Führung in der digitalen Transformation

Management by Internet

28.11.2014
Chefs, die vor dem digitalen Wandel zittern, zittern zu Recht, findet Managementberater Willms Buhse. Der SWR organisiert deswegen BarCamps, FedExDays und Open Spaces.

Mehr als die Hälfte aller deutschen Unternehmen erwarten von ihren IT-Abteilungen, dass sie als Innovationstreiber fungieren. So das Ergebnis einer aktuellen Studie. Um diese Forderung in der Praxis umzusetzen, muss es CIOs vor allem gelingen, andere Fachabteilungen mit ins Boot zu holen. Wie das mit Hilfe von innovativen Mitmachformaten gelingt, darum geht es in diesem Text.

Anhand konkreter Beispiele möchte ich aufzeigen, warum dieses Ins-Boot-holen am besten gelingt, wenn sich die Macher auf jene Werte besinnen, die das Internet so groß und mächtig gemacht haben: Es gilt, Vernetzung, Offenheit, Partizipation und Agilität in die Unternehmens- und Führungskultur zu integrieren.

"Management by Internet" zeigt anhand vieler Beispiele auf, wie Unternehmen mit intelligenter Vernetzung mehr Erfolg haben. Plassen Verlag; ISBN: 9783864701726; 240 Seiten; gebunden/ Schutzumschlag; 24,99 Euro (19,99 als E-Book)
Foto: doubleYUU

Diese Integration nenne ich Management by Internet. In meinem gleichnamigen Buch beschreibe ich nicht nur, warum das so wichtig ist, sondern ich erzähle auch die Geschichte von Unternehmen, denen der Wandel gelungen ist oder die sich mit Hilfe von spannenden Projekten auf den Weg gemacht haben. Zu diesen Unternehmen gehören Bosch, Otto, die Deutsche Telekom, Bayer und viele andere.

Es gibt eine ganze Reihe von Konzepten und Werkzeugen, die den Wandel im Unternehmensalltag unterstützen, mit denen sich das Management by Internet sozusagen einüben lässt. Drei davon, die ich in meiner Arbeit immer wieder mit Erfolg nutze, möchte ich hier vorstellen.

Co-Creation statt Frontalunterricht

Im Kern handelt es sich dabei um neue Formen des Informationsaustausches, sogenannte Co-Creation Formate. Sie schaffen Begeisterung, Ergebnisse und fördern die Kreativität. Power-Point und lange Meetings werden ersetzt durch Open Spaces, BarCamps und FedExDays. Im Zusammenspiel wird daraus ein Mitmachprozess, der auf Vernetzung und Agilität baut statt auf Frontalunterricht und Passivität.

Wie so ein Prozess in der Praxis aussehen kann, zeigt das Beispiel des Südwestrundfunks (SWR) mit seinen drei Hauptstandorten Stuttgart, Baden-Baden und Mainz. Allerdings möchte ich meinem Bericht drei kurze Definitionen voranstellen.

Open Space heißt wörtlich übersetzt "Offener Raum", oder "Freiraum". Und genau darum geht es bei solchen Veranstaltungen. Sie haben mit herkömmlichen Meetings oder Konferenzen nichts zu tun. Open Spaces widmen sich einem bestimmten - meist recht komplexen - Thema, aber es gibt weder eine starre Tagesordnung noch einen festgelegten Teilnehmerkreis.

Die Idee dahinter entstammt einer Erzählung ihres Erfinders, Harrison Owen, der nach einem von ihm aufwändig vorbereiteten Kongress erzählte, dass allen die Pausen am besten gefallen hätten. Ich glaube, das ist anderen auch schon oft so gegangen…

Open Spaces eignen sich für Gruppen von 20 Teilnehmern bis zu mehreren tausend. Noch etwas lockerer organisiert sind BarCamps, wobei die Grundidee gleich bleibt: Jeder kann teilnehmen, eine Einladung benötigt niemand. BarCamps werden in der Regel via Internet vorbereitet, oft gibt es ein Blog dazu oder eine Internetseite, über die sich Interessierte schon im Vorfeld vernetzen können. Die Veranstaltung wird in Text und Bild dokumentiert und die Ergebnisse in Echtzeit im Netz veröffentlicht. Ideen und neue Ansätze stehen so ganz bewusst allen zur Verfügung.

In einem Tag zum Konzept oder Prototypen

FedExDays schließlich erhielten ihren Namen von jenem Kurierdienst, der damit wirbt, innerhalb von 24 Stunden zu liefern. Darum geht es auch bei dem Veranstaltungsformat: Genau 24 Stunden nehmen sich Entwickler und Fachleute Zeit für ein bestimmtes Thema.

Das Besondere ist die Zeit: Klassischerweise beginnt ein FedExDay mittags und wird nachts kurz für eine Ruhepause unterbrochen. Nach exakt 24 Stunden wird geliefert, das heißt jede Gruppe stellt ihre Ergebnisse den anderen vor. In Deutschland nutze ich oft auch die betriebsratsfreundliche Variante von 9 bis 17 Uhr.

