Mal abgesehen von der Tatsache, dass sich die Schweiz in jüngster auch politisch etwas unzugänglich gezeigt hatte: Topographisch war sie es schon immer. Denn so schön und verwunschen die Gebirgslandschaft für Besucher sein mag, aus Sicht der Verkehrsplaner ist sie eine Katastrophe. Hohe Berge und enge Täler lassen sich nur mit enormem Aufwand durch Straßen- und Schienennetze erschließen, Brücke folgt auf Tunnel und Tunnel auf Kurve.
Umso erstaunlicher, dass die Schweiz mit mehr als 5200 Kilometern Streckenlänge auf nur rund 41.000 Quadratkilometern Fläche eines der dichtesten Eisenbahnnetze der Erde besitzt. Und das wird fleißig genutzt: Im Durchschnitt unternimmt jeder Schweizer 47 Bahnfahrten pro Jahr und legt dabei mehr als 1700 Kilometer zurück. Weltweit sitzen nur die Japaner noch lieber im Zug.
Neue Gleise sind kaum noch möglich
Und die Planer gehen davon aus, dass diese Begeisterung der Eidgenossen fürs Bahnfahren weiter zunehmen wird, erwarten bis 2030 einen Mehrbedarf von 120.000 Sitzplätzen im Vergleich zu heute. Eine große Herausforderung, zumal aufgrund der beschriebenen Topographie eine Erhöhung der Kapazitäten - etwa durch Verlegen zusätzlicher Gleise - kaum möglich ist. Wollen sie dennoch für die Zukunft gerüstet sein, bleibt den Schweizern nichts anderes üblich, als das vorhandene Netz besser auszulasten.
In der Praxis funktioniert das nur, indem man Betriebsstörungen, Konflikte und damit Verspätungen drastisch reduziert. Nur so lassen sich die Abstände zwischen den Zügen verkleinern, damit auf einer Strecke pro Tag mehr Bahnen verkehren können. Außerdem entlastet mehr Pünktlichkeit auf einer Strecke das gesamte Netz: Wenn es ganz schlecht läuft, kann sich nämlich die halbstündige Verspätung eines Zuges zu einer Gesamtverzögerung im Netz von 20.000 Minuten auftürmen. Durch die vielen Abhängigkeiten ist die Verkehrsplanung bei Zügen komplizierter als bei Flugzeugen; Züge fahren nur, wo Schienen sind, können sich nicht gegenseitig ausweichen.
Herzstück ist eine neue Messaging-Plattform
Bei der Effizienz Fortschritte zu machen bedeutete in diesem Fall, ein sehr gutes System nochmal zu verbessern. Schließlich gehören die Eisenbahnen in der Schweiz traditionell zu den pünktlichsten weltweit. Trotzdem soll alles durch das sogenanntes Rail Control System (RCS) noch besser werden, das nach einer Testphase von ca. 1,5 Jahren im Januar live ging.
Herzstück ist die Webmessaging-Plattform Rendezvous des Kalifornischen Softwareherstellers und Enterprise Application-Spezialisten Tibco. Sie zeichnet die Daten sämtlicher fahrenden Züge auf und verarbeitet sie in Echtzeit. Übertragen werden die Daten via UMTS und GSM, was insofern technisch nicht ganz unkompliziert ist, als die perfekte Signalübergabe zwischen zwei Funkzellen garantiert sein muss.
7000 Messages pro Sekunde
Auf diesem Wege empfangen die vier über die Schweiz verteilten Kontrollcenter zirka 7000 Messages pro Sekunde. Außerdem weiß die Software, wo gerade ein Signal auf Rot steht, etwa wegen einer Gleisbaumaßnahme. Ziel ist es, Stopps so weit wie möglich zu vermeiden. Denn sie bringen nicht nur den Fahrplan durcheinander, sondern kosten auch viel Energie. Marcus Völcker, Infrastruktur Division Information Officer bei der SBB: "Wenn ein 1000 Tonnen schwerer Güterzug aus 80 Kilometern pro Stunde zum Stillstand kommen und wieder anfahren muss, dann verbraucht das so viel Strom wie ein Einfamilienhaus in einem Jahr."
