Analysten-Kolumne

Mail-Server-Lösungen werden zu firmenkritischen Anwendungen

26.01.2005 von Thorsten Wichmann
Die Anforderungen und Wünsche an Messaging Server sind in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Damit geht für umfassende Lösungen auch eine größere Zahlungsbereitschaft einher, was den Markt für Softwareanbieter zunehmend interessanter macht. Die Vielzahl der unterschiedlichen Anforderungen in funktionierende Lösungen umzusetzen, bereitet den Dienstleistern jedoch Probleme.

Noch vor einigen Jahren waren E-Mail-Server eine recht langweilige Angelegenheit. Auf der einen Seite gingen die E-Mails per SMTP hinein, auf der anderen per POP wieder hinaus. Mail Server waren nicht sehr viel mehr als ein Zwischenspeicher für E-Mails. Unternehmen hatten die Wahl zwischen einfachen Lösungen, die sich im Wesentlichen durch Performanz und Unterstützung unterschiedlicher Standards zum Abrufen von E-Mails unterschieden. Alternativ gab es Microsofts Exchange oder IBMs Lotus Notes, die zusätzlich gemeinsame Kalender und andere Groupware-Lösungen anboten.

Mittlerweile hat sich diese Situation vollkommen geändert. E-Mail und andere Arten von Messaging sind ein elementarer Bestandteil der Unternehmenskommunikation geworden, und der Markt für Messaging Server ist hochspannend geworden. Exchange & Co sind auch bei weitem nicht mehr die einzigen Player, wie unsere aktuelle Kurzstudie "Alternativen zu Exchange“ zeigt: Eine Reihe von Open-Source-Projekten, bekannte IT-Unternehmen aber auch kleine Nischenanbieter versuchen, sich einen Anteil an diesem Markt zu sichern.

Für diese Entwicklung sind verschiedene Trends verantwortlich. Zunächst einmal hat das Mail-Aufkommen in den Unternehmen drastisch zugenommen. An Organisation und Archivierung der E-Mails werden große Anforderungen gestellt. Eine ausgefeilte Suchfunktionalität zum Auffinden auch älterer Mails wird ebenso erwartet. Dazu kommt, dass immer mehr unternehmenskritische und rechtlich relevante Korrespondenz über E-Mail abgewickelt wird. Damit fällt E-Mail in zunehmendem Maße unter die Archivierungspflicht – bis zu zehn Jahre müssen bilanzrechtlich wichtige Mails aufgehoben werden wie Briefe und Faxe auch. Einfache Lösungen können diese Aufgaben oft nicht bewältigen. Für Anbieter umfassender Messaging-Lösungen aber stellen diese Funktionalitäten gute Möglichkeiten zur Positionierung dar.

Ein weiterer Faktor ist die technische Konvergenz unterschiedlicher Kommunikationsmittel: E-Mail, Instant Messaging oder Voice over IP werden über das gleiche Netzwerk abgewickelt. Also ist es nur nahe liegend, auch die Administration der unterschiedlichen Kommunikationsarten zusammenzufassen. Weiß der Server, dass Mitarbeiter X sich am Arbeitsplatz Y aufhält, können alle Nachrichten automatisch dorthin geleitet werden – egal, wo sich der Mitarbeiter gerade befindet. Einige Anbieter von Messaging-Lösungen versuchen, sich besonders dadurch zu profilieren.

Anforderungen an Mailserver steigen

Dann sind da noch die Faktoren Spam und Viren. Mail Server ohne Viren- und Spamschutz für ein- und ausgehende Mails entsprechen den heutigen Notwendigkeiten kaum noch. Also haben die Lösungen zunehmend entsprechende Funktionalität eingebaut oder bieten die notwendigen Schnittstellen zu Lösungen Dritter. Auch in diesem Bereich sind die Anforderungen an Mail Server gestiegen.

Zudem sind Mitarbeiter immer häufiger mit mobilen Endgeräten wie Smartphone, BlackBerry oder PDA ausgestattet, mit denen sie E-Mails lesen und auf Kalender- und Kontaktdaten zugreifen wollen. Auch diese Bedürfnisse erfordern zusätzliche Funktionalität und entsprechende Schnittstellen.

Einige kleinere Anbieter haben sich für eine Open-Source-Strategie entschieden. Sie haben ihre vormals proprietären Lösungen offen gelegt und hoffen jetzt, dass die große Gemeinde an Open-Source-Entwicklern sie bei der Weiterentwicklung ihrer Lösungen unterstützt. Das ist für beide Seiten sinnvoll: Die Anbieter können immer noch Komplettlösungen inklusive Service auf Basis der Open-Source-Lösung verkaufen. Und die Open-Source-Entwickler haben eine Alternative zu dem von ihnen meist nicht sonderlich geschätzten Microsoft Exchange. Besonders kleinere Unternehmen mit relativ moderaten Anforderungen an ihre Messaging Server können von diesem zunehmenden Wettbewerb um relativ einfache Messaging Server in Form von niedrigeren Kosten profitieren.

Bessere Qualität durch Wettbewerb

Im High-End-Bereich wird der Wettbewerb stärker über Funktionalität und Qualität der Lösungen ausgetragen. Mittlerweile sind Exchange oder Lotus Notes auch nicht mehr die einzigen nahe liegenden Lösungen. Sowohl große IT-Anbieter wie Novell, Oracle oder Sun als auch kleinere Spezialisten wie z.B. Scalix oder Stalker positionieren sich in diesem Bereich.

Für IT-Nutzer führt dieser zunehmende Wettbewerb zwar anfangs noch zu einer größeren Unübersichtlichkeit – langfristig werden sie aber von besserer Qualität zu günstigen Preisen profitieren. Und die Marktführer Microsoft und IBM werden sich ziemlich anstrengen müssen, um die gegenwärtige Marktposition zu halten.

Dr. Thorsten Wichmann ist Geschäftsführer von Berlecon Research.