Der Mangementberater und Autor Willms Buhse ist spezialisiert auf neue Führungsmodelle in der digitalen Transformation.
Foto: doubleYUU

Open Spaces, BarCamps und FedExDays beim SWR

Jetzt aber zurück zum SWR. Die nach dem Westdeutschen Rundfunk zweitgrößte Rundfunkanstalt der ARD hat mit meiner Unterstützung einen Veränderungsprozess mit vielschichtigen Zielen angestoßen. Ziel war und ist es, bei der internen Zusammenarbeit neue Akzente zu setzen, mehr Kompetenz bei den Themen Internet und Soziale Medien zu erwerben und inhaltlich jünger zu werden.

Von selber passiert das nicht. Denn obwohl regelmäßig junge Mitarbeiter hinzukommen, ist das Gros der Angestellten zwischen 50 und 60 Jahre alt. Trotzdem muss sich der Sender im Inneren so aufstellen, dass er Sendeformate entwickeln und Kanäle nutzen kann, die jüngere Zuschauer erreichen.

Die Werte des Internets mit Leben füllen

Seit 2009 veranstaltet der SWR vor diesem Hintergrund zusammen mit mir Open Spaces, BarCamps und FedExDays, die Veranstaltungen sind zu einem wichtigen Element des permanenten Change-Prozesses geworden. Wir starteten mit einem ersten OpenSpace, um vernetztes Denken praktisch erlebbar zu machen. 40 Mitarbeiter versammelten sich, bearbeiteten im Rahmen einer ad hoc selbst definierten Agenda bestimmte Themen.

Ganz wichtig war dabei die Möglichkeit, auf Augenhöhe über Abteilungsgrenzen und Hierarchien hinweg miteinander zu diskutieren. Und dass es bei Open Spaces keine vorgefertigte Tagesordnung gibt, heißt natürlich nicht, auf jede Struktur zu verzichten. Sie entstand in den ersten circa anderthalb Stunden der Veranstaltung.

Die Themen wurden nicht von oben festgelegt, sondern durch die Teilnehmer gesetzt. Jeder konnte Vorschläge machen. Die Palette reichte dabei von "Corporate Identity im SWR entwickeln" über "Personalrat und Gewerkschaften als Netzwerk" bis hin zu "Gelebte Trimedialität".

Rollen werden durch Kompetenz definiert

Alle Ideen wurden auf 20 Pinnwänden notiert, die kreisförmig um die Teilnehmer herum aufgebaut waren. Jeder Themengeber stellte sich vor seine Wand. Etwa ein Dutzend Ideen waren zusammengekommen. Für vier von ihnen interessierte sich niemand. Sie wurden nicht weiterverfolgt. Dafür blieb mehr Zeit für die übrigen. Was folgte, war eine einstündige, höchst kontroverse Diskussion vor jeder Pinnwand. Ohne Regeln, ohne Agenda, ohne Hierarchien.

Wer eine Session interessant fand, nahm an ihr Teil - unabhängig davon, ob sie thematisch genau zu dem passte, was auf der eigenen Visitenkarte stand. Jeder Teilnehmer entschied selbst, ob er sich zum Beispiel an der Diskussion darüber beteiligt, wie man Wissensverluste im SWR in Hinblick auf den demografischen Wandel vermeiden kann, oder ob er lieber erarbeiten wollte, was das Thema Online in Zukunft für den SWR bedeutet. Am Ende trug ein Teilnehmer jeder Runde dem Plenum in maximal 90 Sekunden die Ergebnisse vor.

Anders als die üblichen Gähn-Meetings fördern Mitmachformate wie Open Spaces Motivation und Teambuilding.
Foto: apops - Fotolia.com

Ganz typisch für ein BarCamp oder einen Open Space: Nicht die Position in der Organisation definiert, wer Verantwortung für ein Thema übernimmt, sondern die Kompetenz. So stellte eine Volontärin in einer Session ein trimediales Recherche-Projekt vor und leitete die anschließende Diskussion, während ihre Vorgesetzten aufmerksam zuhörten. Chefs konnten so von Mitarbeitern lernen, Alte von Jungen, und Experte zu sein hing nicht von einer bestimmten Position ab.

Gerade bei Thema Trimedialität war das sehr hilfreich, denn der SWR suchte schon länger nach Strategien, wie sich Themen am besten synchron für Fernsehen, Radio und Internet aufbereiten ließen. Die Organisation tat sich etwas schwer damit, weil die drei Bereiche als unterschiedliche Sparten geführt wurden. Erst die Volontärin, die Kraft ihrer wechselnden Aufgabenfelder in allen Sparten unterwegs war, zeigte, wie es gehen kann: durch vernetzte Projektarbeit.

Zuspruch der Führungskräfte wächst

Der damit verbundene Rollenwechsel bedeutet für manche Führungskräfte ein Umdenken. Wer bisher Strategien im Alleingang oder im kleinen Kreis entwickelte und Entscheidungen am Ende nur verkündete, musste dazulernen. Dass in BarCamps und OpenSpaces nicht einfach von oben nach unten kommuniziert, sondern auf Augenhöhe diskutiert wird, ist eine Herausforderung.

