"Gib einem Menschen Macht", sagte der frühere US-Präsident Abraham Lincoln, "und du erkennst seinen wahren Charakter." Manch einer hätte auf diese Erkenntnis gerne verzichtet.
Zu jeder Zeit gibt es Menschen, die ihrer Machtfülle zum Opfer fallen. Politiker, die Beruf und Privatleben miteinander verstricken. Manager, die zulasten der Angestellten in die eigene Tasche wirtschaften. Nicht trotz ihrer einflussreichen Position - sondern genau deswegen.
Das Image von Macht könnte besser sein. Da kommt eine neue Studie gerade recht. Denn darin haben die Psychologen Annika Scholl und Kai Sassenberg vom Leibniz-Institut für Wissensmedien in Tübingen eine angenehme Nebenwirkung von Macht entdeckt: Offenbar trägt sie dazu bei, die Lernfähigkeit zu steigern.
Zu dieser Erkenntnis gelangten Scholl und Sassenberg in vier verschiedenen Experimenten. Für einen Versuch gewannen sie insgesamt 110 Angestellte, darunter Führungskräfte mit Personalverantwortung und einfache Mitarbeiter.
Die Chefs sollten sich nun an ein Erlebnis erinnern, in der sie mit der Arbeit eines Angestellten unzufrieden gewesen waren. Die einfachen Mitarbeiter sollten daran denken, wie ihr Chef mal mit ihrer Arbeit unglücklich gewesen war.
Im Anschluss sollten alle ihre Gedanken an die Situation notieren. Und dabei bemerkten die Wissenschaftler einen interessanten Unterschied. Die Führungskräfte richteten sich in ihren Notizen wesentlich stärker an ihr eigenes Verhalten. Kurzum: Sie suchten die Fehler für die Situation bei sich selbst.
Ganz anders war es bei den Angestellten: Sie klammerten sich in der Fehleranalyse weitgehend aus und suchten die Verantwortung bei anderen.
Ähnlich verhielten sich die Teilnehmer weiterer Experimente. Hier teilten die Forscher Probanden via Zufallsprinzip in Führungskräfte und Mitarbeiter. Dann sollten sie in Zweierteams Aufgaben lösen. Und siehe da: Wieder führten die Chefs Misserfolge meist auf sich zurück. Die Mitarbeiter schoben Fehler auf äußere Umstände.
Aber warum sollte die hierarchische Position die Lernfähigkeit beeinflussen?
Nach Angaben der Wissenschaftler hat die Antwort damit zu tun, was Macht mit Menschen macht. Sie führt zum Gefühl, alles unter Kontrolle zu haben. Natürlich kann dieses Gefühl trügerisch sein und auf den moralischen Holzweg führen. Doch im Angesicht von Fehlern und Misserfolgen kann es von Vorteil sein.
Wer Macht empfindet, fühlt sich dem Schicksal nicht ausgeliefert, sondern hat es in den eigenen Händen. Und dann ist er eher dazu bereit, über eigene Fehler nachdenken.
Wer hingegen keine Macht hat, der nimmt gewissermaßen automatisch eine passive Position ein. Er geht davon aus, den Lauf der Dinge ohnehin nicht ändern zu können. Und umso weniger Lust und Interesse hat er, über eigene Fehler nachzudenken und es beim nächsten Mal besser zu machen.
Die Studie legt nahe, dass Führungskräfte ihren Angestellten möglichst viel Freiheit und Autonomie gönnen sollten. Dann fühlen sie sich nicht nur für das eigene Schicksal verantwortlich, sondern auch für den Erfolg des Arbeitgebers oder des Projekts. Und umso stärker sind sie dazu bereit, aus Fehlern zu lernen.
(Quelle: Wirtschaftswoche)