Energieversorger Verbund

Masterplan für die Digitalisierung

18.12.2020 von Wolfgang Herrmann
Mit einer konzernweiten Governance-Struktur stellte CIO Stefan Zierlinger die Weichen für den digitalen Wandel des österreichischen Energieversorgers. IT- und TK-Bereiche führte er zu einer schlagkräftigen Einheit zusammen.
Stefan Zierlinger, CIO der Verbund AG: "Es war wichtig, ein gemeinsames Ziel zu definieren, das allen klar ist".
Foto: Verbund AG

"Wir haben quasi währenddes Flugs das Flugzeug umgebaut." So beschreibt Stefan Zierlinger sein wichtigstes Projekt der vergangenen Jahre. Zum 1. Juli 2018 führte die Verbund AG die zentrale IT mit dem Bereich Telekommunikation zusammen. Zierlinger wurde Leiter der neuen ITK-Einheit und zugleich Konzern-CIO. Während des organisatorischen Umbaus mussten er und sein Team den sensiblen ITK-Betrieb aufrechterhalten und zugleich die Rolle der IT im digitalen Transformationsprozess neu definieren.

Der Verbund-Konzern mit seinen rund 3.000 Mitarbeitern ist Österreichs wichtigster Energieversorger und europaweit einer der größten Erzeuger von Strom aus Wasserkraft. Weil der Konzern eine für das Land kritische Infrastruktur bereitstellt, kommt dem ITK-Bereich eine besondere Rolle zu, betont Zierlinger: "Das Zusammenspiel von IT und Telekom ist eine wesent­liche Herausforderung für die Stromversorgung in Österreich."

Die Telekommunikation galt traditionell als besonders starker Bereich im Konzern. Sie betreibt beispielsweise ein eigenes Funknetz, ist zuständig für Richtfunksta­tionen, Telefonie und die komplette TK-Infrastruktur.

Für die Zusammenführung mit der IT sprachen nicht nur betriebswirtschaftliche Gründe. Einerseits wollte der Konzern mit einer Konsolidierung bisher verteilter Ressourcen Kosten senken. Andererseits, so der CIO, wüchsen IT- und TK immer enger zusammen: "Den Mitarbeitern ist es am Ende egal, ob sie es mit einem TK- oder einem IT-Thema zu tun haben. Sie wollen, dass alles funktioniert und Probleme rasch gelöst werden." Künftig sollten TK und IT verstärkt die Perspektive der internen Kunden einnehmen, berichtet Zierlinger. Für die neu geschaffene Einheit gelte das Motto: "One Face to the Customer."

Doch mit organisatorischen Maßnahmen war es nicht getan. Der CIO hatte es auch mit unterschiedlichen Mentalitäten zu tun: Hier die "Kabler" aus dem TK-Bereich, die auch mal draußen Funkmasten reparieren konnten, dort die ITler, die drinnen an modernen Rechnern sitzen. Zierlinger: "Da prallten zwei Welten aufeinander."

Change-Prozess im ITK-Bereich

Der notwendige Change-Prozess war eine Herausforderung, konzediert der gelernte Ingenieur. "Deshalb war es wichtig, ein gemeinsames Ziel zu definieren, das allen klar ist." Gemeinsam mit seinem Team entwickelte er eine "Mission und Vision" für den ITK-Bereich, die als Grundlage für das weitere Vorgehen diente. Im Kern gehe es darum, "Kundenanforderungen durch unsere Kompetenz und unser Expertenwissen bestmöglich, nachhaltig und mit State-of-the-Art-Technologien umzusetzen."

