Auch der Autor dieser Zeilen dachte zunächst, Intelligent Process Automation sei schlicht das nächste Wortungetüm, erdacht von irgendwelchen Consultants, um Beratungsleistung zu verkaufen.
Der Eindruck des Neuen ist dem Fakt geschuldet, dass im Zusammenhang mit der Zukunft von Produktion zuletzt andere Begriffe die Diskussion dominierten, Industrie 4.0 zum Beispiel oder IoT - das Internet der Dinge.
Bei genauerer Betrachtung ist IPA aber keineswegs neu. Im Juni 2015 - also vor einer halben Ewigkeit - schrieb Robert Brown, Associate Vice President beim riesigen US-IT-Dienstleister Cognizant, ein überaus intelligenten Artikel dazu. Er trug (übersetzt) die Überschrift: "Intelligent Process Automation: Es geht um Daten, nicht um Roboter."
Lernende Maschinen werden schlauer
Diese Aussage charakterisierte recht gut, worum sich IPA dreht: nicht um dumme Maschinen, die ein kleines Progrämmchen dazu zwingt, den immer gleichen, stumpfsinnigen Handgriff auszuführen, sondern um lernende Systeme, die - ähnlich wie Menschen - bei ihrer Tätigkeit immer schlauer werden.
Wie Unternehmen konkret davon profitieren können, hat jetzt McKinsey analysiert. Unter dem etwas sperrigen Titel: "IPA: The engine at the core of the next-generation operation Model" beschreiben die Berater ausführlich, wie Firmenlenker vorgehen sollten.
Zuvor klären uns die McKinsey-Autoren Federico Berruti, Graeme Nixon, Giambattista Taglioni und Rob Whiteman allerdings dankenswerter Weise darüber auf, welche Entwicklungen uns die (angenommene) Unabwendbarkeit des IPA-Siegeszugs eingebrockt haben.
Da wäre zunächst die Finanzkrise 2007-2009, während der viele Unternehmen durch sogenanntes Lean Management parallel Kosten senken und Kundenzufriedenheit steigern wollten. Am besten hätten sich dazu schon damals Digitalisierungsmaßnahmen aller Art geeignet.
Kombination aus Automation und Machine Learning
Doch die waren und sind in traditionsreichen Industrien nicht so einfach einzuführen wie ein neuer Fuhrpark. Die Versicherungsbranche zum Beispiel - schon immer datengetrieben und daher eigentlich ideal zur forcierten Digitalisierung geeignet - tat sich enorm schwer damit. Eine Folge war das Aufkommen unzähliger "Insurtech" beziehungsweise "Fintech"-Startups.
Mal eben sämtliche Kernprozesse zu digitalisieren, ist eben nicht so einfach. Stellt sich die Frage: Was können Unternehmen stattdessen, was darüber hinaus tun in Anbetracht der Tatsache, dass der Kostendruck in den meisten Branchen seitdem eher noch größer anstatt kleiner geworden ist?
Set von 5 Technologien
An dieser Stelle kommt - davon jedenfalls ist man bei McKinsey überzeugt - IPA ist Spiel. Im Kern handelt es sich dabei um ein Set von fünf miteinander kombinierbarer Technologien rund um Prozessautomation und Maschinenlernen:
Robotic process automation (RPA): "Robotic process automation (RPA)", ein Softwaretool, das es erlaubt, Routineaufgaben eines Unternehmens über vorhandene Bedienelemente automatisch ausführen zu lassen. Dabei hat der (Software-)Roboter eine User-ID wie seine menschlichen Kollegen, legt wie diese Dokumente an oder verfasst Reports. Hilfreich kann das zum Beispiel für die Versicherungsbranche sein, in der täglich viele standardisierte und zugleich sicherheitssensible Dokumente entstehen (müssen).
Smart Workflow: Beim "Smart Workflow" handelt es sich um eine Prozessmanagement-Software, die Gruppen von Mitarbeitern koordinieren und auch deren Zusammenarbeit mit Maschinen managen kann.
