1978 hatten viele noch ihren Spaß beim Gedanken an "Die Roboter". Die Single von Kraftwerk verkaufte sich damals bestens. Und zu mit monotonen Beats unterlegten Zeilen wie "Wir sind auf alles programmiert, und was du willst wird ausgeführt" ließ sich ausgelassen tanzen. Heute können Roboter noch sehr viel mehr als damals, und neben Hoffnungen lösen sie Ängste aus. In entwickelten Gesellschaften wie der hiesigen insbesondere jene einer neuen Massenarbeitslosigkeit. Weil Roboter und Automatisierungssoftware viele Tätigkeiten ausüben können, für die es noch auskömmlichen Lohn gibt.
Historische Einordnung statt Schönrechnerei
Studien über das Ausmaß der zu erwartenden Entwicklung gibt es inzwischen viele. Zum skizzierten Problem malen sie die Zukunft zum Teil in schwarzen, zum Teil in weißen Farben - weil neue Technologien durchaus auch neue Jobs generieren können. Die jetzt vorliegende Studie des McKinsey Global Institute (MGI) "A Future that Works: Automation, Employment, and Productivity" verwendet eher helle Töne. Wenn man sie betrachtet, findet man, dass sie sehr wohl passen könnten.
Die beruhigende Wirkung der McKinsey-Studie auf die aufgeregte öffentliche Debatte ergibt sich dabei nicht aus Schönrechnerei. Selbstverständlich präsentiert das Institut eigene Zahlen, und die sind - so viel vorneweg - massiv. MGI geht von gewaltigen Auswirkungen aus, weil das Potenzial der Automatisierung so immens ist. Es wird demnach zum Teil enorme Steigerungen der Produktivität geben, aber diese werden mit ebenfalls hohen Verlusten an Arbeitsplätzen einhergehen.
Auch CEOs von Automatisierung betroffen
McKinsey äußert sich dahingehend ziemlich illusionslos, zumal Automatisierung sogar CEOs von manchen Tätigkeiten entlasten könne und eben nicht nur Fabrikarbeiter. Die Analysten sagen auch, dass es im Zusammenspiel von Mensch und Maschine auch neue Stellen geben wird. Sie legen sich aber nicht definitiv darauf fest, dass dieser positive Effekt den negativen netto übertreffen wird. In anderen Untersuchungen wurde derlei schon vorgerechnet.
Roboter brechen nicht wie eine Naturgewalt ins Leben ein
Nein, der Beruhigungseffekt dieser Studie resultiert aus den Einordnungen der Autoren. Da ist zum einen der Hinweis auf konkrete Einflussfaktoren, die signalisieren, dass mit den Robotern keine Naturgewalt über den Planeten hereinbricht. Mitzudenken sind etwa stets politische Gestaltungsmöglichkeiten. Und da ist zum anderen die zeitliche und historische Einordnung.
Ja, in manchen Branchen mit besonders schnellen und hohen Nutzenszenarien wird es auch mit der Automatisierung bald rasant vorwärts gehen, so das MGI. Alles in allem wird aber eine Entwicklung beschrieben, die Jahrzehnte in Anspruch nimmt und Möglichkeiten der Anpassung in Aus- und Weiterbildung bietet. Konkret: Das Institut schätzt, dass rund die Hälfte der weltweiten Arbeitsaktivitäten potenziell automatisiert werden können.
Basis sind Daten aus den USA
Ein Befund, der Industriepolitiker erst einmal zusammenzucken lässt. Bis der beschriebene Effekt allerdings eingetreten ist, dürfte es 2055 werden. So sieht laut McKinsey jedenfalls die plausibelste Prognose des Ablaufs aus. Weil man es genau nicht wissen kann, werden in der Studie auch Szenarien durchgespielt, in denen alles 20 Jahre schneller oder langsamer passiert.
Bevor steht in jedem Fall Strukturwandel der massiven Sorte. Man wird diesen gewiss dann und wann als singulär bezeichnen. Fraglich ist indes, ob diese Beschreibung einem historischen Vergleich standhält. Das MGI stellt zwar fest, dass Roboter und Automatisierung in den kommenden Jahrzehnten wohl eine Vielzahl an bisher gekannten Arbeitsaktivitäten überflüssig machen werden.
Vergleiche zu Entwicklungen in Landwirtschaft und Industrie
Das klingt dramatisch, ist aber nicht zwingend einzigartig. In den USA beispielsweise, daran erinnert die Studie, fiel der volkswirtschaftliche Anteil der Landarbeit zwischen 1900 und 2000 von 40 auf 2 Prozent; jener der Industriearbeit rutschte zwischen 1950 und 2010 von 25 auf 10 Prozent.