Die wichtigsten CIOs der deutschen Energiebranche
Gülnaz Önes
Gülnaz Önes ist seit November 2024 Group CIO bei RWE. Sie kommt von der Mercedes-Benz Mobility AG.
Damian Bunyan
Damian Bunyan ist seit Januar 2016 CIO der E.ON-Abspaltung Uniper in Düsseldorf. In dem Unternehmen werden die E.ON-Bereiche konventionelle Stromerzeugung, Energiehandel und Exploration & Produktion gebündelt. Von 2006 bis 2013 war Bunyan Mitglied der Geschäftsführung des E.on Business Services.
Sebastian Weber
Seit 1. Juli verantwortet Sebastian Weber als CTO bei Eon den IT-Betrieb. Er soll auch die digitalen Plattformen des Konzerns ausbauen. Zudem hat er gemeinsam mit Christopher d'Arcy in einer Doppelspitze die Geschäftsführung der IT-Tochter Eon Digital Technology GmbH übernommen. Beide berichten direkt an Digitalvorständin Victoria Ossadnik.
Martin Hölz
Ab 1. April 2020 wird Martin Hölz CIO der Energie Baden-Württemberg AG (EnBW) mit Sitz in Karlsruhe. Er löst Frank Krickel ab, der seit Juni 2017 die Position des Leiter der Funktionaleinheit Informationstechnologie (C-TI) innehatte und das Unternehmen auf eigenen Wunsch verlässt.
Philip Lübcke
Philip Lübcke ist seit September 2019 Geschäftsbereichsleiter IT der TEAG Thüringer Energie. Er berichtet an den Vorstand Personal und IT Wolfgang Rampf. Zuvor war Lübcke sechseinhalb Jahre lang CIO der Frankfurter Mainova AG. Insgesamt brint er 15 Jahre Erfahrung aus der Energiebranche mit.
Jan-Wilm Buschkamp
Jan-Wilm Buschkamp ist seit August 2019 Bereichsleiter IT der Mainova AG. Seitdem hat das Team um den CIO mit „hybrIT2023“ ein IT-Transformationsprogramm erarbeitet, um den Frankfurter Energieversorger zukunftsfähig zu machen. Ziel des Programms ist es unter anderem, mehr Wert zu generieren, das Unternehmen lean und agil aufzustellen sowie Prozesse end-to-end zu gestalten.
Oliver Herzog
Zum 1. September 2023 übernimmt Oliver Herzog den CIO-Posten bei der Thüga. Seine Vorgängerin Annette Suckert scheidet altersbedingt aus dem Unternehmen aus.
Thorsten Steiling
Thorsten Steiling ist seit Februar 2019 CIO Oerlikon Group & Managing Director Oerlikon IT Solutions AG. Er berichtet an Boris von Bieberstein, Head of Group Business Services. Zuvor war Steiling von September 2017 bis Januar 2019 CIO/Head of Corporate IT beim Automobilzulieferer Veritas AG in Gelnhausen.
Marcus Schaper
Marcus Schaper ist CIO bei der neuen RWE-Tochter Innogy. Er kommt von der Mutter RWE. Er war zuvor Head of IT bei der RWE Supply & Trading. Schaper hat an der WWU Münster Wirtschaftsinformatik studiert und war seit dem Jahr 2000 bei McKinsey. Zu RWE kam er im April 2010. Bis zum Börsengang der neuen RWE-Tochter fungierte Schaper als CIO für beide Konzernteile, seitdem ist er CIO der neuen Tochtergesellschaft. Übergreifende IT-Aufgaben in der RWE AG werden derzeit von Winfried Bröring wahrgenommen.
Beate Edlefsen
Beate Edlefsen ist seit Juni 2024 Leiterin Konzern-IT/ CIO der Stadtwerke Düsseldorf. Sie beschreibt sich selbst als strukturgebende und verbindliche Möglich-Macherin, die Transformation treibt und dabei als Managerin die Menschen und das Business fest im Blick hat.
Jan Leitermann
Seit Juni 2017 ist Jan Leitermann Group CIO beim österreichischen Öl- und Erdgaskonzern OMV in Wien. Leitermann war zuvor Managing Director und Board Member beim Beratungsunternehmen Accenture AG Schweiz.
Jürgen Skirde
Jürgen Skirde ist CIO der RAG. Gleichzeitig hat er die operativ ausgerichtete Funktion des IT-Leiters inne. Im Konzern arbeitet der Diplom-Ingenieur schon seit 1985 - zunächst zehn Jahre auf Bergwerken, seither im IT-Management. Unter anderem leitete er SAP-Einführungsprojekte, von 2004 bis 2011 war er für die Infrastruktur verantwortlich.
Jan-Hendrik Semkat
Seit November 2017 ist Jan-Hendrik Semkat neuer Bereichsleiter Innovations- & IT-Management bei Natgas. Der gebürtige Oldenburger war mehrere Jahre in den Bereichen Softwareentwicklung, Projektmanagement und Beratung in der Energiewirtschaft tätig. Zuletzt war er Geschäftsführer der SIV Utility Services.
Jörg Ochs
Jörg Ochs (51) hat am 2. September die Leitung der Informationstechnologie der Stadtwerke München (SWM) übernommen. Er berichtet an den technischen Geschäftsführer der SWM Helge-Uve Braun. Ochs ist bereits seit 2017 Geschäftsführer der SWM Infrastruktur GmbH, der SWM Infrastruktur Region GmbH und der RegioNetzMünchen GmbH. Insgesamt ist er bei der SWM seit 2003 beschäftigt, unter anderem als Senior-Manager IT-Security, Leiter IT-Security und Datacenter/Infrastruktur und als Leiter Telekommunikation bei der SWM Services GmbH.
Michael Seiferth
Im Oktober 2021 hat Michael Seiferth die Geschäftsführung der N-Ergie IT übernommen. Vorgänger Klaus Vogl hat das Unternehmen verlassen.
Sebastian Träger
Seit April 2024 leitet Sebastian Träger die IT des Energieversorgers Enercity. Er soll unter anderem das ERP-System modernisieren.

