Neue Technologien hatten schon immer das Potenzial, Verhaltensänderungen zu provozieren. Gerade die IT-Abteilungen von Unternehmen können ein Lied davon singen. Nicht allein, dass sich die Benutzer an den Fortschritt anpassen mussten. Auch die IT selbst war immer wieder gezwungen, sich den von ihr erzeugten Veränderungen zu unterwerfen.
Die ersten Computer waren exotische Maschinen, die von einer Gruppe hoch spezialisierter Techniker programmiert, gewartet und bedient wurden. Wollte man etwas von einem Computer, so hatte man sich an die IT zu wenden. Das Ergebnis war in der Regel ein Stapel grün-weiß-gestreiftes Endlospapier mit Löchern an den Rändern. Für die Interpretation der Ergebnisse war es meist hilfreich, einen guten Kontakt zur IT zu pflegen.
Irgendwann durfte dann "das Business" auch in direkten Kontakt mit dem Computer treten: Terminals erlaubten es, Eingaben selbst vorzunehmen und die Ergebnisse unmittelbar angezeigt zu bekommen. Der Computer wurde für den gemeinen Benutzer im wahrsten Sinne des Wortes "begreifbar". Verständnis und Erwartungen stiegen. Verwaltung und etwaige Veränderungen der Systemumgebung blieben aber dem Kreis der IT-Experten vorbehalten.
Der ursprüngliche Kontrollverlust
Die Verbreitung von PCs leitete dann die erste echte Revolution ein. Die Benutzer hatten plötzlich die Hoheit über ihre blechernen Rechendiener. Diskettenlaufwerke erlaubten es, eigene Programme zu installieren. Die IT-Abteilung hatte die Kontrolle über den Zugang zu den Rechnern verloren. Und sie musste erstmals nicht mehr nur ihr eigenes Fehlverhalten ausbügeln, sondern auch noch das ihrer Benutzer.
In der Konsequenz benötigte die IT-Organisation "Vor-Ort-Präsenz", und sie stand vor der Herausforderung, die Benutzer zu verantwortungsbewussten Partnern zu entwickeln. Keine einfache Umstellung!
An Schulen und Universitäten gehörte Informatik ab den 80er Jahren zum Pflichtprogramm einer wirtschaftsnahen Ausbildung. Auf diese Weise brachte eine wachsende Zahl an Berufsanfängern in den Fachabteilugen solides informationstechnisches Rüstzeug mit. Und dann wurden die PCs auch noch so billig, dass private Haushalte sie sich leisten konnten. Spätestens dann musste die IT den nächsten herben Verlust einstecken: Das Kompetenzmonopol ging verloren. Engagierte Benutzer lernten, auch ohne Hilfe der IT-Abteilung mit den PCs umzugehen. Auf eigene Faust entdeckten sie die Vielfalt der Möglichkeiten, die den immer stärker standardisierten Geräten innewohnten.
Simplizität in der Benutzung wurde vor allem durch Apple, Windows und das World Wide Web zum Prinzip erhoben. Damit erwachten neue Ansprüche an die berufsseitig zur Verfügung gestellten Verfahren. Viele Fachabteilungen emanzipierten sich gegenüber den IT-Abteilungen. Sie verstanden genug von der Materie, um klare Erwartungen an die Verfahren und die Unterstützung zu stellen. Sie mutierten vom Bittsteller zum Kunden und Auftraggeber. Wurden ihre Erwartungen nicht erfüllt, kauften sie woanders ein. Und oft war es nur ein kleiner Schritt, bis sie eigene Schatten-IT-Abteilungen hochzogen oder Services direkt einkauften.
Pizza-Service oder eigene Küche?
Mittlerweile ist IT allgegenwärtig: Smartphones verfügen über Rechentechnik, die man sich vor Jahren für Hochleistungs-Workstations gewünscht hätte. Selbst Kaffeemaschinen, Uhren, TV und Autos verweigern ohne Prozessoren ihren Dienst und sind zunehmend über das "Internet der Dinge" miteinander vernetzt - häufig ohne jegliches Zutun der firmeneigenen IT-Abteilung.
Bei Bedarf soll aber selbstverständlich alles auch in der Firmenumgebung zur Verfügung stehen. Und wehe, es funktioniert nicht. Dann ist die IT-Abteilung unfähig, veraltet, unkooperativ oder halt einfach nur schuld.