"In beiden Fällen wurden neue Aktivitäten und Jobs geschaffen, die die verschwundenen ersetzten", heißt es in der Studie. "Und das obwohl es während des Auftretens dieser Veränderungen unmöglich vorauszusagen war, was diese neuen Aktivitäten und Jobs sein würden." Schwierige Phasen mit steigender Arbeitslosigkeit, so möchte man ergänzen, gab es selbstredend während der beschriebenen Umbrüche. Weil sie aber viele Jahre in Anspruch nahmen, konnten sich die betroffenen Gesellschaften anpassen.
Schwerer Arbeitskräftemangel ohne Automatisierung
So gesehen könnte das auch bei der "Automatisierungsrevolution" möglich sein, ohne dass Horrorgemälde gemalt werden müssen. Angesichts des Trends zur demographischen Alterung nicht nur in entwickelten Ländern rechnet McKinsey nicht mit Massenarbeitslosigkeit. Wahrscheinlicher sei ein gravierender Mangel an Arbeitskräften ohne die Veränderungen durch Automatisierung.
5 Prozent der Jobs bestehen laut MGI aus Aktivitäten, die zu 100 Prozent automatisierbar sind. Ungefähr 60 Prozent der Jobs seien zu mindestens 30 Prozent automatisierbar. Das Spektrum reicht von Tätigkeiten wie dem Sortieren von landwirtschaftlichen Produkten auf der einen bis hin zu Psychiatern und Parlamentariern auf der anderen Seite.
Methodik der Studie
An dieser Stelle muss kurz skizziert werden, wie das Institut auf seine Zahlen gekommen ist. Basis der Studie sind zunächst einmal offizielle Statistiken der US-Arbeitsmarktbehörde. Auf dieser Grundlage wurden mehr als 800 Jobprofile in 2000 Arbeitsaktivitäten zerlegt. Diese wiederum wurden anhand von 18 Leistungsmerkmalen auf ihre Automatisierbarkeit getestet.
Ein Beispiel dafür: Zum Job eines Verkäufers zählt eine Aktivität wie das Begrüßen von Kunden. Dieser Aktivität sind Anforderungen zuzuordnen wie etwa kognitive Fähigkeiten, das Verarbeiten gesprochener Sprache, physische Fähigkeiten wie etwa beim Handschlag oder soziale und emotionale Fertigkeiten.
Aufbauend auf dieser Methode hat das Institut analysiert, aggregiert und den Blick geweitet. Allgemein gibt es noch einmal eine Unterteilung in sieben Kategorien, von denen drei besonders geeignet für Automatisierung sind: das Sammeln von Daten, das Prozessieren von Daten und vor allem vorhersehbare körperliche Tätigkeiten. Weniger geeignet erscheinen unvorhersehbare körperliche Tätigkeiten, Interaktionen, Expertise und - mit nur 9 Prozent am Ende des Skala - Management.
Die Folgen für die USA und Europa
Basierend auf diesem Schema hält McKinsey für die USA 51 Prozent der geleisteten Arbeitsstunden für automatisierbar, was 2,7 Billionen US-Dollar an Löhnen und Gehältern entspricht. Die auf der Detailanalyse für die Vereinigten Staaten beruhenden Daten überträgt McKinsey in einem nächsten Schritt auf andere Länder in aller Welt. Global liegt das Potenzial für Automatisierung demnach bei 1,2 Milliarden Vollzeitstellenäquivalenten und 14,6 Billionen Dollar an Löhnen und Gehältern.
Die Hälfte dieses Potenzials entfällt laut Studie auf vier Länder: China, Indien, Japan und die USA. Aber auch in Europa sei das Potenzial groß. MGI beziffert es für die fünf größten Volkswirtschaften - Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien und Großbritannien - auf 62 Millionen Vollzeitstellenäquivalente und 1,9 Billionen US-Dollar an Löhnen und Gehältern.
Alles in allem schwankt das Potenzial in einzelnen Ländern um die 50 Prozent. In Japan ist es mit 56 Prozent besonders groß, in den USA mit 46 Prozent eher niedrig. Für die fünf genannten europäischen Länder liegt es bei 47 Prozent. Der Blick auf eine Weltkarte des Automatisierungspotenzials von McKinsey verrät, dass es in Deutschland eher einen Tick größer sein dürfte, während es in Frankreich und Großbritannien unter diesem Durchschnittswert liegt. In Europa ist das Potenzial offenbar in Österreich am größten und auch in Italien über 50 Prozent.
