Mitarbeiterbindung bei Bertelsmann und Vodafone

Lob & Ehre statt Kündigungen

02.09.2002
Im Zweifel ist es billiger, Top-Perfomer zu befördern als zu verlieren. Bertelsmann und Vodafone bauen deshalb an Karrieremodellen, die auch solchen Fachkräften einen Weg nach oben aufzeigen, die sich nicht für Manangementaufgaben eignen.

Rolf Neubert (Name von der Redaktion geändert) war stinksauer. Als IT-Chef einer großen Handelskette war er Anfang 2001 zu einem Telekommunikationsanbieter gewechselt. Sein neuer Arbeitgeber hatte ihm in Aussicht gestellt, nach einer gewissen Zeit auf den CIO-Posten wechseln zu können. Doch dann wurde ihm ein CIO von außen vor die Nase gesetzt. Neubert: "Zwei waren einer zu viel." Im Frühjahr räumte er seinen Schreibtisch.

Falsche Versprechungen und enttäuschte Hoffnungen sind nur zwei von vielen Gründen, den Arbeitgeber zu wechseln. Wie Studien der Personalberater von Baumgartner und Kienbaum ergaben, pflegen deutsche Firmen ihre Teuersten zu wenig - bei knapper Kasse zunächst verständlich: Man ist froh über jeden, der freiwillig geht.

Die Besten nehmen Kunden und Wissen mit

Felix Kratz erscheint daher wie ein Rufer in der Wüste. "Wir haben derzeit andere Probleme", wird dem Partner der Unternehmensberatung Baumgartner häufig gesagt, wenn er zu Vorträgen zum Thema "Retention" - Mitarbeiterbindung - lädt. Das mag sein, doch wer jetzt nicht aufpasst, habe später ein Problem, entgegnet Kratz. Denn mit den Top-Leuten gingen oft auch Kunden und wertvolles Wissen verloren. Meist seien es die Besten, die freiwillig ein Schiff mit Schlagseite verließen. Bei wirtschaftlicher Erholung drohe dann die Gefahr eines neuen "War for talents".

Dabei müssen die unternehmerischen Bindemittel gar nicht immer teuer sein. Besonders IT-Mitarbeiter sind mit Geld und Goodies allein ohnehin kaum zu halten; ihnen sind Karriereperspektiven wichtiger. Spitzenkräfte (High Potentials) wollen gefordert und gefördert werden, wissen Personalberater. Viele Unternehmen vernachlässigen diesen Aspekt und verlassen sich zu sehr auf klassische Motivationsinstrumente wie variable Vergütung und flexible Arbeitszeiten. Nur jedes fünfte Unternehmen in Deutschland hat überhaupt ein Budget für die Mitarbeiterbindung.

Vorskizzierte Laufbahnen motivieren

Das Modell ermöglicht ein besseres Leistungs-Controlling und schafft die Basis für eine erfolgsabhängige Bezahlung. Bertelsmann Mediasystems will Anfang 2003 ein System einführen, bei dem die Mitarbeiter am Gewinn beteiligt werden, aber auch die Unternehmensrisiken mittragen ("Risk and Profit Sharing"). Dem neuen Laufbahnmodell folgt so nicht selten ein neues Gehaltsgefüge - was unterm Strich für die Firmen nicht von Nachteil sein muss.

Damit man bei einer Auftragsflaute keine Top-Leute entlassen muss, arbeitet Bertelsmann in Spitzenzeiten mit bis zu 400 Externen zusammen. Für Wilfried Göckel, Vice President Human Resources, ein "wichtiger Puffer". Obwohl jedes dritte deutsche Unternehmen in den vergangenen Monaten Stellen abgebaut hat, ist sich kaum jemand über den Image-Schaden im Klaren, den eine solche Personaldiät verursacht. "Diese weichen Faktoren werden von den wenigsten thematisiert und tauchen in keiner Bilanz auf", sagt Retention-Experte Kratz. Ein kostspieliges Verhalten, vor allem dann, wenn bereits nach einigen Monaten Fachpersonal wieder akquiriert werden muss.

Auch Vodafone Information Systems (VIS) bastelt derzeit an neuen Karrierelaufbahnen für Führungsebene, Fachbereiche und Projekte, abhängig von den "Skill-Sets" der Mitarbeiter. Auch hier werden Fach- und Projektlaufbahn aufgewertet. Bisher waren die "Fachbrösler" - so der interne Firmenjargon - den Linienmanagern unterstellt. Die Folge: IT-Tüftler, die sich gezwungen sahen, die Managerlaufbahn einzuschlagen, wenn sie Karriere machen wollten, können sich wieder ausschließlich ihrer Kernkompetenz widmen und trotzdem aufsteigen. CIO Joachim Bellinghoven weiß schon jetzt, dass viele leidenschaftliche Techniker unter den Managern zurück in die Fach- oder Projektlaufbahn wechseln werden: "Die sind froh, Verantwortung wieder abgeben zu können, ohne Geld oder Status einzubüßen."

Karrieren auch für Technikexperten

Die Kompetenzkarten wurden ebenfalls neu gemischt. Bellinghoven: "Oft hat sich ein Projekteiter darüber aufgeregt, dass der Executive Manager, der frühere Hauptabteilungsleiter, ihm gegenüber weisungsbefugt war. Das wollten wir ändern. Jetzt müssen sich die beiden zusammensetzen und gemeinsam eine Lösung finden." Ende des Jahres, so die Planung, soll die neue Organisation verbindlich im gesamten Unternehmen implementiert werden. Ein regelmäßiger Newsletter ("Passion 4VIS") soll intern für die neuen Laufbahnen werben und sie transparent machen. Die neue Struktur müsse von den Mit-arbeitern "angenommen und gelebt" werden, so der CIO.

Karriereperspektiven sind das eine, die Einlösung der damit gegebenen Versprechen das andere. Rolf Neubert will trotz Enttäuschung nicht schlecht über seine ehemalige Company reden. Damit ist er wohl die Ausnahme. Den Schaden, den frustrierte IT-Manager beim Wechsel zur Konkurrenz verursachen, ist nicht zu beziffern. Ein Firmenwagen mit Parkplatz kommt in jedem Fall billiger.