Container mit Betonschutt stehen vor dem Gebäude der IT auf dem Münchener Werksgelände von MAN Nutzfahrzeuge. Bauarbeiter sanieren das schnöde vierstöckige Haus von innen. Das Unternehmen selbst muss zwar nicht saniert werden, MAN Nutzfahrzeuge liefert seit Jahren hervorragende Umsatzzahlen ab. Doch das Unternehmen wandelt sich zurzeit, was ebenso starke Folgen für die IT hat.
MAN Nutzfahrzeuge hat in Europa einen Marktanteil von 16 Prozent, weltweit bringt es der Lkw-Hersteller nur auf einen Anteil von drei Prozent. Damit kann man nicht überleben. Deswegen trimmt der MAN-Vorstandsvorsitzende Håkan Samuelsson den Konzern und die Sparte Nutzfahrzeuge auf Internationalisierung. So produziert und entwickelt die Lkw-Sparte inzwischen nicht mehr nur in Deutschland, Österreich und in der Türkei. Zurzeit entsteht ein weiteres Werk in Polen.
Verstärkt wird der Druck in Richtung Internationalisierung durch das anstehende Zusammengehen mit seinem früheren schwedischen Arbeitgeber Scania und VW Nutzfahrzeuge. Wie die neue Lkw-Gruppe aussehen wird, ist noch nicht bekannt: Voraussichtlich im September oder Oktober will sich der VW-Aufsichtsratvorsitzende und MAN-Aufsichtsratsvorsitzende Ferdinand Piëch konkret zur neuen Struktur äußern. "Sicher ist auf jeden Fall, dass es Veränderungen und Synergiepotenziale auch für die IT geben wird", sagt Gottfried Egger, CIO bei MAN Nutzfahrzeuge. "Deswegen verfolgen wir eine Doppelstrategie: auf die Fusion vorbereiten und das Core Strategy Team stärken."
Absage an Konzern-CIO
Das Strategy Team entstand, nachdem der frühere Konzern-CIO Manfred Brunn im Oktober 2006 in den Ruhestand gegangen war. Seit Januar 2007 führt die Gruppe aus den vier CIO der größten Teilkonzerne von MAN die IT: MAN-Turbo, MAN-Ferrostaal, MAN-Diesel und MAN-Nutzfahrzeuge. Den jährlich wechselnden Vorsitz dieser Gruppe hat Egger in diesem Jahr übernommen. "Wir haben keinen Konzern-CIO mehr im herkömmlichen Sinne, das finde ich sehr positiv", erläutert Egger. "Denn ein CIO gehört dahin, wo das Leben spielt. Er muss mit den Unternehmenssorgen direkt konfrontiert werden." Ein Konzern- CIO sei dagegen weit von den Auswirkungen seiner Entscheidungen entfernt. Wegen der noch nicht ganz geklärten Ausrichtung von MAN Nutzfahrzeuge im neuen Zusammenspiel mit VW Nutzfahrzeuge und Scania fährt Egger zurzeit zweigleisig: "Wir müssen im Strategy-Team einerseits noch Probleme lösen, die den MAN-Konzern betreffen. Bei unseren Entscheidungen schauen wir aber immer mit einem Auge darauf, was Scania und VW machen. Alles andere wäre fahrlässig", erklärt Egger.
Zu den weiteren wichtigen Aufgaben des Core Strategy Teams gehören: IT-Strategie und Konzepte erstellen sowie sich über die IT-Architektur des Konzerns abstimmen. Unter dem Team schuf MAN ein IT Steering Committee, in dem alle IT-Verantwortlichen der übrigen Konzerneinheiten sitzen. "Im Strategy- Team wollen wir Synergien finden, indem wir gegenseitig unsere Erfahrungen austauschen“, sagt der Leiter IT und Organisation Egger.
So verfügen beispielsweise MAN Diesel und der Essener Großanlagenbauer Ferrostaal über ein sehr gutes internationales Projekt-Management. "Davon lernen und profitieren wir bei Nutzfahrzeugen. Umgekehrt ziehen die anderen Vorteile aus unserer Größe mit 320 IT-Mitarbeitern, wenn es um Methoden und Prozesse in großen Projekten geht", sagt Egger.