5 entschleunigende Faktoren
Bis zur Realisierung dieses Potenzials wird es nach MGI-Einschätzung aus fünf Gründen noch Jahrzehnte dauern:
1. Technische Verfügbarkeit
Auch wenn neben Industrierobotern Automatisierung zum Beispiel bei Optimierung und Planung bereits problemlos möglich ist, wird die Entwicklung von Lösungen in anderen Bereichen noch Zeit benötigen. Ein Schlüsselbereich ist laut Studie das Verstehen von Sprache - Fortschritte an dieser Stelle könnten in besonderer Weise Potenziale freisetzen. Geduld werde auch bei Lösung gefragt sein, die verschiedenen Funktionalitäten integrieren.
2. Entwicklungs- und Einsatzkosten
Sehr hoch zu veranschlagen sind die Entwicklungskosten, wenn es um Hardware geht - also etwa dann, wenn Kameras und Sensoren gebraucht werden oder Mobilitätslösungen bei beweglichen Maschinen. Auch die Investitionskosten für die Anwender werden deshalb hoch bleiben, gerade im Vergleich zu den Lohnkosten. Bei reinen Softwarelösungen haben diese beiden zwar weniger Gewicht, relevant sind sie dennoch.
3. Arbeitsmarktdynamiken
Ob Automatisierung sich lohnt, hängt naturgemäß immer auch vom Arbeitsmarkt ab. Ein MGI-Beispiel: Die Tätigkeit eines Kochs sei zu 75 Prozent automatisierbar; aber in den USA sei der Stundenlohn von Köchen mit durchschnittlich 11 Euro so gering, dass sich Automatisierung schlicht nicht rechnet. In der westeuropäischen Industrie mit ihren relativ hohen Löhnen dürfte die Entwicklung nach dieser Logik eher schnell beginnen. Aber auch im Prozess sind Dynamiken zu berücksichtigen. Wenn Automatisierung Menschen arbeitslos macht, drängen diese womöglich in niedriger bezahlte Jobs, was dort das Arbeitskräfteangebot ausweitet. Oder sie bilden sich für längere Zeit fort, was wiederum mit einer Verknappung an Arbeitskräften einhergehen dürfte.
4. Ökonomischer Nutzen
Wenn Automatisierung mit Performancegewinnen einhergeht, wird sie naturgemäß attraktiver. Solche Effekte können in gesteigerten Profiten, höherem Ausstoß, höherer Produktivität, verbesserter Sicherheit oder höherer Qualität liegen. Automatisiertes Fahren dürfte beispielsweise die Sicherheit im Straßenverkehr ebenso verbessern wie den Benzinverbrauch.
5. Politische und soziale Akzeptanz
Politische Entscheidungen mit Blick auf die Wähler können die Entwicklung bremsen. Das gilt auch für betroffene Mitarbeiter, selbst dann, wenn sie keinen offenen Widerstand üben. Laut MGI kann es auch zum Problem werden, wenn beispielsweise Klinikpersonal sich auf das Zusammenspiel mit Robotern einstellen soll und sich in dieser neuen Welt unwohl fühlt.
Tipps für die Anwender
Unternehmen sollten bewusst mit den Folgen einer Freisetzung von Arbeit durch Automatisierung umgehen, rät McKinsey - im eigenen Interesse und als gute Staatsbürger. Das Ziel sollte sein, die Mitarbeiter fit für die Arbeit im automatisierten Unternehmen zu machen. Hier seien Umschulungs- und Qualifizierungsprogramme gefragt, außerdem müsse man organisatorisch für die neue Welt gerüstet sein.
Das MGI rechnet ferner damit, dass Mittelständler zu den Verlierern der Entwicklung zählen könnten. Denn verbesserte Management-Tools machten sehr viel größere Unternehmen vorstellbar, als heute bekannt - mit dem Risiko allerdings, dass mögliche Fehler sich umso fataler auswirken könnten. Gleichzeitig erlaube die neue Technologie es auch sehr kleinen Unternehmen, Projekte zu meistern, die bis jetzt nicht darstellbar waren.
"In allen Sektoren könnte Automatisierung den Wettbewerb verschärfen, Firmen die Ausdehnung auf neue Felder jenseits ihres Kerngeschäfts erlauben und eine größere Spaltung zwischen technologischen Führern und Nachzüglern herbeiführen", schlussfolgern die Studienautoren.