Prothesen, Implantate, Tele- und regenerative Medizin sowie E-Health, die Integration von Informations- und Telekommunikationtechnologien ins Gesundheitswesen sind allesamt Einsatzgebiete, die ohne moderne Mikroelektronik gar nicht denkbar wären. Selbst in Rezessionszeiten zeigt sich die Branche "krisenresistenter als andere Industrien", wie Sven Behrens, Geschäftsführer des Fachverbandes Spectaris, erklärt.
Eigentlich eine traumhafte Ausgangsposition für jeden Informatiker in der Klinik-IT - sollte man meinen. Aber die Wirklichkeit sieht allerdings oft anders aus: Die Krankenhäuser in Deutschland entwickeln sich zu Orten, an denen die Fachbereiche, der Einkauf und die Medizintechnik ein Leben ohne Informationstechnologie führen - oft zum Schaden der Infrastrukturen und auf Kosten der IT-Sicherheit. "Bei uns ist die Medizintechnik derzeit noch kein Teil der IT", berichtet beispielsweise Uwe Gansert, Mediziner und CIO am städtischen Klinikum in Ludwigshafen. "Wir haben zwei Fachbereiche und müssen uns miteinander abstimmen."
Beschaffung jenseits der IT
Ähnliches berichtet Gunther Nolte, CIO der Vivantes-Klinikkette in Berlin: "Auch bei uns sind IT und Medizintechnikgetrennte Bereiche. " Im Vergleich zu früher aber hat sich in Berlin die Situation immerhin gebessert. So beklagte sich der Vivantes-CIO noch vor einem Jahr im CIO-Magazin, dass der Einkauf medizinischen Geräts in der Regel ohne Konsultation der IT-Abteilung stattfand. Das führte dazu, dass Kompatibilitätsprobleme mit dem internen WLAN oder Sicherheitslücken fast zwangsläufig auftraten. Inzwischen gibt es in der Abteilung von Gunter Nolte immerhin einen "Leiharbeiter" aus dem Bereich Medizintechnik, der mit am Tisch sitzt, wenn Medizintechnikprojekte besprochen werden. Zu dem sorgten regelmäßige Meetings dafür, dass man miteinander über mittelfristige Themen rede.
"Die Situation hat sich gegenüber früher deutlich verbessert", freut sich Nolte und sieht dennoch erhebliches Verbesserungspotenzial. Noch immer neige die Medizintechnik dazu, Geräte anzuschaffen, die in die Infrastruktur der Klinik- IT passen müssten, das aber oft genug nicht tun. Zwar gebe es Vereinbarungen und Spezifikationen für die Anschaffung. "Aber da prescht der Einkauf schon mal vor, ohne dass die IT konsultiert wurde", klagt Nolte.Insgesamt aber ist der CIO zufrieden mit der Situation: "Für die großen Abteilungen wie Kardiologie, Radiologie oder Gastroenterologie haben wir das mittlerweile gut organisiert", bilanziert Nolte.
Beschaffung jenseits der IT kennt auch Uwe Gansert aus Ludwigshafen: "Medizintechnische Geräte werden vom Einkauf angeschafft, nicht von der IT", heißt es bei ihm kurz und bündig. Ein Problem dabei ist für ihn vor allem die mangelnde Absprache der Abteilungen. "Jeder Nutzer hat seine Wünsche, die IT hat ihre und die Medizintechnik wiederum eigene Vorstellungen." Das unter ein Hut zu kriegen sei in dezentral organisierten Einheiten fast unmöglich. Auf jeden Fall aber, so Gansert, mache das mehr Arbeit. Allerdings sind sich beide IT-Fachleute darüber einig, dass eine Zentralisierung unter dem Dach der IT nur bedingt Sinn macht. "Es gibt ja auch Medizintechnik ohne IT" sagt Gunther Nolte, elektronische Geräte für Diagnose und Therapie, die nicht in die IT-Infrastrukturen eingebettet sind. "Da müssen wir auch nichts zu beitragen."
Informationsmanagement als Kernaufgabe
Dort aber, wo die Mediziner und das Unternehmen nach einer technologischen Lösung verlangen, die einen hohen Integrationsgrad von Medizingerätetechnik, IT und Facility- Management erfordert, sieht sich IT-Manager Nolte als Generalunternehmer mit "Gesamtlösungskompetenz". "Der Mediziner soll nicht zum Facility-Management gehen, um Kabel zu bestellen, danach zur Medizingerätetechnik, die die Geräte beschafft, und dann zur IT, die schließlich alles einrichtet."
So sieht Nolte die Kompetenz seiner IT-Abteilung eher auf den klassischen Gebieten Systemtechnik, Security, Service- Management und Administration. Erst an fünfter Stelle in der Aufzählung der Aufgaben seiner Abteilung steht die Begleitung "medizinisch-pflegerischer Verfahren aus dem medizinischen Leistungsprozess".
Da ist es nicht mehr weit zur Ansicht von Uwe Gansert:
"Ich sehe für die klassische IT mittelfristig im Krankenhaus keine Zukunft." Angesichts der Tatsache, dass IT-Infrastruktur immer mehr zur Commodity wird, sei es nachrangig, wo die IT geführt werde, im Unternehmen oder außerhalb. "Da geht es einfach nur noch darum, wer es besser und günstiger
kann", so der IT-Leiter aus Ludwigshafen.
Er sieht wie Nolte stattdessen als eine der Kernaufgaben der IT das Informations-Management. Im Vivantes-Klinikum in Berlin hat Nolte dafür ein zentrales Data Warehouse auf SAP-Basis eingerichtet, das alle administrativen und medizinischen Bereiche beliefern und für ihre Reports auch nutzen. Auch Uwe Gansert hat in seiner Klinik schon kurz vor der Jahrtausendwende ein Krankenhaus-Informationssystem etabliert. "Damit haben wir sowohl auf Verwaltungsseite als auch auf der medizinischen ein einheitlich strukuriertes System, das auf allen Arbeitsplätzen vorhanden ist und wo alle Informationen reinlaufen.“
Das Beherrschen der Datenflut in den Krankenhäusern ist also ein durchaus erfolgskritischer Faktor, weshalb die IT nicht mehr nur als Hobby technikbegeisterter Ärzte gelten darf. "Im Fokus der Geschäftsleitung liegt natürlich das medizinische Geschehen", weiß Gansert. "Ich glaube aber, dass das Informations-Management häufig noch nicht den Status hat, strategisch wichtig für den Unternehmenserfolg zu sein" - ein Widerspruch angesichts des von allen Seiten eingeräumten Bedeutungszuwachses der Gesundheits-IT.
IT dient nur der Unterstützung
"Es ist ein Tauziehen mit vielen Enden, wenn man sich um das Budget streitet", meint Gansert, "und oft gewinnt die Medizin, weil das der originäre Auftrag der Gesundheitsversorgung ist." Solange man aber IT nur als Unterstützung begreife und nicht als Teil des Hauptprozesses, werde sich dieser Zustand nicht ändern.
Dieser Artikel stammt aus der Verlegerbeilage Health-IT des CIO-Magazins.
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