"Wir haben quasi währenddes Flugs das Flugzeug umgebaut." So beschreibt Stefan Zierlinger sein wichtigstes Projekt der vergangenen Jahre. Zum 1. Juli 2018 führte die Verbund AG die zentrale IT mit dem Bereich Telekommunikation zusammen. Zierlinger wurde Leiter der neuen ITK-Einheit und zugleich Konzern-CIO. Während des organisatorischen Umbaus mussten er und sein Team den sensiblen ITK-Betrieb aufrechterhalten und zugleich die Rolle der IT im digitalen Transformationsprozess neu definieren.
Der Verbund-Konzern mit seinen rund 3.000 Mitarbeitern ist Österreichs wichtigster Energieversorger und europaweit einer der größten Erzeuger von Strom aus Wasserkraft. Weil der Konzern eine für das Land kritische Infrastruktur bereitstellt, kommt dem ITK-Bereich eine besondere Rolle zu, betont Zierlinger: "Das Zusammenspiel von IT und Telekom ist eine wesentliche Herausforderung für die Stromversorgung in Österreich."
Die Telekommunikation galt traditionell als besonders starker Bereich im Konzern. Sie betreibt beispielsweise ein eigenes Funknetz, ist zuständig für Richtfunkstationen, Telefonie und die komplette TK-Infrastruktur.
Für die Zusammenführung mit der IT sprachen nicht nur betriebswirtschaftliche Gründe. Einerseits wollte der Konzern mit einer Konsolidierung bisher verteilter Ressourcen Kosten senken. Andererseits, so der CIO, wüchsen IT- und TK immer enger zusammen: "Den Mitarbeitern ist es am Ende egal, ob sie es mit einem TK- oder einem IT-Thema zu tun haben. Sie wollen, dass alles funktioniert und Probleme rasch gelöst werden." Künftig sollten TK und IT verstärkt die Perspektive der internen Kunden einnehmen, berichtet Zierlinger. Für die neu geschaffene Einheit gelte das Motto: "One Face to the Customer."
Doch mit organisatorischen Maßnahmen war es nicht getan. Der CIO hatte es auch mit unterschiedlichen Mentalitäten zu tun: Hier die "Kabler" aus dem TK-Bereich, die auch mal draußen Funkmasten reparieren konnten, dort die ITler, die drinnen an modernen Rechnern sitzen. Zierlinger: "Da prallten zwei Welten aufeinander."
Change-Prozess im ITK-Bereich
Der notwendige Change-Prozess war eine Herausforderung, konzediert der gelernte Ingenieur. "Deshalb war es wichtig, ein gemeinsames Ziel zu definieren, das allen klar ist." Gemeinsam mit seinem Team entwickelte er eine "Mission und Vision" für den ITK-Bereich, die als Grundlage für das weitere Vorgehen diente. Im Kern gehe es darum, "Kundenanforderungen durch unsere Kompetenz und unser Expertenwissen bestmöglich, nachhaltig und mit State-of-the-Art-Technologien umzusetzen."
Die zentralen Anforderungen der Verbund AG mit Hauptsitz in Wien heißen Produktivität, Wachstum, Corporate Governance und Digitale Transformation, so Zierlinger. Für die ITK-Einheit leitete er daraus vier strategische Ziele ab:
Digitale Transformation: Die IT soll einen wertschaffenden Einsatz technischer Innovationen ermöglichen.
Corporate Governance: Die IT muss den Betrieb wichtiger Dienste sicherstellen (kritische Infrastruktur).
Produktivität: Die Kostenstrukturen in der IT müssen optimiert werden.
Wachstum: Alle Anforderungen an die IT sind effektiv und zeitnah umzusetzen.
Orientieren soll sich die ITK-Organisation an "strategischen Leitplanken". Zierlinger nennt die Maximierung des Business-Nutzens, Standardisierung, Offenheit der IT-Landschaft für fachspezifische Anforderungen und eine integrierte Betrachtung von Technologie und Business. Die IT soll demnach enger mit Fachabteilungen und den diversen Konzerngesellschaften zusammenarbeiten. Mit Blick auf die kritische Infrastruktur des Energieversorgers gehören auch Hochverfügbarkeit und Ausfallsicherheit zu den Vorgaben.
Herausforderung hybride IT
In seiner strategischen Arbeit stieß Zierlinger auf eine besondere Herausforderung, die er als "hybride IT-Organisation" beschreibt. Gemeint ist damit nicht eine Kombination aus On-Premises und Cloud-Systemen, sondern die getrennten Verantwortlichkeiten für die Bereiche IT, Digitalisierung und Security. Um die Governance konzernweit in den Griff zu bekommen, entwickelte Zierlinger gemeinsam mit anderen Bereichsverantwortlichen eine mehrstufige Board-Struktur.