Und nun auch noch die Cloud. Alles wird fertig über das Internet an den Kunden geliefert. Braucht man etwas, geht man auf einen virtuellen Marktplatz und lädt sich einfach eine App herunter. Und was im Privaten funktioniert, sollte doch wohl erst recht im Business-Bereich möglich sein! Personalabrechnung, Rechnungswesen, Office oder E-Mail - alles lässt sich über die Cloud so einfach buchen wie Pizza mit Pilzen, Salami und Oliven. Oder etwa nicht?
Ganz natürlich drängt sich dann auch die Frage auf, wofür man dann noch die Küche und den Koch - respektive die IT - braucht. Die Antwort: Den Pizzaservice und das Fastfood-Restaurant interessiert weder Ihre Gesundheit, noch erhalten Sie dort ein individuelles Menü noch entsprechen Öffnungszeiten Ihren speziellen Bedürfnissen.
Wenn Sie ein Geschäftsmodell haben, in dem die IT dazu beiträgt, Ihr Alleinstellungsmerkmal zu unterstützen, dann brauchen Sie auch eine IT, die Ihnen dieses Spezialmenü kocht. Und ist die Küche erst mal wegrationalisiert, rennen Sie für jeden Kaffee und jedes belegte Brot zum Coffee-Shop oder zum Bäcker - zu Preisen, die Sie selten erfreuen.
Kurzum: Pizza-Service und eigene Küche haben beide eine Daseinsberechtigung, ebenso wie Cloud-Services und die interne IT. Die Rolle der IT wird sich allerdings ändern, nicht zuletzt, weil der Druck von außen wächst.
Dynamik, Dynamik, Dynamik…
In den meisten Branchen, vor allem aber in der IT, beherrscht eine wachsende Dynamik die Märkte. Globalisierung und steigende Transparenz durch das Internet geben Innovationen die Chance, sich extrem schnell durchzusetzen. Schafft es jemand, Kostenvorteile zu erzielen und diese marktfähig anzubieten, gerät der Mitbewerb schnell unter Druck. Das Geschäft wird vielfach kurzfristiger und risikoreicher.
Gleichzeitig wächst der Wunsch, Investitionen zu vermeiden und Leistungen möglichst bedarfsgerecht einzukaufen. Mietmodelle, "Pay-per-Use" und Flexibilität bestimmen zunehmend Einkauf und Angebot. Die Produktlebenszyklen werden immer kürzer. Häufige Anbieter- und Standort-Wechsel folgen den flexiblen Möglichkeiten. Entsprechend bilden sich immer komplexere und fragilere Lieferketten.
Standardisierung kann diesem Trend nur begrenzt entgegen wirken. Im Gegenteil: Es ist eine immer höhere Spezialisierung zu beobachten. Die benötigte IT komplett zu beherrschen wird für eine IT-Abteilung zusehens schwieriger. Deshalb ist es nachvollziehbar, dass die IT-Abteilung nach Wegen sucht, nicht immer alle Fähigkeiten entwickeln und aktuell halten zu müssen. Schließlich soll sie ja auch noch günstig sein.
Dienstleister können sich leichter spezialisieren und gleichzeitig Skaleneffekte erzielen, wodurch sie viele Services effektiver und damit auch günstiger anbieten. Deren Nutzung entlastet die IT. Doch sollte dieser Schritt wohl bedacht sein. Externe Dienstleister einzusetzen oder einen bereits genutzten Service zu wechseln produziert immer Transformationsaufwände - insbesondere mit zunehmender Spezialisierung und Kundenindividualität des Service. Die Aufwände fallen entweder direkt an, oder sie werden von den Dienstleistern auf eine längere Laufzeit umgelegt. Die Flexibilität kann also teuer werden und die Kostenvorteile des Betriebs schnell auffressen.
Zudem stehen die Anbieter vieler Services mittlerweile selbst Wettbewerbs- und Kostendruck. Nun ist Kostendruck auf Seiten der Dienstleister einem sorgfältigen Umgang mit den Kundenbelangen nicht unbedingt förderlich. Vielmehr macht er sogar fehleranfällig. Wenn der Partner aus anderen Ländern oder sogar Kontinenten stammt, sind auch kulturelle Unterschiede ein Thema, denn sie bilden einen Nährboden für abweichende Einschätzungen und Missverständnisse.
