zu erfüllen, war er in der Vergangenheit auf einen ganzen Satz von Aktenordnern angewiesen: zum Warengeschäft, zu den Kennzahlen, zu den Schulungen etc. Bei seinen Rundgängen durch die Filialen führte er ein Klemmbrett mit sich, auf denen er die wichtigsten Informationen nachschlug und korrigierte.
Die iPad-Alternativen
Die Abstimmung mit der Regionalgesellschaft und der Zentrale erfolgte häufig auf dem Papierweg, entweder in Form von Ausdrucken oder via Fax. Teilweise wurde Informationen auch über die Mobiltelefone übermittelt. Aufgrund der Medienvielfalt war dieses Verfahren fehleranfällig und führte dazu, dass benötigte Informationen bisweilen gar nicht oder aber in nicht aktueller Form vorlagen.
Der Lidl-Vertrieb definierte deshalb gemeinsam mit der IT einen Prozess, der den Verkaufsleitern die Informationsbeschaffung und -weitergabe erleichtern würde. Das Endgerät war allerdings problematisch. Zwar gab es in jeder Filiale einen PC, aber den hätte sich der Verkaufs- mit dem Filialleiter teilen müssen. Die gängigen Laptops hatten zuviel Gewicht, brauchten zu lange, um hochzufahren, hatten zu geringe Akkulaufzeiten und waren insgesamt zu schwer bedienbar.
Aus diesem Grund wurden die ITler bei Lidl schon früh auf die neuen Tablet-PCs aufmerksam. Insbesondere das erste Ipad hatte es ihnen gleich angetan, mehr noch das Nachfolgemodell Ipad2. "Das war das Gerät, das wir brauchten", erinnert sich Mirko Saul, Projektleiter Limo Lidl International.
Ob er sich auch andere Tablets angesehen habe? Ja, sicher, beteuert der Projektleiter. Es hätten jedoch einige wichtige Punkte für Apple gesprochen. Dazu zähle die "einheitliche Plattform"; vor allem ihretwegen liege das Apple-System IOS in Sachen Business-Tauglichkeit deutlich vor dem Konkurrenzprodukt Android, das für jeden Hardwareanbieter ein wenig anders konfiguriert werde. Beispielsweise komme Apple mit Betriebssystem-Updates häufiger heraus als die Mitbewerber, weil die Software ja nicht erst vom Entwickler über die Gerätehersteller verteilt werden müsse. Ein anderer Pluspunkt der iPad-Technologie sei die Abwärtskompatibilität, die Apple "zumindest für eine gewisse Zeit" garantiere.
Auch das von Apple verfolgte "Sandbox"-Prinzip für den iPad zählt Saul zu den Pluspunkten. Denn es schirmt das Gerät gegen böswilliges Eindringen über ungesicherte Verbindungen ab. Bei all dem Lob hat der Projektleiter allerdings auch ein paar kritische Anmerkungen. Gewisse Parameter des Geräts ließen sich nicht zentral steuern, bemängelt er. Beispielsweise könne Lidl nicht ohne Weiteres verhindern, dass der User ein zusätzliches WLAN installiere. Das erfordere also einen Workaround. "Es gibt immer einen Weg, die Probleme zu lösen", meint Saul augenzwinkernd.
Die Komponenten der Lösung
Das Projekt "Lidl Mobile Office" (Limo) wurde im Herbst 2010 auf den Weg gebracht. Mitte 2011 stand ein Pilot zur Verfügung, den eine Gruppe von Verkaufsleitern im Raum Freiburg einem Praxistest unterzog. Nach dem Feinschliff nahm im November desselben Jahres der Rollout in der Breite seinen Lauf. Mittlerweile ist er in vollem Gang. Etwa 300 Geräte seien bereits Im Einsatz, so Dirk Fust, Leiter des Geschäftsbereichs Vertriebsorganisation bei Lidl Deutschland.