Ganz oben steht das Strategy Board, in dem neben dem CIO und dem CDO auch Konzernvorstände und Geschäftsführer sitzen. Daneben arbeiten ein Digital- und IT-Board, ein Architecture Board und ein Security Board. In den Boards wurde auch der "Technologiemasterplan" erarbeitet, der wiederum auf den Masterplänen für IT, Digitalisierung und Informationssicherheit basiert.
Wichtig für das Funktionieren der Board-Struktur ist die Zusammenarbeit zwischen ITK- und Digitalbereich. Letzterer verantwortet etwa das digitale Prozessmanagement, das Thema Data Analytics sowie die Steuerung und Kontrolle von digitalen Projekten. Die IT stellt die nötige Infrastruktur und Applikationen zur Verfügung.
Digitaler Energiehandel
Digitalisierungsprojekte verfolgt der Konzern beispielsweise in seiner Energiehandelssparte. Im Projekt "Autotrader" entwickelten die Österreicher ein IT-gestütztes System für den Stromhandel. Damit sollen Stromhändler in der Trading-Gesellschaft entlastet werden. Als Ergänzung zum klassischen Handel nutzt das System automatisierte Prozesse und mathematische Verfahren, beispielsweise für die Direktvermarktung.
Mit "Vision" hat der Energieversorger zudem eine digitale Kundenplattform gebaut. Sie dient als Bindeglied zu Kunden aller Art, darunter Industrieunternehmen, Windparks oder Weiterverteiler. Sie erhalten damit die Möglichkeit, alle energierelevanten Prozesse auf einer Plattform abzuwickeln.
Auch in der Stromerzeugung selbst verfolgt der Konzern Digitalprojekte, beispielsweise das "Wasserkraftwerk 4.0" und das "Digitale Workforce Management." Dabei geht es häufig um Predictive Maintenance, was laut Zierlinger einen "massiven Ausbau der Sensorik" und stark wachsende Datenvolumina mit sich bringt. Auf der Haben-Seite stehe eine bedeutende Effizienzsteigerung in der Verwaltung.
Besonders am Herzen liegt dem CIO das Thema digitaler Vertrieb. Vor seiner Berufung zum Konzern-CIO war er elf Jahre lang für die IT der konzerneigenen Vertriebsgesellschaft verantwortlich und kennt die Herausforderungen: "Kunden sind die User Experience von Amazon, Google und Apple gewohnt. Das erwarten sie auch von anderen Anbietern." Weil sich die Anforderungen im Markt rasch änderten, gelte es vor allem, die Zeit bis zur Marktreife von IT-Lösungen zu verkürzen.
Als CIO sieht er sich auch in der Rolle des IT-Innovators, der intern und extern IT-Trends aufspürt und auf ihre Relevanz prüft. Auch die Förderung von IT-Innovationen im eigenen Haus steht auf seiner Agenda. In Design-Thinking-Workshops arbeitet er gemeinsam mit Kollegen an neuen Produkten. Zierlinger: "Wir folgen dem Open-Innovation-Ansatz, der im Gegensatz zum klassischen Modell der geschlossenen Innovation mehrere Iterations-Schleifen mit dem Kunden vorsieht und das daraus gewonnene Feedback in die Weiterentwicklung neuer Prototypen einfließen lässt."
Bewährungsprobe für die IT
Eine Bewährungsprobe bestand die neue ITK-Organisation nach Ausbruch der Covid-19-Pandemie. Der Energieversorger richtete einen Konzernkrisenstab ein, dem auch Zierlinger angehört. Große Teile der Belegschaft wechselten ins Home-Office. Die IT musste dafür unter anderem Firewall-Systeme anpassen und den Mitarbeitern neue Kommunikations-Tools wie "Webex" nahebringen. In großen Teilen der Verwaltung unterstützte sie den Umstieg auf digitale Signaturen, die das händische Abzeichnen von Dokumenten überflüssig machen. Dass der Betrieb auch in der Krise weitgehend störungsfrei weiterlief, habe dem Standing der IT im Konzern geholfen, sagt Zierlinger.
Seine Bilanz nach rund zweieinhalb Jahren als Konzern-CIO kann sich sehen lassen. Die gelungene Zusammenführung von IT- und TK-Bereichen und seine strategische Arbeit haben den digitalen Wandel des Energieversorgers vorangebracht. Für seine Leistungen wurde Zierlinger in Österreich zum "CIO des Jahres 2020" in der Kategorie Enterprise gekürt.