Governance, Risk und Compliance
Keine Frage - auch im eigenen Rechenzentrum drohen Gefahren, und nicht jeder Angestellte arbeitet sorgfältig und gewissenhaft. Interne Mitarbeiter sind jedoch auf die bestehenden Richtlinien verpflichtet, im Gegensatz zu Externen. Auch die Kontrollmöglichkeiten und die Aufmerksamkeit für Probleme sind im eigenen Unternehmen in der Regel besser.
Es ist nicht unmöglich, Sicherheit und Aufmerksamkeit zu delegieren. Aber dabei sollte die Kontrolle grundsätzlich vom eigentlichen Dienstleister unabhängig sein und die letztendliche Verantwortung beim Auftraggeber verbleiben. Der ist in jedem Fall für eine geeignete Kontrollstruktur verantwortlich. "Geeignet" heißt dabei auch "hinreichend kompetent" - ein weiteres, nicht zu unterschätzendes Problem. Durch den Abfluss (oder auch Nicht-Aufbau) von Know-how beim Kunden verschafft sich der Anbieter einen Wissensvorteil, den er für sich und gegen den Auftraggeber einsetzen kann ("Principal-Agent"-Problem).
Externe Services müssen also kontrolliert und gesteuert werden. Fehlt es an der nötigen Organisation und Kompetenz, droht Organisationsverschulden - und dem Management im schlimmsten Fall eine persönliche Haftung für diesen Mangel. Durch die externe Vergabe spart das Unternehmen Wissensaufbau und Organisation im Betrieb. Dafür muss es aber Wissen und Organisation im Controlling vorhalten oder aufbauen. Stichworte wie IKS (Internes Kontroll-System) oder GRC (Governance Risk und Compliance) werden künftig auch in der IT zum üblichen Jargon gehören.
Die neue Rolle der IT
Doch es ist nicht allein der Aufbau einer effektiven Kontrollinfrastruktur, der die IT verändern wird. Eigenbrötlerisches Expertentum wird durch die Fachabteilungen kaum mehr geduldet - zu Recht. Andererseits bereiten die zunehmende Komplexität der IT und die internationalen Compliance-Rahmenbedingungen auch der Schatten-IT Probleme. Gerade global agierende Organisationen müssen sich ja vermehrt mit internationalen Datenschutzregeln, Exportkontrollen, Lizenzrecht, Verrechnung von gegenseitig genutzten Dienstleistungen, lokalen IT-Audits oder Corporate-Social-Responsibility-Vorgaben auseinandersetzen.
Chance und Herausforderung für die IT bestehen nun darin, das Komplexitäts-Management rund um die IT für die Fachabteilungen zu betreiben und als hochengagierter Dienstleister die Geschäftsprozesse aktiv zu unterstützen. Das wird ihr allerdings nur gelingen, wenn sie über den Tellerrand der eigenen IT-Produktion hinausschaut.
Auch die führenden Fachverbände spiegeln diese Erweiterung des Blickwinkels wider: Beim Bitkom finden sich beispielsweise neben den klassischen IT-Leitfäden auch Unterstützungspapiere mit Stichworten wie "Vertragsgestaltung im Auslandsgeschäft", "Wie Cloud Computing neue Geschäftsmodelle ermöglicht" oder "Unternehmen 2.0: kollaborativ. innovativ. erfolgreich."
Ein weiteres Indiz: Das weitverbreitete IT-Steuerungs-Rahmenwerk COBIT (bereitgestellt von derSystems Audit and Control Association, kurz Isaca) hat sich von einem Unterstützungswerkzeug für IT-System- und Compliance-Prüfungen in den vergangenen Jahres zu einem umfassenden Management-System weiterentwickelt, das sich mit Systematiken und Hilfestellungen für Risiko-Management und Wertschöpfung ebenso beschäftigt wie mit IT-Strategie und Ressourcen-Optimierung. Die moderne IT-Abteilung"im Zeitalter der Cloud wird also zunehmend mehr Ähnlichkeit mit und Nähe zu Organisationsabteilungen haben.
Vom Schrauber zum Kundenversteher
Durch den Einkauf günstiger "Commodity"-Services werden die Unternehmen die Kosten möglichst gering halten. Der eigene "Produktionsbereich" konzentriert sich auf kleine flexible Ad-hoc-Dienstleistungen oder hochspezialisierte Alleinstellungsanwendungen. Von der IT wird künftig die Rolle eines Beraters und Begleiters erwartet.
