Gewerkschaften blocken ab

Machtkampf bei Siemens

21.11.2017
Siemens will mehr als 3.000 Stellen in Deutschland streichen. Da der Elektrokonzern aber Milliardengewinne einfährt, setzen empörte Betriebsräte und Gewerkschaft auf Blockade.
Joe Kaeser, Vorsitzender des Vorstands der Siemens AG, bekommt den Gegenwind der Gewerkschaften zu spüren.
Foto: Siemens

Der Siemens-Vorstand lädt zum Gespräch - und der Betriebsrat sagt nein. In Deutschlands größtem Elektrokonzern ist ein Machtkampf zwischen Vorstand und Arbeitnehmervertretern um die geplante Streichung von über 3.000 Stellen in Deutschland ausgebrochen. Der Betriebsrat und die IG Metall lehnen bisher jedes Gespräch ab. Fragen und Antworten zum Thema:

Siemens verbuchte 2016 einen Nettogewinn von über sechs Milliarden Euro. Wieso will das Unternehmen trotzdem so viele Stellen abbauen?

Siemens ist ein Mischkonzern mit Geschäftsfeldern von der Automatisierung bis zum Straßenbahnbau - und die Lage keineswegs überall rosig. Die Sparpläne treffen zwei Bereiche, die vom zurückgehenden Geschäft mit konventionellen Energien leben: Kraftwerke und Ausrüstung für Bergbau, Öl- und Gasindustrie. Die Siemens-Chefetage geht davon aus, dass dieses Geschäft wegen des Aufschwungs der erneuerbaren Energien weiter schrumpfen wird.

Was plant der Vorstand?

Weltweit sollen 6.900 Stellen gestrichen werden, davon etwa die Hälfte in Deutschland. Zwei Werke in Görlitz und Leipzig sollen geschlossen werden, beim Generatorenwerk in Erfurt ist ein Verkauf in der Diskussion, und auch ein Standort in Offenbach ist offenbar bedroht. In Berlin und anderen Städten sollen die Standorte erhalten bleiben, aber jeweils hunderte Stellen wegfallen.

Siemens will das Sparprogramm in Deutschland nach Möglichkeit bis 2022/23 abschließen. Es trifft laut Konzern überwiegend Ingenieure, IT-Fachkräfte und andere qualifizierte Berufe. Der Vorstand will möglichst viele Arbeitnehmer zum "freiwilligen Verzicht" auf ihren Job überreden - mittels Abfindung, Weiterqualifizierung und anderer Angebote.

Könnte Siemens die Mitarbeiter angesichts der guten Geschäftslage nicht einfach anderswo beschäftigen?

Nicht alle. Der Konzern hat in Deutschland laut Personalchefin Janina Kugel im Schnitt 1.000 offene Stellen. Doch hochqualifizierte Spezialisten mit jahrelanger Ausbildung lassen sich nicht einfach so versetzen. Ein Kraftwerksplaner mit Montageerfahrung in Nordafrika wird nicht über Nacht zum Softwareprogrammierer für Industrieanlagen.

Was wollen Betriebsrat und IG Metall erreichen?

Den Verzicht auf Standortschließungen und Stellenabbau in großem Stil. Da Siemens derzeit gut verdient, lehnen Betriebsrat und IG Metall die Kürzungspläne rundweg ab. Die Ankündigungen des Vorstands seien keine Basis für Verhandlungen, sagt die Gesamtbetriebsratsvorsitzende Birgit Steinborn.

Können die Arbeitnehmervertreter das Sparprogramm durch Blockade aufhalten?

Nein. Das Betriebsverfassungsgesetz schreibt zwar vor, dass bei Standortschließungen, Stellenabbau und anderen "Betriebsänderungen" die Arbeitnehmervertreter eingebunden werden müssen.

Verweigert der Betriebsrat Verhandlungen, kann der Arbeitgeber die sogenannte Einigungsstelle anrufen, wie der Arbeitsrechtsprofessor Gregor Thüsing von der Universität Bonn erklärt. In diesem betrieblichen Schiedsausschuss verhandeln Arbeitgeber und Betriebsrat unter dem Vorsitz eines neutralen Dritten - häufig ein Arbeitsrichter. Können sich die Parteien auch dann nicht auf einen Sozialplan verständigen, entscheidet am Ende der Vorsitzende der Einigungsstelle.

Welche Strategie verfolgen Betriebsrat und Gewerkschaft?

Da die Arbeitnehmervertreter das Abbauprogramm nicht blockieren können, wollen sie mit politischer Unterstützung öffentlichen Druck aufbauen, um Siemens-Chef Joe Kaeser zum Umdenken zu bewegen. In Thüringen, Sachsen und Berlin haben Ministerpräsidenten beziehungsweise Regierender Bürgermeister Einspruch eingelegt, SPD-Chef Martin Schulz und Fraktionschefin Andrea Nahles haben sich ebenfalls solidarisiert. Nicht eingestimmt in die Proteste haben bislang die CDU/FDP-Koalition in Nordrhein-Westfalen und die CSU-Staatsregierung in Bayern. (dpa/rs)