Auf der anderen Seite merkten um Falle des SWR einige Führungskräfte, die bestimmte Veränderungsprozesse kommunizieren wollten, sehr schnell, wie sehr offene Veranstaltungen ihnen dabei helfen können. So bot der Finanzchef des Senders im Rahmen eines BarCamps eine Session an, in der er den Mitarbeitern erklären wollte, was er genau tut, unter welchen Zwängen er steht und vor allem warum bestimmte Sparentscheidungen so fallen wie sie fallen.

Insgesamt ist der Zuspruch der Führungskräfte von Veranstaltung zu Veranstaltung immer größer geworden. Auch das zeigt, wie sehr sich diese Formate als nützliche Instrumente im Veränderungsprozess etabliert haben.

Erfolge sind messbar

Aus allen bisherigen Veranstaltungen ergaben sich konkrete Ergebnisse und Projekte. Nach einer Diskussion über Arbeitszeitmodelle und Arbeitsorganisation zum Beispiel erging ein konkreter Auftrag von der Geschäftsleitung an eine Arbeitsgruppe, Modelle für Telearbeit und mobiles Arbeiten auszuarbeiten - inklusive der erforderlichen tarifvertraglichen Regelungen.

Der SWR ist heute in vielen Themen nachweisbar schneller und agiler als vergleichbare Organisationen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Wie sehr der SWR zum Vorreiter in Sachen digitale Transformation geworden ist, zeigt sich auch an den vielen Besuchen der Digital- und Transformationsverantwortlichen anderer öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten.

Power by Networking: In Zeiten des digitalen Wandels verleihen uns stabile Netzwerke Macht.
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Ein klassisches Problem vieler Unternehmen ist, dass ihre Kommunikationsstrategien aus einer Zeit stammen, in der es die allgegenwärtige Vernetzung noch nicht gab. Natürlich bewirkt ein BarCamp den notwendigen Wandel nicht von einem Tag auf den anderen. Aber die Atmosphäre offener Formate lässt besonders jene zu Wort kommen, die an innovativen Lösungsansätzen stark interessiert sind.

BarCamps und Open Spaces funktionieren deshalb so gut, weil sie die Dynamik eines Austausches, wie er für das Netz typisch ist - freiwillig, selbstorganisiert und hierarchiefrei - auf persönliche Begegnungen übertragen. Es beteiligen sich daran auch Menschen, die eigentlich in eher konservativ geprägten Strukturen und Kommunikationsritualen zu Hause sind.

Im Open Space merken sie plötzlich, wie viele Ideen, Potenziale und wie viel Veränderungswille in ihnen steckt. Sie bekommen Lust, sich im Anschluss an das Event dauerhaft mit anderen zu vernetzen. Neue Produkte entstehen, neue Kundenkontakte, Innovationen. Außerdem wird die Motivation deutlich verbessert.

BarCamps bringen Ideen schnell zur Reife

Was dabei passiert, ist mehr als Informationsvermittlung. Es ist der Beginn der digitalen Transformation. Was das bedeutet? Jene Werte, die das Internet so erfolgreich gemacht haben - Vernetzung, Offenheit, Partizipation und Agilität - mit klassischen unternehmerischen Erfolgsmustern zu verbinden. Und damit etwas vom Geist des Silicon Valleys in die Organisation hinein zu holen.

Sicher eigenen sich die beschriebenen Instrumente nicht für jede Art von Inhalten. Aber sie eignen sich für alle, die dem Unternehmen am Herzen liegen, die komplex und neu sind. Egal, ob es sich dabei um die Einführung einer neuen Software, neue Arbeitsplatzmodelle oder agile Entwicklungsmethoden dreht.

Wer Angst hat vor Veränderungen und vor Prozessen, die Vernetzung, Offenheit, Partizipation und Agilität befördern, der wird Probleme bekommen. Denn es sind diese Muster, die die Führungskultur in Unternehmen zukünftig bestimmen werden.

CIOs, die davor zittern, zittern zu Recht. Wer aber die Veränderungen annimmt, ja sie umarmt, wird auch im Zeitalter der Vernetzung Erfolg haben. Fangen Sie an. Vernetzen wir uns.

Das konstruktive Nutzen der Werte Vernetzung, Offenheit, Partizipation und Agilität - kurz VOPA

Willms Buhse ist CEO und Gründer von doubleYUU, dem Beratungsunternehmen spezialisiert auf die Digitale Transformation. Er bringt mit Digital Leadership die Innovationen des Silicon Valley in die Büros der deutschen Führungsetagen.Er bloggt für die Wirtschaftswoche und ist Bestseller-Autor mit Werken wie "Enterprise 2.0 - die Kunst loszulassen", "Wenn Anzugträger auf Kapuzenpullis treffen" und seinem neuesten Werk "Management by Internet - Neue Führungsmodelle für Unternehmen in der digitalen Transformation".