Die zentralen Anforderungen der Verbund AG mit Hauptsitz in Wien heißen Produktivität, Wachstum, Corporate Governance und Digitale Transformation, so Zierlinger. Für die ITK-Einheit leitete er daraus vier strategische Ziele ab:

Orientieren soll sich die ITK-Organisation an "strategischen Leitplanken". Zierlinger nennt die Maximierung des Business-Nutzens, Standardisierung, Offenheit der IT-Landschaft für fachspezifische Anforderungen und eine integrierte Betrachtung von Technologie und Business. Die IT soll demnach enger mit Fachabteilungen und den diversen Konzerngesellschaften zusammen­arbeiten. Mit Blick auf die kritische Infrastruktur des Energieversorgers gehören auch Hochverfügbarkeit und Ausfallsicherheit zu den Vorgaben.

Herausforderung hybride IT

In seiner strategischen Arbeit stieß Zierlinger auf eine besondere Herausforderung, die er als "hybride IT-Organisation" beschreibt. Gemeint ist damit nicht eine Kombination aus On-Premises und Cloud-Systemen, sondern die getrennten Verantwortlichkeiten für die Bereiche IT, Digitalisierung und Security. Um die Governance konzernweit in den Griff zu bekommen, entwickelte Zierlinger gemeinsam mit anderen Bereichsverantwortlichen eine mehrstufige Board-Struktur.

Die Unternehmens- und IT-Fakten der Verbund AG.
Foto: Verbund AG

Ganz oben steht das Strategy Board, in dem neben dem CIO und dem CDO auch Konzernvorstände und Geschäftsführer sitzen. Daneben arbeiten ein Digital- und IT-Board, ein Architecture Board und ein Security Board. In den Boards wurde auch der "Technologiemasterplan" erarbeitet, der wiederum auf den Masterplänen für IT, Digitalisierung und Informationssicherheit basiert.