Berufsbild und Selbstverständnis werden sich an den neuen Aufgaben orientieren müssen: Lotsen leiten die IT-Projekte durch schwierige Fahrwasser von Standards, Schnittstellen, Trends und Compliance; Concierges nehmen ihren Kunden lästige Aufgaben des Veränderungs-Managements ab; Dirigenten wählen Services aus, um sie zu integrieren, trainieren und orchestrieren; Makler kaufen auf den IT-Marktplätzen die günstigsten Ressourcen ein und bieten vielleicht eigene überschüssige Ressourcen an. Kreative Designer entwickeln kundennahe und praktikable Lösungen, die sie dann von Dritten produzieren lassen. Verständnisvolle Ärzte werden Probleme analysieren, Ursachen diagnostizieren und Fehlentwicklungen therapieren. Darüber hinaus werden Lehrer - oder besser Prediger - benötigt, um die IT-Strategien den Nutzern nahezubringen, für die Einhaltung von Sicherheitsrichtlinien und Compliance zu werben und die Leistungen der IT zu vermitteln.
Es wird nur noch wenige Berufsbilder in der IT geben, die ohne Kommunikation und Kundenorientierung auskommen. Der stille Schrauber in der Werkstatt ist im Aussterben begriffen. Wenn der Kunde im Zentrum stehen soll, kommt die IT nicht umhin, regelmäßig und langfristig mit ihm zu kommunizieren. Sie entwickelt sich zum "Kundenversteher".
Wer dabei "Augenhöhe" und Respekt erreichen will, wird zum einen die Prozesse und Herausforderungen der Fachabteilungen, zum anderen aber auch Compliance, Wirtschaftlichkeit, Change-Management und Controlling verstehen müssen. So wie die gesamte IT muss auch der eine oder andere Mitarbeiter seine persönliche Metamorphose durchlaufen.
Motivation durch Wertschätzung
Neue Mitarbeiter kann sich der CIO nicht einfach backen. Noch kann er alte im Laden umtauschen oder von heute auf morgen umprogrammieren. Das Firmen- und Prozess-Knowhow altgedienter Mitarbeiter ist zudem ein wichtiger Wert, den man nicht einfach durch "Hire & Fire" aufgeben sollte.
Was ist also zu tun? Veränderung dürfte ohne Mitarbeitermotivation zum Scheitern verurteilt sein. Sofern die Rahmenbedingungen der Organisation dies zulassen, empfiehlt sich eine klare eigene Mission der IT, bei der das Business und das Wohl des Unternehmens im Mittelpunkt stehen. Damit lässt sich dann leichter die Notwendigkeit von Änderungen begründen und kommunizieren (Top-Down). Zudem bildet diese Mission den Rahmen für eigene Veränderungsideen, Strategien und Zielsysteme aus den IT-Bereichen, mit denen sich die Mitarbeiter identifizieren können (BottomUp).
Fachliche Kompetenzen für den Aufbau interner Kontroll- und Compliance-Management-Systeme lassen sich entweder aus den Risiko- oder Compliance-Abteilungen des Unternehmens heranziehen oder extern einkaufen. Bei der Auswahl neuer Mitarbeiter ist auf Kommunikationsfähigkeit und Sozialkompetenz zu achten. Auch die Weiterbildung wird vielleicht weniger auf die neueste Technik und dafür stärker auf sozialen Kompetenzen gerichtet sein.
Am Ende geht aber nichts ohne gegenseitige Wertschätzung. Soziale Anerkennung, die Verbundenheit mit anderen und dem Unternehmen sowie das Gefühl, etwas Nützliches zu tun, sind die wichtigsten Faktoren für Engagement, Loyalität und die Bereitschaft, sich zu verändern.
Erfolgreiche Computerspiele basieren im Kern auf der Idee, darauf, die Spieler herauszufordern, sie aber nicht zu überfordern. Dieses Erfolgsrezept gilt auch für den Beruf: Leistbare Herausforderungen helfen, Mitarbeiter als aktive Akteure des Wandels zu gewinnen. Die IT-Leitung wird sich in jedem Fall als Motivator für den Wandel begreifen müssen.