Um das zu verhindern, verlangsamt das RCS die Züge vor dem roten Signal, damit sie wie ein PKW auf der grünen Welle gleichmäßig und ohne Stopp fahren können. Allerdings geschieht dies nicht per Fernsteuerung, sondern der Lokführer bekommt die für den optimalen Zuglauf errechnete Geschwindigkeit per Funksignal an sein iPad gesendet und reduziert das Tempo anschließend manuell.
Lokführer entscheidet nicht mehr autonom
Ignoriert er die Empfehlung, zum Beispiel weil er sich gerade nur auf die Strecke konzentrieren wollte, berechnet das System die erforderliche Geschwindigkeit neu - und sendet dem Lokführer bei der nächsten Message eine aktualisierte Zahl. Marcus Völcker: "Für einen Teil der Mitarbeiter bedeutete das Ganze eine ziemliche Umstellung, weil sie vorher einige Entscheidungen relativ autonom treffen konnten und jetzt nicht mehr.
Bei der Wahl des Systems zur Verarbeitung der Daten entschied sich die SBB nach einer Testphase für Tibco. Marcus Völcker: "Tibco bekam den Zuschlag, weil das System unser Anforderungsprofil exakt erfüllt. Es ist unkompliziert zu installieren, sehr zuverlässig und kann extrem große Datenmengen verarbeiten, im Falle der SBB 1,5 Terabyte pro Tag. Außerdem sind die Betriebskosten niedrig."
Big Data ist in der Praxis angekommen
Hinzu kommt die Ausfallsicherheit: Der Ausfall eines Knotens im Netzwerk führt nicht zum Ausfall des gesamten Systems. Die Implementierung ist in der Lage, Stromausfälle oder technische Defekte in einer Region ohne Verzögerung zu erkennen und den Datentransfer intelligent zu verlagern, so dass der Betrieb störungsfrei weitergehen kann. Diese Fähigkeit führte dazu, dass bis jetzt längere Ausfälle des Systems werden konnten - trotz eines sehr großen, weit verteilten und unter Hochlast arbeitenden Systems.
Die Webmessaging-Technologie bildet dabei Brücke zwischen dem firmeninternen Messaging Bus (basierend auf der Programmierschnittstelle Java Message Service - JMS) und sogenannten Websockets, die als Standard von mobilen Apps oder auch von jedem modernen Browser unterstützt werden. Somit kann eine Nachricht, die aus einer Unternehmensanwendung über JMS geschickt wird, direkt und in Echtzeit eine Aktion in einem Browser auslösen, also zum Beispiel einem Zugführer der Schweizerischen Bundesbahnen die empfohlene Geschwindigkeit anzeigen.
Das beschriebene System zur Optimierung von Zuglaufzeiten ist ein gutes Beispiel dafür, welche bodenständigen, praxisnahen Möglichkeiten Big Data heute bietet. Und welche Spareffekte möglich sind. Allein bei der Energiebilanz erhofft sich die SBB Einsparungen von rund drei Prozent, was einem Plus von zehn Millionen Dollar im Jahr entspricht.
Das Projekt wäre vor einigen Jahren nicht umsetzbar gewesen
Noch Kurzem wäre eine solche Lösung technisch nicht umsetzbar oder zumindest nicht rentabel gewesen, wie Andreas Gerst, Senior Director Global CTS Solution Consulting bei Tibco, erläutert: "Vor zehn Jahren hätte zum Beispiel RAM noch nicht zu vertretbaren Kosten zur Verfügung gestanden.
Heute dagegen ist es kein Problem, einen Server mit einem Terabyte RAM auszustatten und damit effiziente In-Memory-Architekturen aufzubauen. Hinzu kommt die viel höhere Leistung und Verfügbarkeit bei den Netzen."