Bis zum Herbst 2012 sollen rund 800 Verkaufsleiter, alle ihnen vorgesetzten Vertriebsleiter und die Geschäftsführer der 37 Vertriebs-GmbHs mit iPads ausgerüstet sein. Dann steht der internationale Rollout an: Innerhalb der kommenden zwei Jahre werden laut Plan zusätzliche 3000 Geräte in den europäischen Lidl-Niederlassungen ausgerollt.
Die Limo-Lösung umfasst zwei Komponenten: zum einen die mobile Informationsteilung ("VL mobil"). Die hat sich Lidl nach eigenen Vorgaben von dem auf Business-Apps spezialisierten Dienstleister Excelsis Business Technology AG aus Stuttgart entwickeln lassen. Diese Anwendung nutzen die Verkaufsleiter beispielsweise, um den Warenaufbau in den Filialen zu checken. Auf dem Tablet können sie sich die Verkaufsflächen-Planung anzeigen lassen und mit dem vorgefundenen Aufbau abgleichen, um eventuell Korrekturen vorzunehmen.
Bei den damit verbundenen Entscheidungen hilft ihnen die andere Softwarekomponente: Das "Cockpit" eröffnet den Zugriff auf das Date-Warehouse, wo die Abverkaufsdaten zentral und auf vortagesaktuellem Stand gespeichert sind. Aus vordefinierten Berichten kann sich der Verkaufsleiter die für ihn relevanten Kennzahlen herauszuziehen - bis hinunter auf die Artikelebene, für jede einzelne Filiale sowie bei Bedarf auf für denselben Zeitraum des Vorjahres. Auf dieser Grundlage passt er dann gegebenenfalls die Verkaufsflächenplanung an.
Konsistente Daten für alle
Darüber hinaus bietet das Tablet dem Verkaufsleiter einen Vorteil, der Büromenschen trivial erscheinen mag: Erstmals kann er E-Mails nutzen. Dafür habe man sich aber erst einmal "auf gewisse Spielregeln einigen" müssen, berichtet Fust. Beispielsweise darauf, dass das gesprochene Wort bei der Informationsabstimmung für Lidle immer noch Vorrang habe.
Im Rahmen des Projekts wurde auch die Pflege der Daten neu geregelt. Wie der Vertriebs-Manager erläutert, geschieht sie jetzt arbeitsteilig: Sofern es sich um deutschlandweit einheitliche oder konsolidierte Daten handle, zeichne die zentrale Vertriebsorganisation verantwortlich. Sie fungiere auch als "Schleusenwärter" für die Informationen, lege also fest, wer welche Daten sehen muss oder darf. Die konkreten Warengeschäftsinformationen, beispielsweise der Abverkaufsplan beim Auslaufen eines Artikels, werden hingegen von den Gesellschaften aktuell gehalten.
Dadurch, dass die Dateneingabe so streng reglementiert ist, lässt sich sicherstellen, dass alle Beteiligten auf konsistente und aktuelle Informationen zugreifen. Der Verkaufsleiter muss sich nicht mehr darum kümmern, die Daten zusammenzubringen, sondern kann sich darauf konzentrieren, die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen.
"Wir wollen die Verkaufsleiter nicht zu ITlern erziehen, sondern die IT so einfach machen, dass der Verkaufsleiter damit umgehen kann", sagt Projektleiter Saul. "Eine unserer Hauptaufgaben in dem Projekt besteht darin, die Komplextität der IT vor den Anwendern zu verstecken." Auch von daher habe das für seine einfache Bedienbarkeit gerühmte iPad gut zu der Strategie gepasst.
Was Lidl aus dem Projekt gelernt hat
Selbstverständlich schafft eine solche Lösung auch Begehrlichkeiten in anderen Unternehmensbereichen. "Wir haben die interne Nachfrage unterschätzt", räumt Saul ein. Aus den unterschiedlichsten Fachbereichen gebe es jetzt Anfragen für ähnliche Lösungen. Aber die Kapazitäten der Lidl-IT seien nun einmal begrenzt. Und die Entscheidung laute, sich zunächst auf den Vertrieb zu konzentrieren: "Das hätten wir vielleicht von Anfang an noch stärker kommunizieren sollen."