IT-Projekte werden internationaler
Das schlägt sich in internationalen Projekten nieder. Dazu gehören Kernprozesse wie die Disposition, eine einheitliche Bestellabwicklung, die Erfassung aller fahrzeugrelevanten Daten sowie einer zentralen Kundenauftragsstückliste für Lkw und Bus sowie eine standardisierte Lieferantenanbindung.
Ende 2006 begann er damit, die Basis für einheitliche Prozesse zu legen. So geht die IT mittlerweile daran, die ITIL-Prozesse Configuration-, Incident- und Problem-Management in der ganzen MAN-Welt einzuführen. Außerdem startete er damit, mit Enterprise Application Integration (EAI) eine gemeinsame Datendrehscheibe für die unterschiedlichen MAN-Systeme zu schaffen. Zurzeit liege der Reifegrad dafür mit dem Trägermodul SAP XI bei rund 60 Prozent. "Es ist ein Riesenfortschritt, alle relevanten Daten immer nur in einer Quelle zu haben", sagt Egger. Außerdem steht der Aufbau eines einheitliches Berichtswesen mittels Business Intelligence kurz vor dem Abschluss.
Bisher war nicht alles standardisiert, weil die Geschäftsbereiche teilweise rechtlich eigenständige Gesellschaften sind. "Jetzt schauen wir uns die Basis-Layer an und setzen die beste Lösung als Standard, den alle übernehmen müssen", sagt Egger. "Wir müssen heute kurzfristig bei neuen Aufträgen reagieren, das geht nur mit einheitlichen Prozessen."
Er warnt allerdings davor, alles um jeden Preis zu zentralisieren und standardisieren. "Wo es wirklich Sinn macht, sollten die lokalen Prozesse bestehen bleiben." Voraussetzung dafür sei eine klare IT-Architektur, dann könnten auch einige Prozesse lokal geführt werden, wenn man sich dort an die Architekturvorgaben hält. Als grobe Faustregel gilt: Je näher man mit der IT an die Produktion rückt, desto dezentraler können die Prozesse und Systeme selbst verantwortet werden. Dagegen werden Kernprozesse auch für die Produktion für alle verbindlich standardisiert und vereinheitlicht.
Um solch eine Roadmap durchzusetzen, muss sich auch der CIO durchsetzen. Deswegen hatte Egger im November 2006 alle IT-Mitarbeiter fachlich wie disziplinarisch zusammengefasst. Vorher berichteten die Mitarbeiter aus der Türkei, Polen und Österreich nur fachlich nach München, disziplinarisch aber an die Geschäftsführer in ihren Ländern. "Das war unser erster Schritt in die Globalisierung", sagt Egger. "Man kann Dinge nur umsetzen, wenn der CIO fachlich und disziplinarisch die Fäden in der Hand hält." Denn gerade in der Anfangszeit sind nicht alle Entscheidungen populär.
Englisch statt Deutsch
Ein Projekt ist beispielsweise die Einführung der Firmensprache Englisch, an dem Egger zusammen mit der Personalabteilung zurzeit arbeitet. Dabei vermeidet das Projektteam den Fehler anderer Firmen, Englisch verbindlich für alle Dokumente und Treffen zu machen.
Diese Veränderung ist nicht ohne Risiken. "Manche Mitarbeiter verlieren dabei das Gefühl der Heimat. Wenn ein Mitarbeiter nicht mehr deutsch reden darf, sondern englisch, dann tut sich mancher schwer damit, sich noch mit MAN zu identifizieren", beschreibt Egger. Um diese Sorgen zu minimieren, biete MAN Sprachschulungen an. Bei Neueinstellungen wird auf englische Sprachkenntnisse geachtet. "Die internationale Marschrichtung ist unumkehrbar, denn Wettbewerber wie Daimler und Volvo gehen den gleichen Weg", sagt Egger.
Auch wegen solch unpopulärer Entscheidungen hatte ihn der Vorstand im März 2006 zu MAN Nutzfahrzeuge geholt. Zuvor arbeitete der Technische Mathematiker Egger elf Jahre beim kanadischen Autobauer und -zulieferer Magna als Leiter der Softwareentwicklung. Davor war der Österreicher als Leiter internationaler Projekte bei Siemens in Österreich tätig. Zudem sitzt er im inneren Lenkungskreis von MAN, in dem sich alle Führungskräfte treffen. "Mittlerweile hat das Management erkannt, dass die IT sehr viel zur raschen Veränderung des Unternehmens und zur Internationalisierung beitragen kann und ein Treiber ist", resümiert Egger.