Machine learning/advanced analytics:Mit "Machine learning/advanced analytics" - dritter Punkt - meint McKinsey Algorithmen, die Muster in strukturierten Daten erkennen. Mit Hilfe dieser Muster steuern sich Maschinen nach einer Weile gewissermaßen selbst und können auch Prognosen abgeben, beispielsweise über künftige Ausfallzeiten von Assets.
Natural-language generation (NLG): "Natural-language generation (NLG)" bezeichnet eine Software, die medienbruchfreie Kommunikationen zwischen Menschen und Maschinen ermöglicht. Werkzeug dazu ist natürlich Sprache, und zwar die menschliche: Computerprogramme sollen zukünftig in der Lage sein, nach bestimmten, von Menschen festgelegten Regeln Ergebnisse von Datenanalysen in allgemeinverständliche Prosa zu übertragen. Genutzt wird dieser Ansatz beispielsweise heute schon im US-Journalismus für die Sportberichterstattung, zukünftig soll er auch auf Managementreports übertragbar sein.
Cognitive agents: Fünftes und letztes Element von IPA sind "Cognitive agents", virtuelle Wesen, in denen sich die beiden zuletzt beschrieben Fähigkeiten miteinander verbinden. Dabei entsteht quasi eine virtuelle Belegschaft, die nicht nur Jobs erledigen, kommunizieren, Daten analysieren und aus ihnen lernen kann, sondern auch Entscheidungen treffen, die die Gefühle andere (humanoider) Beteiligter berücksichtigen.
Vorgehen in 6 Schritten
Stellt sich natürlich die Frage, wie Unternehmen am effizientesten davon profitieren. McKinsey empfiehlt ein Vorgehen in sechs Schritten.
Zunächst gelte es, die mit Hilfe von IPA anvisierten Ziele ebenso klar zu benennen wie den Weg dorthin. Bereiche, in denen IPA im ersten Schritt besonders hilfreich sein kann, sind Datensammlung und -auswertung, besonders bezüglich der Verwaltung von Kundendaten sowie die Abwicklung standardisierter Korrespondenz.
Der zweite Tipp: Nutze das gesamte Programm, also alle Elemente von IPA, weil nur alle Teile im Zusammenspiel miteinander die volle Wirkung entfalten.
Drittens - und kein Widerspruch zum zweiten Punkt: Entwickele zunächst eine lauffähige Minimalkonfiguration, mit deren Hilfe sich zentrale Funktionen anschauen und testen lassen.
Viertens: Versuche eine sinnvolle Kombination aus "Quick Wins" und langfristigen Zielen zu entwickeln.
Fünftens: Gründe ein "Center of Excellence", um die durch IPA angestoßenen Lösungen und Veränderungen nicht nur mit eigenen Kapazitäten, sondern vor allem auch mit Standards und Zertifizierungen der Branche in Einklang zu bringen.
Sechstens und letztens schließlich kommt es laut McKinsey darauf an, die durch die Technologie angestoßenen und noch geplanten Veränderungen sensibel, aber nachvollziehbar zu kommunizieren. Denn der Erfolg sämtlicher Pläne hänge ganz maßgeblich davon ab, ob diese zur Kultur einer Organisation passen und wie sehr das Personal bereit ist, sich darauf einzulassen.
Zusammengefasst preist McKinsey IPA als Instrument, um anspruchsvolle, aber sich wiederholende Tätigkeiten im Unternehmen von Maschinen ausführen zu lassen, die zudem durch die Ausführung der Jobs immer schlauer und besser werden.
Menschen sollen sich derweil auf die wirklich angenehmen und zukunftsweisenden Dinge konzentrieren, zum Beispiel neue Quellen und Informationen von außerhalb des Unternehmens sichten und prüfen, ob und welchen Einfluss sie auf das Geschäftsmodell des eigenen Unternehmens und dessen Zukunft nehmen könnten.
Maschinen ersetzen Menschen
Am Ende geht es bei IPA - sagt diesmal nicht McKinsey, sondern der Autor dieser Zeilen - darum, Menschen durch Maschinen zu ersetzen. Bezogen auf die technische Machbarkeit und die Erträge von Unternehmen ist das sicher eine gute Idee. Ob diejenigen, die dadurch ihren Job verlieren, das auch so sehen, steht auf einem anderen Blatt.