Offenbar alles richtig gemacht hat die Lidl-IT bei der Zusammenarbeit mit dem beauftragenden Fachbereich. Wie wichtig die ist, erweist sich spätestens beim Praxistest: "Hier haben sich eigentlich nur noch Kleinigkeiten gezeigt", beteuert Saul.
Ein wenig mühsam gestaltete sich zunächst die Suche nach technischer Unterstützung. Da es sich ja um eine relativ junge Technologie handelte, gab es wenig Dienstleister, die sich damit auskannten. Auch Apple selbst war offenbar noch nicht auf Firmenkunden eingestellt. "Wir haben uns aber um einen engen Kontakt zum Anbieter bemüht und die Detailinformationen, die wir brauchten, auch bekommen", berichtet Saul. Auf Excelsis sei man im Rahmen einer Ausschreibung gestoßen, an der sich vorzugsweise Kleinstanbieter und Agenturen beteiligt hätten, so der IT-Spezialist: "Unsere Shortlist war wirklich sehr kurz.'"
Daneben habe Lidl auch eigenes Know-how aufgebaut, um nicht von Externen abhängig zu sein. Die privaten Erfahrungen einiger Mitarbeitet bildeten das Fundament dafür. "Motivations-Probleme hatten wir keine", schmunzelt Saul. Den First-Level-Support lasse Lidl heute von einer externen Support-Hotline erledigen, aber: "Die schwierigen Sachen landen bei uns."
Security? Kein Problem
Befürchtungen hinsichtlich der Security sind Lidl relativ fremd. "Da hat sich Apple mit jeder IOS-Version verbessert", lobt Saul den Anbieter einmal mehr. Es gebe beim iPad ohnehin nur wenige Schnittstellen, über die Informationen nach außen gelangen könnten. Zudem seien auf den Geräten keine unternehmenskritischen Daten gespeichert. Die Kennzahlen würden über eine getunnelte Verbindung abgerufen. Und was die Neugier eines Dritten erregen könnte, beispielsweise Schulungsunterlagen, sei verschlüsselt ablegt.
Wenn das Password fünfmal falsch eingegeben wurde, löscht sich das Gerät selbst. Sollte es gestohlen werden oder verloren gehen, kann der Verkaufsleiter die Hotline anrufen, die remote über die eingebaute Netzkarte "die Platte putzt".
Dass es auf dem iPad keinen Viren-Scanner gibt, mag zunächst verunsichern. Aber wie Saul glaubhaft versichert, wird der Anwender ohnehin keine fremde Software laden: Die Verbindung zum Apple-Appstore sei gekappt; die benötigten Apps bekomme der Nutzer zentral über das Device-Management-System von Mobile Iron.
"Das ist in erster Linie ein Arbeitsgerät, kein Image-Gerät und keine private Spielkonsole", fasst Fust zusammen. Der Verkaufsleiter soll das iPad tagsüber nutzen und abends zur Seite legen. Das halte auch den Neidfaktor unter den Mitarbeitern im Rahmen. Es werde allgemein anerkannt, dass der Verkaufsleiter den iPad brauche, um Routinetätigkeiten zu erledigen. So habe er mehr Zeit für wirklich Wichtiges.
Wie es weitergeht
Ob das Apple-Tablet das Gerät der Wahl bleiben wird, ist laut Saul keineswegs sicher: "Wir beobachten den Markt weiter, und nichts ist für die Ewigkeit." Die Infrastruktur sei so aufgebaut, dass sie "mit überschaubarem Aufwand", auch für andere Tablets genutzt werden könne."
Dass der Coolness-Faktor des iPad aber auch zur Attraktivität des Arbeitgebers Lidl beiträgt, mag Personal-Marketing-Leiterin Schulze keineswegs bestreiten. Die Projektkosten von kann zwei Millionen Euro sind schon von daher gut investiert.Auf jeden Fall sollen auch andere Mitarbeiter über kurz oder lang vom Tablet-Know-how der Lidl-IT profitieren. Erste Projekte für andere Fachbereiche sind schon für das kommende Jahr geplant - also während des europaweiten Limo-Rollout. "Die brennen schon darauf", wie Fust formuliert. (Computerwoche)