Wichtig für das Funktionieren der Board-Struktur ist die Zusammenarbeit zwischen ITK- und Digitalbereich. Letzterer verantwortet etwa das digitale Prozessmanagement, das Thema Data Analytics sowie die Steuerung und Kontrolle von digitalen Projekten. Die IT stellt die nötige Infrastruktur und Applikationen zur Verfügung.

Digitaler Energiehandel

Digitalisierungsprojekte verfolgt der Konzern bei­spielsweise in seiner Energiehandelssparte. Im Projekt "Autotrader" entwickelten die Österreicher ein IT-gestütztes System für den Stromhandel. Damit sollen Stromhändler in der Trading-Gesellschaft entlastet werden. Als Ergänzung zum klassischen Handel nutzt das System automatisierte Prozesse und mathematische Verfahren, beispielsweise für die Direktvermarktung.

Mit "Vision" hat der Energieversorger zudem eine digitale Kundenplattform gebaut. Sie dient als Bindeglied zu Kunden aller Art, darunter Industrieunternehmen, Windparks oder Weiterverteiler. Sie erhalten damit die Möglichkeit, alle energierelevanten Prozesse auf einer Plattform abzuwickeln.

Auch in der Stromerzeugung selbst verfolgt der Konzern Digitalprojekte, beispielsweise das "Wasserkraftwerk 4.0" und das "Digitale Workforce Management." Dabei geht es häufig um Predictive Maintenance, was laut Zierlinger einen "massiven Ausbau der Sensorik" und stark wachsende Datenvolumina mit sich bringt. Auf der Haben-Seite stehe eine bedeutende Effizienzsteigerung in der Verwaltung.

Besonders am Herzen liegt dem CIO das Thema digitaler Vertrieb. Vor seiner Berufung zum Konzern-CIO war er elf Jahre lang für die IT der konzerneigenen Vertriebsgesellschaft verantwortlich und kennt die Herausforderungen: "Kunden sind die User Experience von Amazon, Google und Apple gewohnt. Das erwarten sie auch von anderen Anbietern." Weil sich die Anforderungen im Markt rasch änderten, gelte es vor allem, die Zeit bis zur Marktreife von IT-Lösungen zu verkürzen.

Als CIO sieht er sich auch in der Rolle des IT-Innovators, der intern und extern IT-Trends aufspürt und auf ihre Relevanz prüft. Auch die Förderung von IT-Innovationen im eigenen Haus steht auf seiner Agenda. In Design-Thinking-Workshops arbeitet er gemeinsam mit Kollegen an neuen Produkten. Zierlinger: "Wir folgen dem Open-Innovation-Ansatz, der im Gegensatz zum klassischen Modell der geschlossenen Innovation mehrere Iterations-Schleifen mit dem Kunden vorsieht und das daraus gewonnene Feedback in die Weiterentwicklung neuer Prototypen einfließen lässt."

Bewährungsprobe für die IT

Eine Bewährungsprobe bestand die neue ITK-Organisation nach Ausbruch der Covid-19-Pandemie. Der Energieversorger richtete einen Konzernkrisenstab ein, dem auch Zierlinger angehört. Große Teile der Belegschaft wechselten ins Home-Office. Die IT musste dafür unter anderem Firewall-Systeme anpassen und den Mitarbeitern neue Kommunikations-Tools wie "Webex" nahebringen. In großen Teilen der Verwaltung unterstützte sie den Umstieg auf digitale Signaturen, die das händische Abzeichnen von Dokumenten überflüssig machen. Dass der Betrieb auch in der Krise weitgehend störungsfrei weiterlief, habe dem Standing der IT im Konzern geholfen, sagt Zierlinger.

Seine Bilanz nach rund zweieinhalb Jahren als Konzern-CIO kann sich sehen lassen. Die gelungene Zusammenführung von IT- und TK-Bereichen und seine strategische Arbeit haben den digitalen Wandel des Energieversorgers vorangebracht. Für seine Leistungen wurde Zierlinger in Österreich zum "CIO des Jahres 2020" in der Kategorie Enterprise gekürt.